Stargards Entwicklung vom 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg
(Aus: Stadtbaurat Schröter:
„Stargard i. Pom. Seine
städtebauliche Entwicklung
bis zur Gegenwart", S. 27-30)
Diesen Bericht können Sie hier drucken.
Nach dem schweren Zusammenbruch, den der Dreißigjährige Krieg über Stargard brachte, kam eine lange Zeit der Erschöpfung. Beim Tod Friedrich's des Großen (1786) betrug die Einwohnerzahl erst wieder 2600. Stargard führte lange Zeit das Traumleben eines kleinen Ackerstädtchens. Da weckte der Pfiff der ersten Lokomotive die Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf. Durch den Ausbau der Linien Berlin-Stettin-Kreuz-Posen, Köslin-Danzig-Königsberg, Pyritz-Küstrin und Kallies-Nörenberg wurde Stargard zu einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt. Von entscheidender Bedeutung wurde später die Errichtung der Eisenbahnhauptwerkstätte.
Infolge dieser Umstände bewegte sich die Entwicklung der Stadt in Richtung auf den Bahnhof zu. Die hier im Westen und Nordwesten entstandene Neustadt - Bahnhof-, Hindenburg-, Jobst-, Berg-, und Schröderstraße - bietet in ihren geraden, ziemlich breiten Straßen zwar den Eindruck moderner Wohnlichkeit, aber keinerlei städtebauliche Eigenart. Im Südwesten vor dem Pyritzer Tor hat sich eine mit der Altstadt innig verwachsene Wohnvorstadt gebildet. Sie enthält das staatliche Gymnasium, die an den schönen Anlagen des alten Friedhofs wirkungsvoll gelagerte Luisenschule und das Finanzamt, das frühere Bezirkskommando und die Hospitäler. Auch die dritte evangelische Pfarrkirche „Zum heiligen Geist" befindet sich hier, eine typische Saalkirche aus den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts ohne bemerkenswerte baukünstlerische Note.
Die den anderen Toren vorgelagerten Vorstädte sind älteren Datums und zeigen, namentlich Luisenstraße, Werder und Wiek, den Charakter des Ackerstädtchens, während die modernere Bebauung an der Zartziger Straße mit ihren Nebenstraßen erst einsetzte, als im Jahre 1845 der Durchbruch des Neuen Tores im Zuge der Großen Mühlenstraße und die Anlage der Chaussee nach Zachan erfolgte. Schließlich entwickelte sich westlich der Eisenbahn um die hier in den 1880er Jahren errichteten Kasernen eine Bebauung, die bis zum Jahre 1920 eine größere Bedeutung nicht annahm. Die Jahre 1895 bis 1905 brachten der Stadt diejenigen Anlagen, ohne welche eine neuzeitliche Wohnstadt von einiger Bedeutung nicht mehr möglich ist. 1896 wurde das Grundwasserwerk oberhalb der Stadt am linken Ihnaufer, das ein vorzügliches Trinkwasser liefert, mit einem Kostenaufwand von 500.000 Mk. errichtet. Ihm folgte im Jahre 1896 die allgemeine Schwemmkanalisation mit einem Kostenaufwand von 800.000 Mk. Die in Brunnen und Filtern gereinigten Abwässer fließen der Ihna unterhalb der Stadt zu.
Die an der Karlstraße im Jahre 1856 von einer Aktiengesellschaft errichtete Gasanstalt ging 1879 für 420.000 Mk. in den Besitz der Stadt über. Sie hat sich, ebenso wie das 1899 für 250.000 Mk. von der Firma Schuckert neben dem alten Kirchhof errichtete städtische Elektrizitätswerk, im Laufe der Zeit beträchtlich vergrößert. Neuerdings bezieht die Stadt ihren Strom in der Hauptsache vom Großkraftwerk Stettin durch die Überlandzentrale Massow. Im Norden der Stadt wurde 1894-96 der städtische Schlachthof errichtet und später mehrfach erweitert; im Jahre 1903 wurde ihm ein Viehhof angegliedert. Die Kosten beider Anlagen haben ursprünglich etwa 530.000 Mk. betragen. An der Bergstraße liegt das 1879 begründete städtische Krankenhaus. Ursprünglich nur für die Stadt bestimmt, wurde es bei seiner Erweiterung vertraglich auch den Landkreisen Saatzig und Pyritz zur Verfügung gestellt und 1910 durch den recht stattlichen Neubau eines Männerhauses für 370.000 Mk. derart vergrößert, dass es etwa 150 Kranke aufzunehmen vermag. An Schulen besaß Stargard bis zum Kriege neben dem staatlichen Gymnasium eine Oberrealschule, Lyzeum und Oberlyzeum (Luisenschule), Knaben- und Mädchen-Mittelschule, sowie eine Anzahl von Volksschulen. Baulich bemerkenswert ist von allen nur der bereits erwähnte Neubau der Luisenschule, der im Jahre 1910 mit einem Kostenaufwand von über 500.000 Mk. errichtet wurde.
