Joachim Appelmann der deutsche Brutus

Aus "Unser Pommernland" 1912-1913 Heft 10

Joachim Appelmann war im Jahre 1576 Bürgermeister von Stargard und zwar müssen wir annehmen, dass er - es gab in der Herzogszeit ständig 12 Bürgermeister, die verschiedene Ämter verwalteten - wohl die ganze Leitung der Stadt in den Händen hatte. Appelmann war in der ganzen Stadt seines rechtschaffenden Wesens wegen hochangesehen, das hinderte aber nicht, dass er auch neidische Feinde hatte. Er hatte das Glück ein sanftes edles Weib und ein reizendes Töchterchen zu besitzen, jedoch sein Sohn war ein großer Taugenichts, der dem Vater und der ganzen Familie unendlich viel Kummer bereitete. In seiner historischen Novelle „Vergangene Tage" schildert Ziemßen uns die Geschichte vom „Deutschen Brutus" in folgenderWeise:

Da der Sohn zu Hause gar nicht gut tun wollte, so hatte ihn der alte Bürgermeister, sein Vater, schon unter die Landsknechtsfähnlein des Herzogs Erich von Braunschweig gesteckt, der mit seinem Kriegsvolk im Jahre 1563 über Stettin nach Preußen zog. Er war nach Jahr und Tag nur noch frecher, wüster und nichtsnutziger in seine Vaterstadt zurückgekehrt und bereitete dem alten, ehrenfesten Bürgermeister unendlich viel Kummer und Verzweiflung, so dass dieser sich endlich ganz von ihm als Vater lossagte. Der junge Appelmann verschwand darauf auch eine Weile; doch plötzlich tauchte er wieder in den Vorstädten von Stargard auf, wo er angefangen hatte, einzelwohnende Bürger des Nachts zu brandschatzen.

Der alte Bürgermeister verstand aber durchaus keinen Spaß, er ließ auf den losen Vogel als Verbrecher fahnden, und glückte es ihm auch, oder er hatte vielmehr das Unglück, seinen eigenen verlornen Sohn aufzugreifen; er ließ ihn in das Gefängnis werfen und war entschlossen, ihm den Prozess zu machen und nach dem Gesetz bestrafen zu lassen. Das waren furchtbare Zeiten für den armen Mann. Indes glückte es dem Taugenichts doch, in einer finstern, stürmischen Nacht aus dem Gefängnis auszubrechen und der väterlichen Justiz noch einmal zu entrinnen. Der alte Appelmann glaubte von neuem aufatmen zu können.

Vier Jahre waren vergangen, da führte sein böses Verhängnis den jungen Appelmann wieder in die Gegend seiner Vaterstadt zurück., und diesmal als Haupt einer Bande von Schnapphähnen. Verschiedene Stargarder Bürger waren schon an ihrem Eigentum geschädigt worden, einzelne Gehöfte ausgeraubt und die Besitzer durch Brandbriefe in einen großen Schrecken versetzt worden. Um dem Frevel und Übermut voll zu machen, hatte der ungeratene Sohn auch seinem Vater einen solchen Drohbrief geschrieben und ihm gedroht, er würde ihm den roten Hahn auf Schäferei und Scheune zu Bruchhausen setzen, wenn er nicht sofort eine angegebene Summe Geldes zu seiner Verfügung stelle.

Als Antwort darauf traf der alte Appelmann Anstalten, die ganze Bande einzufangen. Es glückte auch, sie wurde gefangen und des Bürgermeisters Sohn in Ketten nach Bruchhausen gebracht.

Es folgte eine schwere Ratssitzung. Des Bürgermeisters Feinde fragten, was mit den gefangenen Verbrechern geschehen solle, und ermahnten den alten Mann, Vorkehrungen zu treffen, dass die Stadt fortan in Sicherheit vor ihnen sei, und widrigenfalls müsste ein ehrbarer Rat seines Amtes gebrauchen und selbst wider seinen Sohn vermöge Rechtens verfahren; denn cunctatio in salute conservanda, in malis non cunctantibus impestiva est.

