Joachim Stampa
Stargard in Pommern Stadt der Tore und Türme
Die Wehrbauten 1976
Ich sagte es schon: Stargard in Pommern ist nicht aus einer Alten Burg hervorgegangen, sondern aus zweien. Die im Kaholz gelegene haben wir im voraufgehenden Abschnitt kennen gelernt, jetzt geht es zur Alten Burg up de Ihna. Dieser Ausdruck up hat mich schon von je her stutzig gemacht, aber es hat sehr lange gedauert, bis ich mir einen Vers darauf machen konnte. Das kleine Wort erinnert immer an die schöne Stadt Rothenburg ob der Tauber. Wer einmal dort gewesen ist, weiß es: Die Stadt liegt sehr hoch über dem Fluss Tauber, dessen Tal hier rund siebzig Meter tief eingeschnitten ist. Ist das denn in Stargard auch so? Heute nicht mehr, aber vor Jahrhunderten schon!
Das oben stehende Bild zeigt die Stelle, wo bisher die Alte Burg der VVendenfürsten gelegen haben sollte. Hier steht der Weißkopf hoch über dem Tal der Ihna, welches erst 1780 bei der Mühlenverlegung und der anschließenden Ihna-Regulierung wieder zugeschüttet worden war. Und es wurde immer als selbstverständlich angesehen, dass die Alte Wendenburg dort oben an der höchsten Stelle der Ihna-Insel oben drauf gebaut worden war. Und dem ist nicht so! Wohlgemerkt: Dieser Plan ist anfechtbar, er ist angenommen, aus meinem Nachdenken entstanden. Ich will ihn erklären: Der interessantere Lauf ist der der Ihna. Dieser Fluss kommt am unteren Bildrand genau in der Mitte von Süden und teilt sich vor einer dreieckigen Insel, auf der später Land Usedom erbaut wurde. Der linke Arm, der spätere Stadtarm enthält nach einigen hundert Metern eine kleine Insel, auf welcher später die Stadtmühle stand. Er fließt dann unbehelligt nach Norder weiter und vereinigt sich außerhalb des Kartenbildes mit dem rechten Ihnaarm.
Dieser rechte Ihnaarm wäre wohl gerne geradeaus geflossen, wenn ihn daran nicht der von rechts her einmündende Große Krampehl zu einer Linksschleife abgedrängt hätte. Diese Schleife wurde der spätere Gänsegraben. Hinter der Brücke oder Furt (beim Walltor) fehlt nun in der Zeichnung der scharfe Knick nach links, und der Flussabschnitt zwischen (später) dem Weißkopf und dem Mühlentor. Ja, ich wüsste beim allerbesten Willen nicht, was die Ihna wohl hätte veranlassen sollen, hier einen so scharfen Knick zu bilden. Ein Prallhang, der im Wege gestanden hätte, ist nicht vorhanden, und so nehme ich an, dass dieses Flussbett erst später künstlich hergestellt wurde. Hier wurden die gewaltigen Erdmassen entnommen, die zur Aufschüttung der Burg benötigt wurden, später unter Piccolomini nochmals zur Anlage des Weißkopf-Rondeels und des Nordwalls. Vorher war hier alles tischebenes Land.
Die germanischen Völkerschaften, die vor den Wenden hier gewohnt haben, hatten sich auf dem flachen, ebenen Boden des nördlichen Teiles der Ihnainsel (die damals noch keine Insel war), ihre Wohnplätze angelegt, die möglicherweise nicht an der späteren Stadtmauer halt gemacht hatten, sondern vielleicht bis zur Klappholzgasse hin gereicht haben. Durch Bodenfunde aus der gesamten Nachbarschaft Stargards ist bezeugt, dass in dieser Gegend seit der Mittelsteinzeit Menschen gewohnt haben. Diese Ansiedlungen haben ihre Spuren hinterlassen, darunter sicherlich viele, die noch unbekannt, nicht ausgegraben worden sind. Allgemein wird die Landnahme durch die Wenden auf das Jahr 700 gesetzt. Erst dann können die ersten Anstrengungen zur Anlage einer höher gelegenen Burg gemacht worden sein. Das würde bedeuten, dass bereits 5000 bis 6000 Jahre lang vorher hier Leute gewohnt haben und ihrem Tagewerk nachgegangen sind. Das kann nicht ohne Spuren abgehen. Sicherlich liegen darum hier bereits aus dieser frühen Epoche mehrere Siedlungshorizonte übereinander auf dem gewachsenen Boden der Ihna-Wiesen. Ich schätze, dass der zuunterst liegende mindestens 8m unter der Nordmauerstraße liegen müsste. Wenn man dann rechnet, dass jedes Jahrtausend einen Meter Erhöhung mit sich bringt, z.B. durch Brandreste oder Zivilisations-Abfall, Schutt und Dreck, so hätte dieser Teil zu der Zeit, als die Wenden anrückten, bereits sechs Meter aus der einstigen Ebene herausgestanden. Man müsste graben können! Was würde sich da wohl alles herausstellen!
