Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Heinz-Jürgen Torff
Ehrenvorsitzender vom Heimatkreisausschuss Stargard
aus dem Buch "Erinnerungen an Stargard in Pommern"
Über Stargarder Religionsgemeinschaften und Konfessionen hat der Chronist vor einiger Zeit ausführlich auch in unserem Heimatblatt „Die Pommersche Zeitung" geschrieben und berichtet. Von den Johannitern mit der Johanniskirchgemeinde, den Augustiner Mönchen mit ihrem Kloster und der wunderschönen Klosterkirche, der Bürgerkirche von St. Marien, Stolz der Stargarder über Jahrhunderte hinweg bis heute, den Reformierten mit ihrer Christus-Kirche in den Anlagen, sowie den einzelnen kleineren christlichen Gemeinschaften wie Methodisten in der Hindenburgstraße, Baptisten u. v. a. mehr.
Bei meinem leider letzten Besuch in Stargard im Juni 1999 anlässlich der Einladung der polnischen Museumsleitung zu einem Symposium im Rathaus über das angesetzte Thema „Stargard , kleine Heimat gestern und heute" und der feierlichen Einweihung der Gedenkanlage auf unserem früheren Neuen Friedhof an dem Preußenweg für und durch den Heimatkreisausschuss Stargard mit der polnischen Stadtbehörde hatte ich eine erfreuliche Entdeckung gemacht. Das mir zur Unterbringung meiner Gäste und Einweihungsteilnehmer empfohlene PTTK-Hotel am Ihna-Arm war noch alte unversehrte Stargarder Baukultur, es war der frühere Besitz des Stargarder jüdischen Viehgroßhändlers Julius Aaron in der Pelzer Straße Nr. 16.
Die Pelzer Straße war zu meiner Schulzeit die Verlängerung der Holzmarktstraße über den Ihna-Arm bis hin zum Großen Wall. Dort hatte die Firma J. Goldfarb ihr Tabak-Kontor und in ihrer Nähe stand ihre über Stargard's Grenzen wohlbekannte Tabakfabrik. Zurück zur Holzmarktstraße, dort hatte in Nr. 15 der Kaufmann Max Levy sein Warenhaus. Im Haus Nr. 11 war das von Max Lewy geführte Sächsische Engroß-Lager. Auf der westlichen Seite des Marktes Nr. 4 hieß der Hausbesitzer Dr. jur. Emil Levy, das Bankgeschäft im Haus war Eigentum von Moritz Levy. Beim Verkauf seines Hauses Mitte der 30ziger Jahre an eine bekannte Stargarder Fleischer-Familie war dem Käufer zur Auflage gemacht worden, den historischen Kachelofen dem Neuen Stargarder Museum zu schenken. Gesagt und auch getan, noch heute steht dieser schöne alte Kachelofen, zwar mit einigen Ausbesserungen, beim polnischen Marienkirch-Prälat Herrn Ozgar im Dienstzimmer hinter der Marienkirche (dem früheren Stargard-Museum).
Dies sind nur einige der bekannten jüdischen Bürger als Geschäftsleute und Mäzene vor 1938 in Stargard i. Pom.
Innenraum der Synagode
Die Jüdische Gemeinde hatte ihr Gotteshaus, die Synagoge, in der Speicherstraße 1415. Hier wohnte zuletzt Dr. Silberstein als Rabbiner der jüdischen Gemeinde. Der Kantor war lt. Stargarder Adressbuch von 1925 Joseph Wormser. Dr. Silberstein war gleichzeitig Leiter der Religionsschule mit seinem Lehrer Wormser gewesen. In der offiziellen Stargarder Armenkommission waren alle Vorsitzenden der Kirchengemeinden vertreten, so auch Dr. Silberstein unter dem Vorsitz von Bürgermeister Dr. Molkentin. Frau Dr. Silberstein führte den Vorsitz über die jüdische Armendeputation. Der Begräbnisplatz der jüdischen Gemeinde befand sich in der Bergstraße Nr. 1, zwischen dem JohannisRondeel und der Villa Sonnabend. Er ist heute wie viele Stargarder Friedhöfe eingeebnet und zur Parkanlage umgewandelt worden. Die Zerstörung des Friedhofs geschah 1938. Die Jägerstraße, von der Johannis- bis zur Pyritzer Straße, soll früher die Joden- oder Judenstraße gewesen sein.
Gehen wir in der Geschichte etwas zurück, so stellen wir fest, dass zu Zeiten Friedrich des Großen schon Stargarder Juden besondere Verkaufserlaubnisse beim Staat zu beantragen hatten, da sie keinen Zutritt zu den Gilden/Gewerken damaliger Zeit bekamen. Aber bereits 1665 durften jüdische Händler und Kaufleute in Hinterpommern ihren Berufen nachgehen. Die Stargarder Stadtverwaltung widersetzte sich der kurfürstlichen Anordnung und wurde getadelt. 1673 war daraufhin den Juden der Handel in den städtischen Vororten gestattet.
Etwa nach 1690 bildete sich langsam eine jüdische Gemeinde in Stargard/Pom. Durch den erlaubten Wollhandel vor dem Jahre 1700 brachten es Abraham Arend und Levin Josef zu einem gewissen Wohlstand, aber viele ihrer Glaubensgenossen waren noch arme Hausierer. Im Jahre 1812 gab es in der Stadt Stargard 77 jüdische Haushalte, darunter 11 Witwen. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Stargarder jüdische Gemeinde die größte in Pommern. Von 249 im Jahre 1840 stieg die jüdische Seelenzahl bis 1880 auf 558 an.