Da stand Bürgermeister Appelmann auf und erwiderte kurz und in schneidendem Tone: wie erglaubte, einer solchen Erinnerung auch eventual comination entraten zu können. Was in beregter Sache zu tun, sei bereits seit dem Einlaufen der traurigen Nachricht beschlossen., und ein jeder dürfe glauben, dass er die Sache so richten würde, dass sein unseliger Sohn hinfort keinen Schaden mehr tun sollte. Dann fügte er hinzu, er habe, so lange er zu Rate gewählet, Gerechtigkeit ohne Ansehen der Person geübt, man werde ihn auch hier auf rechtem Wege finden, also verfügend, dass die Stadt keinen Schaden und Nachteil leide.

Es erhob sich nun unter den Ratsherren hüben und drüben ein großer Wortwechsel und Widerrede; die Freunde der Familie Appelmann wollten den alten eisernen Bürgermeister von seinem fruchtbaren Entschluss noch abwendig machen, oder wenigstens zu gunsten des jungen Appelmann noch Aufschub durch Ratsbeschluss erlangen. Da erhob sich der Bürgermeister noch einmal und sprach: "Es fällt mir nicht leicht, von dieser Sache zu sprechen, darum so bitte ich, liebe Herren, lasset es nun genug sein. Anlangend die Verbrecher und ihre böslichen Intentionen ist leider alles klar, und werden sie ihrer wohlverdienten Strafe nicht entgehen."

Als sich trotzdem noch ein Ratsherr erhob und ganz genau wissen wollte, was der Herr Bürgermeister mit den Bösewichtern zu tun gedenke, so die Stadt freventlich bedrücken; da stand Herr Appelmann seiner ganzen Größe nach auf, und indem er dem Fragenden einen schier schreckbaren Blick zuwarf, antwortete er mit fester Stimme: "Ehe die Sonne noch am Himmel sinket, haben die Schuldigen ohne Ausnahme mit ihrem Blut gebüßet!" Und so geschah es auch. Nach Schluss dieser furchtbaren Ratssitzung setzte sich der alte Bürgermeister zu Pferde, nahm Prediger und Scharfrichter mit und ritt spornstreichs nach Bruchhausen. Nach allen Erzählungen soll es ein überaus schmerzliches Wiedersehen zwischen Vater und Sohn gewesen sein. Der Sohn, voller Reue,bußfertig und ohne Heuchelei, söhnte sich noch vollständig mit seinem Vater aus, der gekommen, ihn hinrichten zu lassen; und der alte Vater, bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele erschüttert, tat das, was er für seine Pflicht gegen die Stadt hielt, und führte sein schweres Amt bis zum Ende durch.

Der Leichnam des jungen Appelmann wurde im Kirchturm zu Bruchhausen verscharrt.

Die Frau des Bürgermeisters, obgleich der "Alte" nie ein Wort über diese furchtbare Gegebenheit gesprochen und der Name des Sohnes jahrelang schon nie genannt werden durfte, ahnte doch wohl das schauerliche Ende ihres Sohnes, siechte sei der Zeit still und langsam dahin, und ehe der nächste Frühling kam, trug man sie auf den Johanniskichhof.

Joachim Appelmann lebte noch mehrere Jahre, in tiefe Schwermut versunken, achtlos gegen die Ehrenbezeugungen seiner Mitbürger, ein finsterer, schweigsamer Greis. Sein schönes Haus am Markte verödete, und mit stillem Grauen sahen Vorübergehende zu allen Zeiten der Nacht die Fenster seines Arbeitszimmers erleuchtet und den dunklen Schatten eines Mannes rastlos und ermüdet in demselben auf und niederschreiten. An den Ratssitzungen nahm er nach wie vor teil und hielt der Stadt Bestes in ernster Obhut.

Als nach Jahren einmal im Rate ein Bittschreiben des Ortsvorstandes zu Bruchhausen um Renovierung oder Neubau des verfallenden Turmes der dortigen Kirche verlesen wurde, und sich eine lebhafte Debatte darüber in der Versammlung erhob, hörten plötzlich die Zunächstsitzenden ein röchelndes Seufzen vom Platze des Bürgermeisters. Man eilte hinzu und fand, dass ihm das Haupt auf das Pult gesunken war. Als man ihn sanft aufrichtete, starrte die entsetzte Versammlung in die stillen, regungslosen Züge eines Toten.

 

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