Die Slawenzeit in Stargard 700 - 1250

Dietrich Otto
Email: dietrichotto@arcor.de

17.1.2011

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Die pommersche Geschichtsschreibung beginnt mit Johannes Bugenhagen (1485-1558), sein Geschichtswerk „Pomerania“ überreichte er 1518 dem pommerschen Herzog Bogislav X., er hatte das Werk im Auftrag des Herzogs angefertigt. 2008 ist das Werk neu herausgegeben worden, außer dem lateinischen Originaltext ist eine deutsche Übersetzung in der aktuellen Rechtschreibung enthalten. Ein Register erleichtert den Zugang. Die pommersche Geschichtsschreibung wird fortgesetzt durch Thomas Kantzow (1505-1542) "Chronik von Pommern". Es liegt eine Ausgabe von 1897 vor in hochdeutscher Mundart. Es folgt Johannes Micraelius (1597-1658). Das Werk „Sechs Bücher vom alten Pommernland“ schrieb er 1639 bis 1640. In der neueren Zeit ist das Buch „Geschichte von Pommern“ (1903) von Martin Wehrmann zum Standardwerk geworden. Eine Neuausgabe von 1982 ist im Buchhandel erhältlich. Die „Geschichte Pommerns“ von Kyra T. Inachin erschien 2008.

Burg Pommernmuseum

Slawenburg um 900 - Pommersches Landesmuseum

Das Standardwerk speziell für Stargard von Felix Boehmer „Geschichte der Stadt Stargard in Pommern“ erschien 1903. Joachim Stampa hat 1978 das Buch „Stargard in Pommern, Stadt der Tore und Türme, Die Wehrbauten“ veröffentlicht. Die aufgeführten Bücher bilden die Grundlage für den nachfolgenden Artikel. Namen werden in den verwendeten Quellen abweichend geschrieben, so Bogeslaw, Bogeslav, Bogislaus. Verwirrend ist, dass die pommerschen und die polnischen Herzöge dieselben Namen bevorzugen. Ebenso variieren in verschiedenen Quellen die Angaben, ob jemand Herzog, Fürst oder König genannt wird.

Stadtplan Stargard 13. Jh.

Stadtplan Stargard 13. Jh. nach Boehmer

Beginn der slawischen Besiedlung

Germanische Stämme verließen ihre Siedlungsgebiete zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert und versuchten, sich in wärmeren Gegenden niederzulassen. Slawische Stämme rückten nach in die teilweise verlassenen Gebiete. Um 600 und in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts siedelten sie östlich der Elbe. Ab Ende des 7. Jahrhunderts und verstärkt im 8. Jahrhundert besiedelten sie die nördlichen Regionen bis hinauf zur Ostsee. Für Pommern kann man demnach eine Besiedlung um 700 annehmen. Die Slawen, die das Gebiet zwischen Weichsel und Elbe besetzten, nennt man auch Wenden. Ab der Zeit Karl des Großen um 800 gab es nachweislich kriegerische Auseinandersetzungen mit den Wenden zwischen der Elbe und Oder. Die führten zu einem zunehmend größeren deutschen Einfluss in diesem Gebiet. Die pommerschen Stämme rechts der Oder waren von diesen Kämpfen vorerst nicht betroffen. Unter  Otto I. (912-973) wurde auch die Missionstätigkeit unter den wendischen Stämmen verstärkt aufgenommen. Als wichtiges Ereignis gilt 968 die Einrichtung des Erzbistums Magdeburg auf wendischem Gebiet. Die Wenden wurden zusätzlich durch die Dänen bedrängt, die sich an der südlichen Ostseeküste festsetzten. Gleichzeitig drangen von Süden die stammverwandten Polen vor, die das Gebiet zwischen Oder und Weichsel entlang der Warthe bewohnten.

Die wendischen Burgen

Die Wenden versuchten ihr Gebiet durch Burgen zu schützen, es waren meistens Niederungsburgen. Anfänge dieser Burgwälle gehen vermutlich auf die germanische Zeit zurück. So bauten die Wenden nach Aussage des arabischen Kaufmanns Ibrahin ibn Ya´qub (961-966) ihre Burgen:

„Sie gehen zu Wiesen, reich an Wasser und Gestrüpp, stecken dort einen runden oder viereckigen Platz ab nach Form und Umfang der Burg, wie sie sie beabsichtigen, graben ringsherum und schütten die ausgehobene Erde auf, wobei sie mit Planken und Pfählen nach Weise der Bastion gefestigt wird, bis der Wall die beabsichtigte Höhe erreicht hat. Auch wird für die Burg ein Tor abgemessen und man geht auf einer hölzernen Brücke aus und ein.“