Den Nordrand dieses von mir angenommenen Siedlungsgebietes bildete ein flacher Abhang, und im Süden ging ein großer Wall, ein Damm, ein Deich von Ufer zu Ufer, der die Aufgabe hatte vor den Frühjahrsfluten, die regelmäßig mit starkem Eisgang eintraten, zu schützen und gleichzeitig auch einen erhöhten Weg durch das oftmals nasse Gelände zu sichern.
Als dann um 700 der Wachwechsel kam und die Wenden die Germanen ablösten, bauten die neuen Herren auf den Ruinen ihrer Vorgänger ihre Häuser auf, ebneten den liegengebliebenen Kulturschutt ein, gruben sich neue Brunnen und wohnten von nun an zwischen den beiden Ihnaarmen im Schutze ihres Fürsten, der mal hier, mal da residierte.
Als dann gut hundert Jahre später die Normannen erschienen und das Land allenthalben unsicher machten, flüchteten die wendischen Dorfbewohner in den nahe gelegenen Urwald des Kaholzes, ließen ihr Gehöft und ihre Habe im Stich und gruben sich dort neu ein. Die Wikinger kamen aber nicht nur einmal, sondern öfter, denn hier war wohl etwas zu holen. Sehr bald hatten sie heraus, wie es die Wenden machten, und setzten sich auf halbem Weg zwischen dem offenen Flecken und der Burg im Kaholz in Wiek und Werder an dem Ihnaufer fest. Mit List und Gewaltaktionen hoben die Wenden zwar Wickinger dort aus, aber neue Horden erschienen, trieben es wüster als bisher.
Schließlich wusste der wendische Fürst sich nicht mehr anders zu helfen, als dass er auf dem bisherigen Wohnplatz zwischen den Ihnaarmen ebenfalls eine Burg errichten ließ. Hier wurde das Grundkapitel Niederungsmotte aber gleich überschlagen und dem Gelände angepasst eine Kernmotte angelegt. Das benötigte Erdreich dazu gruben die Wenden an der Nordseite ihres Wohnfleckens aus und schufen sich damit gleich zusätzlichen Wasserschutz auf der bisher offenen Nordseite. Schließlich wurde auch hier zwischen 900 und 1100 eine Hochmotte aufgefahren, deren Abmessungen aus der beigefügten Zeichnung zu ersehen sind. Mit dieser gewaltigen Arbeitsleistung war der bisher als original angesehene Ihnaflusslauf, an der Nordseite des höchsten Punktes der Ihnainsel geschaffen, welcher dann im deutschen Mittelalter als Hafen Stargards verwendet wurde. Als schließlich im 30jährigen Kriege die großen Erdbefestigungen angelegt wurden, verbreiterte der damit verbundene Bodenaushub diesen Ihnateil auf rund fünfzig Meter Breite bei 250 Metre Länge. Die daraus gewonnenen 12500 cbm Erde (bei nur einem Meter Aushub) reichten jedoch noch nicht aus um die Befestigung aufzutürmen. So wurde an der Ostseite der jetzigen Insel noch an zwei Stellen der Flusslauf begradigt, nämlich beim Gänsegraben, der nun wirklich zu einem Graben herabsank, und zwischen dem späteren Walltor und dem Weißkopf. Durch den Großen Wall hatte der südliche Inselteil die Funktion der Vorburg zu übernehmen. Hier wohnten demnach die leibeigenen Knechte, die die Ländereien zu bewirtschaften hatten.
In der Hochmotte war ausgiebig Platz für alle möglichen Gebäude, unter denen das Haus des Fürsten eine herausgehobene Stellung einnahm. Aber es soll darin auch ein heidnischer Wendentempel gestanden haben. Das erste christliche Heiligtum, die Martinskapelle, fand ihren Platz in der freien Stelle zwischen der Hochmotte und dem westlichen Palisadenwall.
Diese christliche Kapelle blieb nach Beseitigung der Motte 1295 weiter bestehen. Das ist der Grund dafür, dass bei der Abtragung und Einebnung des hohen Burgberges das Gelände vom Weißkopf zum Stadtarm hin so abschüssig geworden ist. Natürlich dachte niemand daran die Erde wieder dort hin zuschütten wo sie entnommen worden war, also in das Flussbett, sondern man ebnete die Stelle dort ein, wo sie jetzt lag. So entstand der höchste Punkt in der Nordostecke der Ihnainsel. Der Fürst hatte auf seiner Burg Stargard up de Ihna tatsächlich 18 bis 20 m über dem Flussbett gewohnt. Das sind zwar nicht 70 m wie in Rothenburg ob der Tauber, aber der Name ist doch durchaus gerechtfertigt gewesen. Es ging bei der Namensgebung damals nur um die Lage des Fürstenhauses, nicht um das der übrigen Wenden. Als die Burg beseitigt worden war, begann der Bau der ersten Stadtmauer.
Eine Motte (französisch motte „Klumpen“, „Erdsode“; Aussprache „mott“) ist ein vorwiegend in Holzbauweise errichteter mittelalterlicher Burgtyp, dessen Hauptmerkmal ein künstlich angelegter Erdhügel mit einem meist turmförmigen Gebäude ist.
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