Das Neue Tor
aus: Geschichte der Familie Herrlinger
1695 - 1905
Stargarder Jahresblatt 2001
von Wilhelm Benoit, Geh. Baurat a.D.
und Frau Emma, geb. Schultz
zusammengestellt von H.-J. Torff
Zu einem besseren Verständnis trägt ein Blick auf den Stadtplan 1941 bei.
Nunmehr sollten von Stargard aus zwei weitere Chausseen, die Freienwalde-Polziner und die Zachan-Ruschendorfer, auf Kosten der betreffenden Kreise mit einem Staatszuschuss von 10000 Talern für die Meile zur Ausführung gelangen. Da die Stadt Stargard sich nicht extra noch an den Baukosten beteiligen wollte, so sollten nach den von Neuhaus aufgestellten Projekten die Chausseen wegen der schwierigen Passage nicht durch die Stadt, sondern gemeinschaftlich um dieselbe, auf dem billigeren Wege, durch die Jobststraße und den Werder nach Zartzig und von hier die eine nach Freienwalde, die andere nach Zachan geführt werden.
Zeichnung Jürgen Willbarth
Um den durch die Umgehung der Stadt erwachsenden Nachteil zu vermeiden, beschlossen die Stadtverordneten am 27.03.1841, einen Zuschuss zu gewähren, jedoch nur unter der ausdrücklichen Bedingung, dass die beiden Chausseen gemeinschaftlich durch die Stadt, zum Walltor hinaus, nach dem Windmühlenberge und von hier die eine nach Freienwalde, die andere nach Zartzig und Zachan geführt würde. Dieser Beschluss gab Herrlinger die Gelegenheit, den von ihm längst gehegten Plan, die Anlage des Neuen Tores, zur Durchführung zu bringen. Er war der festen Überzeugung, dass es für die Stadt und für ihre weitere Entwicklung von großem Nutzen sein würde, wenn an der Stelle des jetzigen Neuen Tores, wo damals ein Wohnhaus des Kämmerers Engel und der Stadthof mit den hässlichen Schuppen und Viehställen sich befanden, ein Ausgang aus der Stadt, ein neues Tor, angelegt würde. Zu diesem Zweck mussten die Gebäulichkeiten beseitigt, die Stadtmauer durchbrochen und über die Ihna eine Brücke erbaut werden. Durch das auf diese Weise entstehende Neue Tor würde die lange Strecke der Stadtmauer vom Pyritzer- bis zum Walltore geteilt werden, die Verbindung aus dem Innern der Stadt nach der Wiek und dem Werder, sowie nach den Hausparzellen würde abgekürzt und verbessert, der im Winkel liegende verkehrslose Stadtteil am Ende der Großen Mühlenstraße würde belebt werden, die Grundstücke daselbst im Werte steigen und außerhalb ein ganz neuer Stadtteil entstehen.
Herrlinger machte darauf aufmerksam, dass, wenn die beiden Chausseen durch die Stadt und aus dem Walltor hinaus gehen sollten, wie die Stadtverordneten es beabsichtigten, die aus der Wendenzeit noch herstammenden engen und steilen Straßen, die Schuh- und Pelzerstraße sowie die zwar breite, aber verkehrsreiche Große Wallstraße, durch welche der Chausseetraktus gehen müsste, gar nicht im Stande wären, den durch die Chaussee vermehrten Verkehr aufzunehmen. Die an den Markttagen in diesen Straßen aufgestellten zahlreichen Wagen der mit ihren Erzeugnissen zur Stadt gekommenen Landleute bildeten ohnehin schon häufig Verkehrshindernisse für die Posten und für die Frachtwagen. Diesem Übelstande würde am besten dadurch abzuhelfen sein, wenn beide Chausseen oder wenigstens die Zachaner durch das neue anzulegende Tor und von hier in gerader Richtung auf dem Damm des Brenkenhofkanales nach Zartzig geführt würden.
Zeichnung Jürgen Willbarth
Herrlingers Ideen und Vorschläge fanden unter der Bürgerschaft viel Anklang, und am 11.10.1841 reichte er einen mit 174 Unterschriften aus der Bürgerschaft versehenen sehr ausführlichen Antrag bei dem Magistrat ein, es möge das neue Tor angelegt und die Chaussee von dem Tore aus längs des Brenkenhofkanales erbaut werden. Magistrat und Stadtverordnete lehnten den Antrag ab. Herrlinger ließ sich dadurch nicht abschrecken, sondern kämpfte eifrig in Wort und Schrift für seine Idee gegenüber dem Magistrat, den Stadtverordneten und den Anhängern der Walltorlinie.
Zur Prüfung der Herrling'schen Vorschläge hatte die Königliche Regierung in Stettin einen Lokaltermin in Stargard auf den 7. und 8.12.1841 anberaumt, in demselben waren anwesend der Regierungs- und Baurat Scabell, der Ober-Wegebauinspektor Dühring, der Wegebauinspektor Fromme, der Oberbürgermeister Weier, der Stadtrat Kuß und Herrlinger. Das von den Technikern erstattete Gutachten war den Herrlinger'schen Anträgen günstig, ebenso waren das Königliche Postamt und das Divisions-Kommando sowie mehrere Gutsbesitzer dafür.
Es bildeten sich in der Stadt zwei Parteien, die Walltor- und die Neuetorpartei, die sich gegenseitig bekämpften. Endlich wandten sich die Stadtverordneten mit einer Immediaeingabe an den König. Dieser entschied, dass die Chaussee auf dem kürzesten Wege, d.h. längs des Brenkenhofkanales, erbaut werde. In dem Bescheid des Ministers Beuth vom 19.5.1843 heißt es „es erscheint nicht zweifelhaft, dass die Eröffnung des neuen Tores für die Stadt selbst von wesentlichem Nutzen sein müsse, daher erwartet werden darf, dass die Stadtverordnetenversammlung zu einer anderen Ansicht der Sache gelange, und im wohlverstandenen Interesse ihrer Gemeinde zur Ausführung des nützlichen Projektes die Hand bieten werde." Da aber nichts in's Werk gesetzt wurde, wandte sich Herrlinger am 27.11.1843 wiederum an Magistrat und Stadtverordnete mit Vorschlägen über die günstige Lage des Tores und die billigste Ausführung desselben. Der Oberbürgermeister Weier, sehr beliebt in der Bürgerschaft, hatte sich unter der Wucht der Gründe schließlich auf die Seite der Freunde des neuen Tores gestellt. Sein Nachfolger, der 1844 zum Bürgermeister gewählte Gymnasiallehrer Dr. Teske, war ein Gegner des Projektes und auch in anderen kommunalen Angelegenheiten ein Gegner Herrlingers, der damals Magistratsmitglied geworden war. So verging das Jahr 1844, ohne dass etwas für die Anlage des neuen Tores geschah. Das Publikum wurde ungeduldig und ließ seinen Unmut in den öffentlichen Blättern aus.
Endlich gab der Magistrat dem Verlangen der Behörden und der öffentlichen Meinung nach. Die Anlage des neues Tores geschah, und zwar genau nach Herlingers schon 1843 gemachten Vorschlägen. Ende 1845 konnte die ganze Anlage nebst der Chaussee nach Zartzig dem Verkehr übergeben werden.
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