Die Wälle schließen außen steil ab, sie umschließen ein kesselförmiges Innere. Durch versenkte Bäume musste oft erst einmal ein stabiler Untergrund geschaffen werden. Im Innern befanden sich einfache Holzbauten, das Bauen mit Steinen war den Wenden unbekannt. Nahe der Burg entstanden Ansiedlungen (Flecken), die oft auch durch einen Wall geschützt waren. Die Bevölkerung konnte bei Gefahr zusammen mit Ihrem Vieh in den Burgen Zuflucht finden. Die Burgen waren Zentren von Kastellaneibezirken (Regierungsbezirken). Die natürliche Befestigung durch Sumpf und Wasser hatte einen großen Mangel, sie versagte in der Winterszeit. So eroberte der polnische König Bogeslaw III. 1121 die als uneinnehmbar geltende Stadt Stettin durch das Vordringen über das Eis.

Burg an der Ihna in Stargard

In einer päpstlichen Bestätigungsurkunde für das Bistum Wollin von 1140 werden mehrere Burgen genannt, darunter Stargard. Boehmer äußert sich über den Standort wie folgt:

Burg an der Ihna

Burg an der Ihna nach Stampa

„Ein geschichtlicher Beweis in dieser Hinsicht ist unmöglich, aber alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass der am tiefsten gelegene, etwa wie ein Dreieck gestaltete Teil der Stadt, der von den beiden Armen der Ihna eingeschlossen wird, die Stelle der alten Slawenstadt einnimmt. Das war zweifellos der von der Natur selber am meisten geschützte Ort der ganzen Gegend. Dabei ist zu bemerken, dass früher der östliche Teil der Ihna sich an der Nordostecke der Stadt, beim Weißkopf, nach Westen wandte und sich unterhalb der Stadtbefestigung beim Mühlentor wieder mit dem westlichen, jetzt die Stadt durchfließenden Arm vereinigte. Die Burg wird in dem nordöstlichen Winkel dieses Dreiecks gelegen haben, während der Flecken seinen übrigen Teil einnahm. Gewiss war letzterer längs der Flussufer mit einer Plankenbefestigung umgeben, darin war – wenigstens während der letzten Zeit der Slawenherrschaft – eine Münzstätte und wahrscheinlich auch schon eine Mühle vorhanden, die vom westlichen Arm der Ihna getrieben wurde. Groß genug ist die genannte Örtlichkeit reichlich, um Platz für einen slawischen Burgflecken zu bieten. Spuren von ihm sind nicht vorhanden oder noch nicht gefunden. Zwischen der Stelle der Burg und der Ihna in der Nähe des Mühlentors lag bis zum späteren Mittelalter die Martinskapelle. Möglicherweise ist in ihr das erste christliche Gotteshaus, die Burgkapelle und Pfarrkirche der Slawenstadt zu suchen. Nach Gründung der deutschen Stadt mag sie in ihrer Bedeutung herabgesunken sein.“

Im südlichen Teil des Inseldreiecks liegt das „Land Usedom“, das durch einen kleinen Wasserlauf abgegrenzt war. Auf der Schwatkeschen Stadtkarte von1725 soll dieser Wasserlauf noch eingezeichnet sein. Eine Nachfrage im Pommerschen Landesmuseum ergab, dass diese Karte dort nicht bekannt ist. Auf dem mutmaßlichen Stadtplan von Boehmer am Ende des 13. Jahrhunderts erkennt man eine Insel im westlichen Arm der Ihna, auf der eine Mühle gestanden haben soll. Ferner ist eine Furt zu erkennen, die über beide Ihnaarme führt. Die beiden Ihnaarme vereinigen sich jetzt einen Kilometer östlich des Stadtzentrums.