In der Verwaltung der Stadt stehen acht Hospitäler, in denen etwa 130 alte Stargarder einen sorgenfreien Lebensabend genießen. Allein in den Jahren 1911/12 wurden drei Neubauten an der Friedrichstraße errichtet, zwei davon aus Mitteln der Hospitalkasse, das dritte aus einer Stiftung des 1908 verstorbenen Stadtrats Rarow, welche von den Erben später derart erhöht wurde, dass der ganze Hospitalbau aus diesen Stiftungsmitteln bestritten werden konnte. Die Stadt, insbesondere die Innenstadt, besitzt gut gepflasterte Straßen, die von der Stadtverwaltung in sauberem Zustande erhalten werden. Rings um die Altstadt sind im Zuge der alten Wallanlagen sowie längs der Ihna schöne, schattige, reizvolle Durchblicke auf die Stadt bietende Spazierwege und Anlagen geschaffen, die nur zwischen Mühlen- und Walltor unterbrochen sind. Der von der Stadt im Jahre 1912 übernommene, vor dem Pyritzer Tor gelegene alte Friedhof ist in einen stimmungsvollen Park umgewandelt worden. Schließlich hat der 1920 verstorbene Stadtbaurat Sonnabend, welcher die Bauverwaltung der Stadt 30 Jahre lang erfolgreich leitete, etwa drei Kilometer Ihna aufwärts das sogenannte Stadtwäldchen angelegt. Dieses im Jahre 1902 geschaffene, parkartige Gehölz von 70 Morgen Größe mit einfacher Wirtschaft hat sich bereits zu einem prächtigen Bestände entwickelt und bildet einen beliebten Ausflugsort der Bürgerschaft, der allerdings mit Beginn der Badezeit von dem acht Kilometer von der Stadt entfernten, an der Stettiner Chaussee westlich der Stadt gelegenen Madüsee, welcher der Stadt gehört, in den Hintergrund gedrängt wird. Zu diesem See findet an schönen Sommersonntagen eine förmliche Völkerwanderung statt, zu Fuß wie mit allen möglichen Beförderungsmitteln, so dass der Verkehr lebensgefährliche Formen annahm. Die Stadt sah sich daher gezwungen, von Stargard bis zum Madüsee gesonderte Rad- und Fußgängerwege außerhalb des Chausseekörpers anzulegen. Die mit Hilfe der produktiven Erwerbslosenfürsorge geförderten Arbeiten gehen ihrer Vollendung entgegen und haben gegen 120.000 Mk. Kosten verursacht. Die zahlreichen am See gelegenen Wirtschaften können zeitweilig die Fülle der Herbeiströmenden nicht fassen, und das Getriebe, namentlich das sich entfaltende Badeleben ist wirklich großstädtisch zu nennen. Auch ein bedeutender Segelsport entwickelt sich auf dem über 36 Quadratkilometer großen See, in dem einer der köstlichsten Süßwasserfische, die große Maräne, lebt, die in keinem anderen deutschen Gewässer heimisch ist.
Die Stadt Stargard, die sich in einer für ihre gesamten sonstigen Entwicklungsbedingungen überraschend schnellen Weise zu einer Provinzialstadt von achtbarer Bedeutung und Größe entwickelt hatte, ging bereits ernsthaft mit weiteren wichtigen Plänen um, wie die Erbauung einer elektrischen Straßenbahn bis zum Madüsee, die Errichtung eines Stadttheaters nebst Saalbau und eines neuen Verwaltungsgebäudes, jedoch ließ der Erste Weltkrieg diese Pläne nicht verwirklichen, stellte vielmehr nach seinem Ausgang die Stadtverwaltung vor ganz neue, nie geahnte, schwere Aufgaben.
zurück zum Inhaltsverzeichnis