Armenpflege in Stargard um 1776

Dietrich Otto
dietrichotto@arcor.de

29.11.2016

Die preußischen Könige erließen seit 1775 mehrere Kabinettsorder, Edikte, Dekrete und Verordnungen zur Versorgung und Pflege der Armen. Sie reichten von Fürsorgemaßnahmen bis zur Strafverfolgung der Bettler und hatte prinzipiell zum Ziel, der Armut – die es nach Gottes Gnaden gar nicht geben dürfte – entgegenzuwirken. Das Landrecht für die preußischen Staaten (ALR) von 1794 führte an, dass der Staat für die Ernährung und Verpflegung der Armen zu sorgen habe. Der Staat übernahm die Letztverantwortung für die Armenpflege, hatte aber die Ausführung an die Gemeinden übertragen, die die Hauptlast der Kosten tragen mussten. (Wikipedia)

Frau Dagmar Siefert-Spohr machte mich auf ein Dokument von 1776 aus der Staatsbibliothek zu Berlin aufmerksam, in dem die Armenpflege in Stargard im Detail geregelt ist. Dank der vielen genannten Namen kann man es auch für die Familienforschung nutzen. Man versuchte eine Finanzierung auf Spendenbasis. Alle Spender sind aufgeführt, ebenso die Armen, die diese Spenden erhalten haben. Die Beiträge sind in Taler, Groschen und Pfennige angegeben. Es handelt sich dabei mit großer Wahrscheinlichkeit um den Preußischen Reichstaler, der 1750 von Graumann entworfen wurde. Dieser Taler hat 24 Groschen, ein Groschen 12 Pfennige.

Armenpflege Deckblatt

Nachweisung was an freywilligen Beyträgen von einem jeden monathlich zu der in Stargard neu errichteten
allgemeinen Armen-Verpflegung beygetragen, und wie solches unter die nahmentlich benannte Armen vertheilet wird.

Der Artikel steht unter dem Motto:

Mensch, mache dich verdient um andrer Wohlergehen,
Denn was ist göttlicher, als wenn du liebreich bist,
Und mit Vergnügen eilst dem Armen beyzustehen,
Der, wenn er Großmuth sieht, großmüthig danckbar ist."
(Gellert)

Die Angaben in dem Dokument sind unterteilt nach Stadtbezirken (Marktviertel, Johannviertel, Wallviertel, Bruchviertel, Werder), teilweise auch nach Straßen. Nachname, Beruf, manchmal auch Vorname erscheinen und die monatliche Spendensumme. 1796 gab es 995 Personen, die monatlich einen bestimmten Betrag spendeten. Die Spendensumme betrug 130 Taler, 7 Gr., 7 Pf. Die durchschnittliche Spende betrug 3 Gr., 3 Pf. Hinzu kam das Hochlöbliche Regiment mit 38 Talern, also insgesamt 168 Taler, 7Gr., 7 Pf. Stargard hatte um 1800 etwa 8000 Einwohner.

153 Stadtarme sind aufgeführt mit Name, Stand meistens Invalide, Wohnort und der erhaltenen Spendensumme. Die Begründungen lauten z.B. "die Kinder haben bisher nur vom Betteln gelebt", "bekommt zwar den königlichen Gnadentaler, ist aber sehr alt und unvermögend". Die wöchentliche ausgezahlten Beträge lagen zwischen 2 und 8 Gr. Teilweise handelt es sich bei diesen Personen um Familien mit 4 Kindern. Über die Herkunft des Gnadentalers konnte nichts ermittelt werden. Außerdem gab es 55 Regimentsarme, die erhielten monatlich 6 bis 16 Groschen.

Der Gesamtaufwand für die Armen von monatlich 168 Taler, 7 Gr., 7Pf. setzt sich wie folgt zusammen:

32 Taler, 16 Gr. an die Armen verteilt
92 Taler, 2 Gr. für die Verpflegung der Stadt-Armen
20 Taler an die Exulantenkasse
2 Taler, 12 Gr. an den Collecteur, der die monatlichen Spenden einsammelt
12 Taler an 4 Armenwächter
9 Taler, 1 Gr., 7 Pf .Nebenkosten wie Druck.

Hier liegt ein Widerspruch vor, bei den 32 Talern, 16 Gr. ist für die Stadtarmen nur der Betrag aufgeführt, den sie wöchentlich erhalten. Die Exulantenkasse diente für durchreisende Arme, die 1 bis 2, in Ausnahmefällen 3 bis 4 Gr. erhielten und bei Androhung von Gefängnis sich verpflichten mussten, die Stadt sofort zu verlassen. Für die Arbeit der Armenwächter galt ein königliches Edikt von 1748 Bettler, worunter auch abgedankte Soldaten, Handwerksburschen und dergleichen Personen zu verstehen sind, sofort durch die Armenwächter zu verhaften und bei Befindung mutwilligen Bettelns in Festung oder Spinnhaus einzuliefern.Es gab eine Anzahl mildtätiger Einrichtungen in Stargard wie das Hospital zum Heiligen Geist, das Hospital Elend und das Hospital St. George. Hier wurden Bedürftige gegen ein Entgelt aufgenommen, das die Armen allerdings nicht aufbringen konnten.

Um diese Angaben besser beurteilen zu können, muss man die Lebensverhältnisse kennen. Es hat sich als sehr schwierig erwiesen, darüber verlässliche Informationen zu erhalten. Eine Quelle besagt, gegen Ende des 18. Jahrhunderts konnte man im deutschen Reich für einen Taler entweder 12 kg Brot; 6 kg Fleisch, 2 Flaschen Champagner, 1 kg Tabak oder 250 g Tee, ein Hemd, ein Paar Schuhe oder drei Paar Wollsocken kaufen. Mietkosten und Nahrungsmittelkosten für zwei Zimmer beliefen sich auf jährlich etwa 100 bis 120 Taler. Wobei es auch weniger gekostet hat, wenn die Zimmer nicht möbliert waren. Dagegen verdiente ein mittlerer preußischer Beamter rund 100 Taler im Jahr. Im Vergleich dazu verdiente ein Handwerksmeister zwischen 200 und 600 Taler im Jahr. Die Soldaten bekamen damals keine 30 Taler im Jahr. Dabei wurde wohl vorausgesetzt, dass Soldaten in der Kaserne lebten und dort verpflegt wurden. In Stargard gab es allerdings erst seit 1884 eine Kaserne, die Grenadierkaserne.

Einen Blick in das Originaldokument können Sie hier werfen. Die einzelnen Browser reagieren verschieden. Ist das Dokument zu klein, mit "+" vergrößern.

zurück zum Inhaltsverzeichnis