Die Hugenotten in Brandenburg-Preußen und in Stargard/Pommern

Prof. Dr. Alfred Schwichtenberg
1925-2012
Stargarder Jahresblatt 2002

10.4.2013

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1. Französische Vorgeschichte

Schon sehr früh gab es in Frankreich zahlreiche Anhänger des Kirchenreformators Martin Luther (1483-1546). Die französischen Protestanten nannten sich Hugenotten (frz. Huguenots). Die Entstehung ihres Namens soll auf den französischen König Hugo Carpet (um 940-996) zurückführen. Der Sage nach ging sein Geist in der ersten Zeit der hugenottischen Gottesdienste bei ihnen um. Die Hugenotten gehören meistens zum kalvinistischen Zweig der Protestanten, der durch den Reformator Johann Kalvin (frz. Jean Caulvin, 1509-1564) in der französischsprachigen Schweiz (Genf, frz. Genève) seinen Ursprung hat.

Bartholom�usnacht

Francois Dubois 1529-1584 - Bartholomäusnacht

Blutbad von Wassy

Blutbad von Wassy - Kolorierter
Kupferstich von Franz Hogenberg


Das Blutbad von Wassy sur Blaise (Champagne), das zur Ermordung der örtlichen Hugenotten-Gemeinde geführt hatte, löste im Jahre 1562 den ersten Hugenottenkrieg aus. Insgesamt werden acht Hugenottenkriege unterschieden. Erst das Parlament der 1. Französischen Republik (22. 9. 1792) gab den Hugenotten endgültig alle staatsbürgerlichen Rechte. Besonders wichtige Ereignisse der Hugenottenverfolgung während dieses sich über zwei Jahrhunderte erstreckenden Zeitabschnittes sind:

Edikt von Nantes K�nig Heinrich IV Edikt von Fontainblue
Edikt von Nantes König Heinrich IV Edikt von Fontainbleau

 

Daraufhin floh eine große Zahl von Hugenotten trotz der Bewachung der Grenzen durch das Militär in die Schweiz, die Niederlande, nach England und Deutschland. Ihre Gesamtzahl wird in den geschichtlichen Abhandlungen zwischen 200.000 und 500.000 angegeben. Viele Hugenotten gehörten den gebildeten Ständen an. Sie wurden als Réfugiés (dt. Flüchtlinge, Vertriebene) bezeichnet. Johann Wolfgang von Goethe hat ihnen mit seiner Ballade „Hermann und Dorothea" im Jahre 1797 für den deutschen Sprachraum ein dichterisches Denkmal gesetzt.

2. Hugenotten in Brandenburg

Eines der bevorzugten Aufnahmegebiete war das kurfürstliche Brandenburg. Der Hohenzoller Friedrich Wilhelm (Der Große Kurfürst, 1620-1688) hatte als Antwort auf das Edikt von Fontainbleau mit seinem Edikt von Potsdam (8.11.1685) die Aufnahme von Hugenotten geebnet. Sein Urenkel König Friedrich II (Friedrich der Große, 1714 - 1786) kennzeichnete die hugenottischen Zuwanderer mit folgenden Worten:

Die Reichsten wanderten nach England und Holland aus. Die Ärmsten, aber die Fleißigsten, kamen nach Brandenburg, etwa 20.000 an der Zahl. Sie halfen unsere verödeten Städte neu bevölkern und brachten uns alle Manufakturen, die uns fehlten.

Sie waren beispielsweise Fachleute in folgenden Handwerkszweigen:

Edikt von Potsdam

Der Große Kurfürst förderte ihre Ansiedlung in wirtschaftlicher, politischer, kirchlicher und kultureller Hinsicht. Die Kirchensprache blieb in vielen Orten das Französische. Er stattete sie mit Vorrechten aus und errichtete im Jahre 1687 sogar eigene Truppenteile (frz. Grands Mousquetaires) mit ihnen. Die Bevölkerung in Berlin bestand zeitweise zu einem Drittel aus Hugenotten. Aber nicht nur in Berlin, sondern auch in landwirtschaftlichen Bezirken um die städtischen Zentren bei Prenzlau in der Uckermark und bei Königsberg in Ostpreußen bildeten sie Schwerpunkte.