Burg im Kaholz in Stargard

Micraelius (VI, S. 409) sagt, das feste Schloss habe beim Kaholz zwischen Stargard und dem Dorf Zartzig gelegen. Auf welchem nach einer alten Legende 200 Jahre vor Bischof Ottonis Ankunft (Otto von Bamberg 1124) etlicher erschlagener Christen aufgesteckte Totenköpfe das Gloria in altissimis sollen gesungen haben. Sie sind also als Märtyrer gestorben. Boehmer hält den Gedanken für abwegig, dass die slawische Burg hier gelegen haben soll. Stampa dagegen greift diesen Gedanken auf und versucht zu beweisen, dass es eine zweite wendische Burg gegeben hat, nur 1 bis 2 km von der ersten entfernt. Mit Schloss ist in diesem Fall eine Burg gemeint. Dabei bezieht er sich noch als eine zweite Quelle auf Thomas Kantzow (S. 270 und 285/286). Bemerkenswert ist, dass in beiden Quellen übereinstimmend der Name „Kaholz“ auftaucht. Als genauen Standort der Burg vermutet Stampa eine erhöhte Stelle (22,5 m), die rechts der Zartziger Straße stadtauswärts liegt und wo bis 1945 das Ausflugslokal „Kotelmanns Garten“ stand. Die uns bekannten Flussverläufe von Ihna und Großem Krampehl gab es damals nicht. Der Große Krampehl mündete etwa dort in die Ihna, wo sich jetzt die beiden Ihnaarme trennen. Während des Dreißigjährigen Krieges hatte der kaiserliche Feldherr Piccolomini die Mündung des Krampehl um etwa 3 km zurückverlegt, so dass sein Wasser genutzt werden konnte zum Umfließen der Stadtbefestigungen. Es ist also vorstellbar, dass um Kotelmanns Garten herum ein großes Sumpfgebiet vorhanden war und so der Standort für den Bau einer Burg geeignet war. Stampa macht noch weitere detaillierte Angaben zu der Burg, auf die hier nicht eingegangen werden soll, weil sie sehr spekulativ erscheinen.

Burg Stargard im Kaholz

Burg im Kaholz nach Stampa

Die Germanisierung Pommerns

Von 1102 bis 1138 war Bogeslaw III. (oder Bogeslaus) König von Polen. 1120 überzieht der polnische König Pommern mit Krieg, um die Oberhoheit über das Land zu gewinnen und die Annahme des Christentums zu erzwingen. Er hat das Land verwüstet und jeden Widerstand mit grausamer Gewalt gebrochen. Seine Devise lautete, die Pommern vollständig zu vernichten oder mit dem Schwert zum Christentum zu bekehren. Der pommersche Herzog Wartislaw I. (gestorben 1136) wird tributpflichtig. Wartislaw I. war bereits um 1070 als Kriegsgefangener in Merseburg getauft worden, verbarg jedoch seine Gesinnung vor seinem heidnischen Volke. Unter diesen Bedingungen begann die Christianisierung Pommerns. 1122 macht Bischof Bernhard einen ersten erfolglosen Missionsversuch. 1124 unternimmt Bischof Otto von Bamberg (in alten Schriften Sanct Otto genannt) seine erste Missionsreise durch Pommern. Er handelte im Auftrag von König Bogeslaw III., auch die Zustimmung des deutschen Kaisers Heinrich V. (1086-1125) und des Papstes zu dieser Reise lagen vor. Die Reise war sehr gut organisiert, er brach mit zahlreichem Gefolge auf, es werden in einer Quelle 500 Reiter vermutet. Die militärische Leitung hatte der polnische Adlige Paulicius, der auch in den Verhandlungen mit dem pommerschen Herzog eine Rolle spielte. Mit dem Prunk der Kirche wollte Otto die Heiden beeindrucken, ohne aber Gewalt anzuwenden. Die Kultstätten der Heiden wurden demonstrativ zerstört, um zu beweisen, dass ihre Götter keine Macht besaßen. Um 1080 hatte er sich mehrere Jahre am polnischen Königshof aufgehalten und beherrschte auch die polnische Sprache, so dass anzunehmen ist, dass er direkt auf die Heiden einwirken konnte. Natürlich stand die polnische Bedrohung im Hintergrund.