Von 1876 an trat Dr. Peter Buchholz als Rabbiner der Gemeinde auf. Sein Nachfolger wurde Dr. Wilhelm Wolfssohn. Diesem folgte um die Jahrhundertwende Dr. Emil Silberstein, der sich noch kurz vor Kriegsausbruch auf Umwegen nach Shanghai retten konnte. Um die Jahrhundertwende hatte Stargard bei 26 400 Einwohnern mit etwa 150 Haushalten 620 jüdische Bürger - dies waren über 2% der Gesamtbevölkerung.
Im „Frankfurter israelisches Wochenblatt" vom 14.04.1905 ist über Stargard i. P. zu lesen, dass der Ende März verstorbene Stargarder Rittergutsbesitzer und Bankier Moritz Levy als Spende 10 000 Mark letztwillig den Armen dieser Stadt vermacht hatte, 5000 den jüdischen und 5000 den christlichen Armen!
Der „Orient", die Leipziger Ausgabe Nr. 17 von 1843, schreibt an die Redaktion in Labes/P. am 15. April: „Ich übersende Ihnen hier einen Artikel aus dem Stargarder Wochenblatte, um dessen Aufnahme ich Sie bitte, er lautet: Es ist immer ein erfreuliches Ereignis für uns, auch die jüdischen Bewohner Pommerns fortschreiten zu sehen. Wer vor 30 Jahren mit den Israeliten zusammen kam und mit ihnen in nähere Berührung trat, der erkennt sie nicht wieder, wenn er nicht auf die allmähliche Entwicklung sein Augenmerk richtete. So bauten die jüdischen Bewohner unserer Stadt, nicht viel an der Zahl und nicht reich an Geld, eine Synagoge, die wohl in unserer Provinz, wenn auch größer, so doch nicht schöner, zu finden ist".
Am 30. März 1843 fand die Einweihung derselben statt, zu welcher der Dr. Fränkel, Rabbiner M.- Friedland, geholt und der Magistrat der Stadt Stargard /P. sowie eine große Anzahl hiesiger Bürger und umliegender Gutsbesitzer geladen waren. Dr. Fränkel, selbst ein geborener Pommer, hielt eine Abschiedsrede für die alte und eine Einweihungsrede für die neue Synagoge und schloss mit einem sehr innigen Gebete für König, Vaterland und alle Bürger Preußens. Der Inhalt seiner Gebete und Reden zeugte von viel Humanität und Liebe zum Vaterland. Wir gingen gerührt und erbaut davon mit dem Wunsche, dass die Israeliten unserer Stadt wie die unserer Provinz noch ferner fortschreiten und recht wackere Bürger werden mögen (zum Artikel von E. F. G. Schnell). Dieses schöne jüdische Gotteshaus, die Synagoge, wurde auch in Stargard 1938 auf Befehl erst angezündet und später gesprengt. Diesen Wahnsinn beschreibt Joachim Stampa in seiner 1. Ausgabe „Stargard i. Pommern, Schicksale einer deutschen Stadt. Artikel von Stampa
Zum Schluss will ich einige Sätze aus dem einzigen Brief und dem Lebenszeichen des Walter Silberstein aus den USA, am 31. Dez. 1979 geschrieben an den damaligen Stargarder HKA-Vorsitzenden Joachim Stampa, zitieren: „...Ich habe lange gezögert, ob ich die Beziehungen zur alten Heimat aufnehmen sollte, nach allem was sich zugetragen hatte... Wir haben unsere Heimat verloren, nicht freiwillig, wir sind vertrieben worden. Wir Juden haben unsere Heimat geliebt, wir waren vielleicht bessere Patrioten, denn wir hatten gewarnt, nicht allein unseretwegen. Mein Vater, der Rabbiner, ist nach der Flucht um die halbe Welt in Shanghai im 80. Lebensjahr verstorben. Es waren noch weitere, ca. 50 Mitglieder der Stargarder jüdischen Gemeinde, in der Emigrationsfamilie in Shanghai in den dort für uns von den Japanern eingerichteten Ghettos. Das wir das alles durchgehalten haben, verdanken wir auch unseren guten alten pommerschen Knochen, nun haben wir beide unsere Heimat verloren und wissen was es heißt, heimatlos zu sein. Ihr Vater, der Zeichenlehrer Stampa vom PeterGröning-Gymnasium, war ein prachtvoller Mensch, ein aufrechter Mann.
Ich wünsche uns allen Frieden und schicke Ihnen eine noch von mir gefertigte und gerettete Fotografie der Stargarder Synagoge mit. Der Briefschreiber Max Silberstein, hat auf dem Peter-Gröning-Gymnasium sein Abitur abgelegt und 1931 an der Uni. Leipzig den Diplom-Volkswirt abgeschlossen. Aus dem fernen New York denkt er noch oft und gerne an das Pennäler-Careé -Schieben in Stargard zurück. Danken wir unserem gemeinsamen Gott im Himmel, dass er noch viele Stargarder Juden durch ihre rechtzeitige Flucht aus der Heimat vor der evtl. totalen Vernichtung bewahrt hat.
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