Von der uckermärkischen Hauptstadt Prenzlau liegen einige genaue Angaben über ihre Förderung vor:

Ihnen (den Hugenotten) wurde die Kirche des Heiligengeist-Hospitals eingeräumt. Sie hatten ihre eigenen Richter und unterstanden nicht der Polizeigewalt des Magistrates. Sie genossen jeder 15 Freijahre, nach deren Ablauf sie erst gleich den „deutschen" Einwohnern zu Abgaben beitragen brauchten. Die Hospitäler mussten 50 Hufen Land anfänglich ganz umsonst, sodann gegen geringe Pacht an sie abgeben. Außerdem bekamen sie zu gewerblichen Unternehmungen Kapitalien vom Kurfürsten. So z. B. erhielt der Papiermacher Fleureton aus Grenoble im Jahre 1694 ganze 1200 Taler zur Anlegung einer Papiermühle.

3 Hugenotten und ihre Nachkommen in Stargard

3.1 Überblick zu Pommern

Seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges im Jahre 1648 mit dem Frieden von Münster und Osnabrück gehörte der größte Teil von Hinterpommern und damit auch Stargard zum Kurfürstentum Brandenburg, dem späteren Königreich Preußen (ab 1701).

Martin Wehrmann erwähnt in seinem Hauptwerk zur „Geschichte von Pommern" folgende Besonderheiten:

Kolonisationen sind in Pommern vom Kurfürsten nur in geringem Umfange ausgeführt worden, da das Land noch kaum imstande war, viele Menschen zu ernähren. Erst nach seinem Tode (1688) sind französische Kolonien in Kolberg, Stolp und im Amte Löcknitz angelegt worden. Hier wohnten in elf Dörfern, von denen die meisten zur Uckermark gehörten, im Jahre 1697 insgesamt 665 Réfugiés. Von den städtischen Kolonien hat sich allein die in Stargard (im Jahre 1697 mit 84 und im Jahre 1703 mit 218 Personen) weiter entwickelt. Die Bevölkerungszahl Pommerns belief sich im Jahre 1688 auf 114.806 Personen. Nur 420 Personen wohnten damals auf der Quadratmeile.

Eine preußische Meile ist 7.532,5 m lang. Damit beträgt die damalige Bevölkerungsdichte 7,4 Einwohner je Quadrat-Kilometer. Mit diesem Maßstab lassen sich Vergleiche mit heutigen Siedlungsdichten anstellen.

3.2 Die ersten Hugenotten in Stargard

Die Stargarder Mitglieder der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde führten in den Jahren 1920 und 1921 monatliche Veranstaltungen durch. Sie trafen sich abends im Kaiserhof (Hotelbesitzer Fritz Mercy) Bahnhofstraße 5. Um die Jahreswende hielt Amtsgerichtsrat Dr. du Vinage seinen Vortrag „Geschichte der Französischen Kolonie zu Stargard in Pommern". Nachfolgend die wichtigsten inhaltlichen Sätze:

1687 gründete der Große Kurfürst hier eine Siedlung französisch-reformierter Glaubensflüchtlinge. 37 Familien mit 137 Personen, Gewerbetreibende aller Art. Die französischen Richter Girard und Dr. med. de la Bruguière legten große Maulbeerpflanzungen an und trieben Seidenbau. Die Franzosen, welche sich auf dem flachen Lande niederließen, bauten Tabak an und zogen treffliche Früchte und Gemüse auf dem Sandboden, den sie durch ihren Fleiß in treffliches Fruchtland umwandelten. Die Gemeinde hielt ihren Gottesdienst in der Augustiner Kirche. Sie stand bis zum Jahre 1820 auf dem freien Platz vor dem Realgymnasium (später Oberrealschule) hinter dem Peter-Gröning-Platz. Am 8. 9. 1810 vereinigten sich die französisch - reformierte mit der deutsch - reformierten Gemeinde.

Dr. du Vinage hat auch Einblick in die Archivalen des Geheimen Staatsarchivs zu Berlin genommen. An Hand der französischen Kolonienlisten vom Jahre 1699 und 1700, die auch Herkunfts- und Einwanderungsorte enthalten, hat er die ersten Namenseinträge der ortsansässigen Hugenotten ausfindig gemacht. Ihre Namen lauten:

Andrée, Aval, Beccard, Bernard, Centurier, Coste, de ´l Homme, de Courbière, Dumas, Dupuís, Fouquet, George, Gourdet, Gueffroy, Hurlin, Hurtienne, Jassoy, La Ramée, Nicol, Noël, v. Rège, Rousseau, Royer, du Vinage und die Emigrantenfamilie von Chamisso de Boncourt.

