Die Eisenbahn in Stargard und im Kreis Saatzig
Paul Schulz "Der Kreis Saatzig und die kreisfreie Stadt Stargard" 1984
König Wilhelm der IV. hat im Jahre 1843 die neue Eisenbahnstrecke von Berlin zur pommerschen Hauptstadt Stettin feierlich dem Verkehr übergeben. Später im Jahr 1846 wurde die Strecke bis nach Stargard verlängert. Schon im Jahre 1847 wurde eine Abzweigung von Stargard durch unseren Landkreis über Arnswalde in Richtung Posen fertiggestellt. Neun Jahre später begann man mit der Planung von Stargard in Richtung Freienwalde bis Köslin. Zwar war diese Strecke über Wangerin vorgesehen, doch der Magistrat und die Bürger dieser kleinen Ackerbürgerstadt lehnten es ab, Land zur Verfügung zu stellen. So wurde die Strecke über Ruhnow und Belgard geleitet, und der Bahnbetrieb im Jahr 1859 bis Köslin aufgenommen.
Bei der Streckenführung über Freienwalde gab es eine Schwierigkeit mit dem Müller Streitz, der am 17. 8. 1859 in einem Schreiben an die Stadt Freienwalde betonte, dass ihm ein Recht auf das Wasser des Kleinen und Großen Stubbenteichs für den Betrieb seiner Mühle zustehe. Durch den für die Errichtung der Eisenbahnstrecke notwendig werdenden Bau eines Dammes, der das Fließ zwischen den Teichen unterbrach, wurde dem Müller für den Betrieb seiner Mühle das notwendige Wasser abgeschnitten.
Der damalige Bauführer Knutze der Berlin-Stettiner-Eisenbahn-Gesellschaft stellte einen Antrag an die Stadt Freienwalde, das Wasser der Stubbenteiche niedriger zu legen, weil das für den Bau des Dammes notwendig war. Er legte dafür einen neuen Graben an, wodurch die Rauschmühle des Müllers Streitz wieder Wasser für ihren Betrieb bekam. Die Stadt Freienwalde musste aber bis zum Jahre 1865 in dieser Sache noch einen Rechtsstreit mit dem Müller Streitz und der Berlin-Stettiner-Eisenbahn-Gesellschaft führen.
Nach endgültiger Fertigstellung der hinterpommerschen Bahnstrecke waren 9 pommersche Kreisstädte am Streckennetz angeschlossen. Mit dieser Bahnlinie wurde Hinterpommern, auch Ostpommern genannt in das Streckennetz der späteren Deutschen Reichsbahn einverleibt.
Ein Ausflug mit der Saatziger Kleinbahn
Von Lieselotte Schulz, geb. Witt, aus Stargard
Jedes Jahr im Sommer veranstalteten die „Saatziger Kleinbahnen" (SKB) für ihre Betriebsangehörigen einen Ausflug nach Nörenberg am Enzigsee.
Auf dem Kleinbahnhof an der Schlachthofstraße in Stargard wurde ein Sonderzug bereitgestellt. Mit Kind und Kegel und viel guter Laune wurde jedesmal von diesem Zug Besitz ergriffen.
Im „Zuckeltrab" ging die Fahrt los, denn die Kleinbahn hielt nichts von dem Tempo ihrer großen
Schwester „Reichsbahn". Wenn der Zug eine Steigung zu überwinden hatte, hörten wir die kleine
Lokomotive schnaufen: ich - schaff - es - nicht, ich - schaff - es - nicht.
War der Zug jedoch wieder auf glatter oder abschüssiger Strecke, so triumphierte die kleine Lok in
immer schneller werdendem Rhythmus: ich hab's geschafft, ich hab's geschafft, ich hab's geschafft!
Die Kinder sangen diese Worte im Takt der Kolben mit.
Die Wagen hatten an jedem Ende einen offenen Perron und waren miteinander verbunden. Dadurch war es möglich, die Freunde und Bekannten in den anderen Abteilen und Wagen während der Fahrt jederzeit zu besuchen. Auf den verschiedenen Stationen hielt der Zug. Die „Kleinbahner" stiegen aus, um sich die Füße zu vertreten und ihren diensttuenden Kollegen einen guten Tag zu wünschen.
Dauerte dem Lokführer die Unterhaltung auf dem Bahnsteig zu lange, so setzte er den Zug unter lautem Pfeifen und Bimmeln (sprich: Läuten) in Bewegung; allerdings langsam genug, damit alle, die dem Zug hinterherlaufen mussten, ihn schnellstens einholen und wieder einsteigen konnten.
In Nörenberg wurde die Gesellschaft mit Musik empfangen und zu einem Lokal am Enzigsee geleitet. Dort wurde jedesmal zuerst der große Krebs an der Kette bestaunt, der der Stadt Nörenberg einst schlimmen Schaden zugefügt hatte und seitdem hier gefangengehalten wurde.