Stadtplan Stargard Mittelalter

Stadtplan Stargard Ende Mittelalter nach Boehmer

Der pommersche Herzog Wartislaw I. und sein engeres Gefolge waren bereits zum Christentum bekehrt, er hielt sich gerade in Stargard auf, als ihn die Kunde erreichte, dass Otto von Bamberg seine Missionsreise begonnen hatte. Er eilte ihm bis an die Drage entgegen und empfing ihn mit allen Ehren, sicher auch aus Furcht vor der polnischen Macht. In Pyritz taufte Otto von Bamberg die ersten Christen auf pommerschen Boden, von da aus zieht er weiter nach Cammin. Aus zeitlichen Gründen kann es keine weiteren Zwischenaufenthalte gegeben haben. Es ist nicht überliefert, ob er durch Stargard gekommen ist oder eventuell die Route westlich vom Madüsee gewählt hat. Nach Wehrmann kann diese erste Bekehrung aus Mangel an Zeit nur eine äußerliche gewesen sein. Thomas Kantzow dagegen sieht das etwas anders, er spricht von 7000 Bekehrten, mit einer vierzehntägigen Belehrung sei die Taufe eingeleitet worden. Den ganzen Vorgang beschreibt er mit vielen interessanten Einzelheiten. Bugenhagen liefert eine identische Darstellung. Der Erfolg in Pyritz war besonders wichtig im Hinblick auf die weiteren Stationen der Reise. Eine 2. Missionsreise unternahm Otto von Bamberg 1128, diesmal im Auftrag des deutschen Königs Lothar III. (1075-1137). Diesmal kam er aus Richtung Mageburg, es wurden längs des Weges Verpflegungsstellen eingerichtet, um zu vermeiden, das Land auszuplündern. Der polnische König Bogeslaw III. starb 1138, Polen wurde in Teilfürstentümer aufgeteilt und sein Einfluss auf Pommern ging zurück.

Das Kloster Kolbatz, 20 km südwestlich von Stargard gelegen, wurde 1173 gegründet, dänische Mönche ziehen dort ein. Das Kloster Marienfließ östlich von Stargard gelegen wurde 1248 gegründet. Speziell für Stargard ist die Niederlassung des Johanniterordens etwa 1187 in Stargard von Bedeutung. Der pommersche Herzog Ratibor (bis 1156) hatte die Johanniter ins Land gerufen, ihre erste Niederlassung war in Schlawe um 1150. Sie erhielten in Stargard ein Grundstück zugewiesen, auf der jetzt die Johanniskirche steht. In den ihnen verliehenen Dörfern, unter anderem Zartzig und Klützow, durften sie deutsche Auswanderer aufnehmen. Eine ähnlich große Bedeutung hat die Gründung des Augustinerklosters. Bugenhagen schreibt dazu:

"Darüber hinaus siedelte Kasimir I. (n. 1130-1180) Ereminiterbrüder an einem Platz vor seiner Stargarder Burg an, denen er in Einvernehmen mit seinem Bruder Bogislaw I. (um 1130-1187) dort selbst ein Grundstück für Gartenanlagen gab und für Gebäude, die für das kleine Landgut errichtet werden mussten."

Diese aufgeführten geistlichen Aktivitäten haben die deutsche Einwanderungswelle in der zweiten Hälfte 12. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts vorbereitet. Hinzu kam die positive Einstellung der pommerschen Herzöge. Sie waren daran interessiert, in das dünnbesiedelte Land deutsche, höher qualifizierte Menschen aufzunehmen. Das versprach auch mehr Einnahmen. Die vollständige Umwandlung in eine deutsche Stadt vollzog sich von 1230 bis 1300. Die Zunahme der Einwanderung von deutschen Adligen erfolgte in dieser Zeit. Sie erreichten Positionen von Ratgebern, Gefolge und Beamten der Fürsten, der Einfluss der polnischen Adligen war zurückgedrängt. Die Burgen entsprachen nicht mehr den militärischen Anforderungen, sie wurden abgerissen, in Stargard erfolgte das 1295 auf Anordnung des Herzogs Bogislaws IV., des Nachfolgers von Barnim I. (1222-1278), der Stargard 1243 das Stadtrecht verliehen hatte. Es begann der Aufbau der Stadtmauer, der das ehemalige Burgenviertel umschließt. Bei Bugenhagen steht dazu geschrieben:

"Auch einige vom Alter zermürbte Burgen sind durch die Armut der Bewohner oder auf Grund der Vernachlässigung durch diese zusammengestürzt, bei anderen scheint der Standort jetzt als wenig geeignet, so wie es offensichtlich bei der Burg Stargard an der Ihna ist, welche um das Jahr der Fleischwerdung des Herrn 1295 der edle Fürst Bogislaw IV., den man nicht genug preisen kann, in dem Bestreben, seinen verdienten Bürgern zu gefallen, zerstörte und dem Erdboden gleich machte, wobei er der Stadt das Burggelände überließ."

In dem Kapitel "Einige Städte in Pommern" erwähnt Bugenhagen u.a. Pyritz, das als erste Stadt Christi Siegeszeichen eingeführt hat. Zu Stargard schreibt er:

"Stargard am Fluss Ihna, dessen Treue gegenüber den Fürsten und dessen großartige Taten gegen die Feinde des pommerschen Stammes und dessen Gerechtigkeit beim Züchtigen der Bösen noch jetzt in aller Munde zu hören ist, und das lange Zeit mächtig gewesen ist, hat noch nicht aufgehört, mächtig zu sein."

 

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