David Gilly

David Gilly 1748-1808


Erwähnt werden muss bei dieser Gelegenheit auch der königliche Landbaumeister David Gilly (1748 -1808), der als örtlicher Bauleiter der Meliorationsarbeiten (1770 -1780) im Ihna ­ Urstromtal und am Madüsee (Senkung des Wasserspiegels) tätig war. Während dieser Zeit wohnte er in Stargard. Er war in Schwedt/Oder geboren. Seine Großeltern haben seit dem Jahre 1699 zur französischen Kolonie in Schwedt/Oder gehört. David Gilly war später Direktor der königlichen preußischen Bauakademie zu Berlin und damit Lehrer von Karl Friedrich Schinkel (1781-1841), Hauptvertreter des Berliner Klassizismus. Gillys Grabstätte auf dem Friedhof-Kirchhof II in Berlin-Kreuzberg ist erhalten und steht unter Denkmalschutz.

3.3 Heimat für 250 Jahre

Joachim Stampa erwähnt in seinen vier Büchern über das geschichtliche Stargard bis zum Vertreibungssjahr aller Stargarder 1945 nur ganz kurz die Hugenotten:

1670 Stargard wird Garnison, Zuzug von Hugenotten,
der Große Kurfürst ist evangelisch-reformiert. Die Hugenotten, von denen es so viele in Stargard gegeben hat, sind ebenfalls reformiert.

Wesentlich aber sind die Einwohnerzahlen von Stargard zur Zeit der Hugenotten-Zuzüge vor rund 300 Jahren:

im Jahre 1688 waren es 3600 Personen,
im Jahre 1748 waren es 5529 Personen.

Im Jahre 1938 hatte Stargard mit seinen 40.000 Einwohnern zahlreiche Nachkommen der Hugenotten, die die ursprüngliche französische Schreibweise ihrer Familiennamen beibehalten hatten. Bei der Sichtung der Stargarder Adressbücher fallen diese französischen Namen sofort auf. Dazu Beispiele aus dem Adressbuch 1937:

Andrée, Aval, Beccard, Centurier, Cher, Christier, Coste, Desens, Deuil, Dumas, Dupuís, Espagné, Gardinier, George, Gourdet, Hurlin, Hurtienne, Jassoy, Lagois, Langquillon, Mercy, Nicol, Perrin, Pierquin, Rousseau, Royer, Sabin, du Vinage u.s.w.

Die hervorgehobenen Familiennamen sind bereits bei den durch du Vinage festgestellten ersten Namensträgern der ortsansässigen Hugenotten vorhanden gewesen. Ihre Nachfahren wurden im Jahre 1945 erneut vertrieben, weil sie nun deutsche Staatsbürger geworden waren.

3.4 Eingedeutschte französische Familiennamen

Durch Gesetz vom 6. Februar 1875 wurde im deutschen Kaiserreich das Personenstandswesen geregelt und die Standesämter geschaffen. Die Familiennamen mit ihrer damaligen Schreibweise waren damit amtlich festgestellt worden. Namensänderungen bedürfen seitdem einer staatlichen Genehmigung. Es gab zuvor auch für Familiennamen keine feststehenden Schreibregeln. Geburt, Taufe, Konfirmation, Heirat und Tod wurden in wenig zuverlässigen Kirchenbüchern gesammelt. Da es zahlreiche kirchliche Registratoren gab, die häufig der französischen Sprache nicht kundig waren, konnten leicht abweichende Schreibweisen auftreten. So dürfte auch in der Zeit von etwa 1700 bis 1875 zahlreiche französische Namen zur deutschen Schreibweise abgewandelt worden sein. Wie beispielsweise:

Martell: martel frz., zu Deutsch "Hammer"
Urban: urbain frz., zu Deutsch "städtisch", urbs lat., zu Deutsch "Stadt"
Galland: galant frz., zu Deutsch "zuvorkommend", aber auch denkbar Galle  und Gallert(e)
Coste: côte frz., zu Deutsch "Rippe, Abhang, Küste", wobei das Zeichen ô (accent circonflexe) ein altfranzösisches "s" bedeutet.

Um diese Vielfalt von Namensschreibweisen verfolgen zu können, muss man häufig bis in das 12. und 13. Jahrhundert zurückgehen. In diesem Zeitabschnitt entstanden die Familiennamen wegen der starken Bevölkerungszunahme (Dreifelderwirtschaft) in Mitteleuropa.

Hinweis: Mehrere und vor allem andere Gründe liegen vor, wenn man die Ursachen der Zuwanderung von Personen mit polnischen Vor- und Familiennamen unter den Stargarder Einwohnern mit deutscher Staatsangehörigkeit untersuchen wollte.

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