Vergnügungen aller Art warteten auf uns. Außer reichlichem Essen; „Vogel-Abwerfen" für die Kinder, „Taubenstechen" für die Damen und „Scheibenschießen" für die Herren. Für die Sieger gab es selbstverständlich Preise, und bei uns im Haus existierte ein handgearbeiteter Taschentuchbehälter aus Wolle von diesen Veranstaltungen. Er war zum Gebrauch viel zu schade, jedoch ein reizendes Andenken an einen schönen Sommertag.
Nach der gemeinsamen Kaffeetafel wurde getanzt. Walzer, Polka, Rheinländer, Schieber, aber auch Tango und englischer Walzer. Wenn wir des Abends dann wieder zu unserem Zug gingen, waren wir bei weiten nicht mehr so frisch und munter wie am Morgen.
Die Beine taten vom Tanzen weh, und die neuen Schuhe drückten mittlerweile unerträglich. Manchen Fahrtteilnehmern fiel es sichtlich schwer, den richten Weg zu finden, denn alle Sieger der Wettspiele waren durch Umtrunk geehrt und die Verlierer auf die gleiche Weise getröstet worden. Zu Hause angekommen fielen wir müde ins Bett und freuten uns schon auf das nächste Jahr, auf die Fahrt mit der liebenswerten Bimmelbahn.
Am 11. Januar 1945 stand wieder ein Sonderzug für uns auf dem Kleinbahnhof bereit. Wieder waren die Familien der Betriebsangehörigen mit Kind und Kegel, aber dieses Mal mit großem Gepäck erschienen. Die Frauen und Kinder stiegen ein, das Gepäck wurde verladen und der Zug setzte sich langsam in Bewegung.
Die Männer blieben zurück. Der Zug sollte Frauen und Kinder aus dem Gefahrenbereich der näherrückenden Front für die Zeit der Kämpfe herausbringen und später mit uns nach Stargard zurückkehren. - Doch es kam alles ganz anders. -
Der Bahnhof der Saatziger Kleinbahn in Jacobshagen
Früher war der Kreis Saatzig ohne jede Bahnlinie und daher von dem Weltverkehr abgeschlossener als heute. Als im Jahre 1857 die Bahnlinie von Stargard nach Köslin und Kolberg erbaut wurde, musste der Kreis 4 x 30 000 Taler für Grund und Boden hergeben. Jacobshagen musste 1857 und 1859 in 4 Raten zu je 209 R. 11 S. 9 Pf. beisteuern. Zwischen Trampke und Jacobshagen fuhr später ein Omnibus des Kaufmanns Bodo Laase. Die Nebenbahn Stargard-Stolzenhagen-Kallies wurde dann im Oktober 1895 eröffnet. In dieser Zeit wurde auch die Kleinbahnstrecke Kashagen-Jacobshagen-Kl. Spiegel gebaut und im September 1896 in Betrieb gesetzt. Im Norden der Bahnstrecke befand sich damals kein Gebäude. Nachträglich ist hier die Wilhelmstraße entstanden. An der Stelle, an welcher das Bahnhofsgebäude steht, befanden sich damals Wiesen- und Ackerflächen. Durch die Eröffnung der Kleinbahn erhielt Jacobshagen Anschluss an den Hauptbahnhof Trampke der Strecke Stettin-Danzig. Es entwickelte sich nun ein lebhafter Personen- und Güterverkehr. Auch mussten die Bahnbeamten in unserer Kleinstadt Wohnung nehmen. Der Bahnvorsteher Maaß war seit Bestehen der Kleinbahn Inhaber des Bahnvorsteherpostens in Jacobshagen. Außer dem Bahnhofsgebäude sehen wir noch auf dem Bahnhofe den Lokomotivschuppen, eine Zentesimalwage, Lagerplätze und einen Ziergarten. Die Kleinbahnstrecke Kashagen-Jacobshagen-Klein-Spiegel wurde im Jahr 1894, die Strecke von Stargard über Trampke-Kashagen-Nörenberg-Grasse-Janikow im November 1910 in Betrieb genommen. Am 1. April 1910 wurde die Saatziger Kleinbahn von der Provinz Pommern übernommen.
Später war Zink hier Bahnvorsteher, welcher 1935 nach Stargard zog. Im Jahr 1936 war Schwarz Vorsteher des Kleinbahnhofes in Jacobshagen. In den Ruhestand traten 1936 die Kleinbahnbeamten Dolgner, Dünow und Jonas. Staatsbahnbeamte i. R. oder Witwen von Staatsbahnbeamten oder Kleinbahnbeamten sind Mörke, Brinkmann und Maaß. Zur Gefolgschaft der Saatziger Kleinbahn in Jacobshagen gehören im Jahre 1936: Becker, Braun, Briesemeister, Fenner, Kävert, Bahnwärter Ladwig, Bahnschaffner Ladwig, Rasmus, Tobold und Zastrow.
Ein Schulausflug mit der Kleinbahn
„Bitte alle aussteigen!"
„Dies academicus", das hört sich zwar gestochen an, bedeutet aber nur schlicht einen Tagesausflug einer ganzen Schule. Das geschah im allgemeinen nur einmal im Jahr für alle Klassen gemeinsam. Für 1928 hatte die Schulleitung des Gröningschen Gymnasiums dafür das Endmoränengebiet um Nörenberg ausgewählt. Um dorthin zu kommen, war mit der Kreisverwaltung vereinbart worden, dass die S.K.B. (Saatziger Kreis-[Klein]-Bahn) für die etwa 230 Schüler einen Sonderzug, d. h. die Lok und 3 Wagen, zur Verfügung stellte.
Wir Jüngeren bevölkerten schon lange vorher erwartungsvoll den Kleinbahn-Bahnhof, die Herrn Primaner erschienen würdevoll später, fast zu spät. Darauf stiegen alle in die Wagen und erwarteten gespannt das Abfahrtszeichen des Zugführers. Schließlich setzte sich der Zug ja auch langsam in Bewegung, selten hatte die kleine Lokomotive einen so voll besetzten Zug zu befördern. Das Ganze ging bis Saarow auch ganz gut; vor Lübow aber gab der Lokführer Volldampf, um die Steigung vor Mulkenthin zu schaffen. Das gelang. Als sich unser Sonderzug im Hügelgebiet der Endmoräne allmählich durchgearbeitet hatte, wurde die Lage zwar nicht ernst, aber doch spannend. In einer Senke vor Nörenberg hielt der Zug auf freier Strecke, denn an einer Wasserzapfstelle musste die Lok Wasser nehmen, (Wasserstellen solcher Art gab es auf der gesamten Strecke immer da, wo ein Flüsschen überquert wurde, Kohlen hatte sie wohl noch genug). Nun ging der Zugführer durch die einzelnen Wagen und sagte: „Sie müssen aussteigen und den Berg zu Fuß hochgehen! Die Lok schafft es nicht, den voll besetzten Zug hochzuziehen. Oben auf dem Berg können Sie dann alle wieder einsteigen."
Man kann sich aber die Kommentare der älteren Pennäler, die schon mit E- und D-Zügen durch Deutschland und das benachbarte Europa, auch in Flugzeugen gereist waren, vorstellen. Ist Blumenpflücken auch während der Fahrt verboten? Dürfen wir schieben helfen? usw.
Die Lok hatte inzwischen den leeren Zug auf die Höhe gebracht. Der kleine Sonderzug nahm Fahrt auf und wurde allmählich rasant schneller, so dass der Lokführer den Zug nur mit Mühe im (Haupt-)Bahnhof Nörenberg zum Stehen bringen konnte. - Darauf wurden pflichtgemäß die nächsten Moränenhügel und der große Krebs besichtigt. Nach einigen Stunden fuhren wir mit unserem „Sonderzug" zurück, diesmal ohne aussteigen.
Ein schöner Tagesausflug und ein noch schöneres Fahrterlebnis mit der S.K.B. gingen zu Ende.
Die gemütliche S.K.B.
Es war in den Frühlingstagen 1944. Acht angehende Soldaten fuhren zur Musterung nach Stargard. Danach gab es einen fröhlichen Umtrunk, und die jungen Männer fuhren mit der Saatziger Kleinbahn (SKB) in ihr Heimatdorf Neudamerow zurück. Dabei trieben sie, angeheitert, wie sie waren, auf dem Perron des letzten Wagens allerlei lustigen Schabernack. Plötzlich erfasste ein Windstoß den Hut eines der jungen Leute und trieb ihn auf den Acker. Der Schaffner bemerkte dieses „Unglück" und ließ die Kleinbahn auf der Strecke halten. Alle angehenden Soldaten stiegen aus und suchten eifrig den Hut ihres Kameraden; denn im Kriegsjahr 1944 einen neuen Hut zu erwerben, war ja ziemlich unmöglich. Die Freude war groß, als der Hut gefunden wurde, und die Kleinbahn konnte die Fahrt mit den lustigen jungen Leuten fortsetzen. Es kann gut möglich sein, dass sie den Schaffner dazu bewegen konnten, noch einen außerplanmäßigen Halt beim nächsten Gasthof an der Kleinbahnstrecke zu genehmigen. So gemütlich konnte es selbst im Kriege zugehen.
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