Stargard's Wallanlagen und Piccolomini
Hans Hoffmann, Stargarder Jahresblatt 2001
Zu den Klassikern der Schullektüre gehörte früher im Deutschunterricht das dramatische Werk Friedrich von Schillers„Wallensteins Lager - Die Piccolomini - Wallensteins Tod".
Octavio Fürst Piccolomini d´ Aragona,
Herzog von Amalfi
Im Gegensatz zu anderen vorgegebenen Lesestoffen nahmen die Schüler diese Dichtung ihrer Lebendigkeit wegen gerne an, ja manche sogar mit Begeisterung.
Bei dieser Aufgeschlossenheit hätte es nahe gelegen, dass die Lehrer auf die Heimatgeschichte eingegangen wären. Vielleicht wussten sie nicht, dass der auf der Theaterbühne erscheinende Oktavio Piccolomini zeitweilig in Stargard während des Dreißigjährigen Krieges in Person aufgetreten war. Er wurde nicht erwähnt, und daher mag es von Interesse sein, heute den hinterlassenen Spuren dieses bemerkenswerten Mannes nachzugehen. Wer war er und woher kam er ?- Was hat er in seinem Leben vollbracht und das ganz besonderes im Hinblick auf Stargard. Wir müssen weit ausholen:
Die Piccolomini zählten zu den bedeutenden italienischen Adelsgeschlechtern des Mittelalters in Rom und Siena. Auf Grund ihres Einflusses erlangten zwei Mitglieder dieser Familie im 15. Jahrhundert die Papstwürde als Pius II. und Pius III. Diese klerikale Beziehnung darf man nicht außer Acht lassen, denn sie hat im Leben des 1599 geborenen Oktavio Piccolomini eine wesentliche Rolle gespielt.
Er entwickelte kein Verlangen nach geistlichen Ämtern und Würden und wählte als Siebzehnjähriger den Kriegsdienst unter spanischen Fahnen in Italien. Der bald 1618 ausbrechende Dreißigjährige Krieg verschlug ihn nach Böhmen, den Niederlanden und Deutschland. An selbstbewussten Auftreten und an Mut mangelte es ihm nicht und ebenso nicht an Beziehungen. Nach Bewährung in verschiedenen Regimentern und auf Grund von Empfehlungsbriefen eines hochrangigen kirchlichen Würdenträgers übernahm ihn 1627 der kaiserliche Generalissimus und Feldherr Albrecht Wenzel von Wallenstein Herzog von Friedland als Kommandeur seiner Leibgarde und ernannte ihn zum Obristen.
1627 war das Jahr, in dem Wallenstein mit seinem Heer durch Norddeutschland bis zur Ostsee vorstieß und die für ihn wichtige See- und Handelsstadt Stralsund vergeblich belagerte. Gleich zu Anfang dieses Unternehmens wurde auch Hinterpommern von den Kaiserlichen als neutrales und „befreundetes" Herzogtum mit acht Regimentern ohne Gegenwehr besetzt. Eines dieser Regimenter, das Piccolomini befehligte, quartierte sich in Stargard ein, und er selber übernahm die Stellung des Stadtkommandanten.
Schon bald klagte die Bürgerschaft über die Gewalttätigkeiten der Soldaten sowie über die zupackende Art des Italieners. Unter dem Vorwand eines im Streit mit den Einwohnern getöteten Fähnrichs setzte er den Stadtrat ab - er konnte nun nach Gutdünken schalten und walten - führte das Kriegsrecht ein und erpresste ein Sühnegeld von 30 000 Talern, die er als seine Beute vereinnahmte. Selbst Wallenstein, im Nehmen sonst nicht wählerisch, missbilligte das rüde Vorgehen seines Obristen und befahl, den Übergriff zwecks Bestrafung des Täters zu untersuchen. Allein, die Angelegenheit verlief im Sande. Piccolomini hatte nicht nur in Rom gute Freunde, sondern auch wohlwollende Fürsprecher am kaiserlichen Hofe in Wien, die gemeinsam neben Verzeihung von höchster Stelle auch noch eine Beförderung zum Obristen zu "Ross und Fuß" durchsetzten. Er kommandierte nun zwei Regimenter.
In solcher ausgezeichneten Weise in seinem Tun bestätigt leitete er dann mit Wissen oder auf Befehl Wallensteins die Erweiterung der bis dahin mittelalterlich aus einem Mauerring mit Toren und Türmen bestehenden Stargarder Stadtbefestigungen ein.
Die Einführung der Feuerwaffen hatte es ermöglicht, die alten ungedeckten Wehrbauten aus der Ferne durch direkten Beschuss mit Kanonen zu zerstören. Um sie solcher Bedrohung zu entziehen, war es üblich geworden, vor den Mauern weite, tiefe Gräben auszuheben, und die dabei gewonnene Erde zu hohen Schutzwällen mit Brustwehr und breitem Wallgang aufzuschütten. Auf diese Art wurde zusätzlich Platz zum Aufstellen von leichten Geschützen geschaffen, den die schmale Mauerkrone nicht bieten konnte. Auch die Türme verloren an Bedeutung. Ihre bisherige Aufgabe übernahmen die aus der Wallfront vorspringenden, sternförmigen Bastionen und Rondelle. Von hier aus beherrschten großkalibrige Kanonen das Vorfeld.
Die damals entstandenen Festungsanlagen hat der Stargarder Joachim Stampa in seinen aufschlussreichen Büchern eingehend geschildert. Hiervon sind besonders hervorzuheben:
- Das Verlegen des Flussbettes der Ihna aus dem südlichen, sumpfigen Vorfeld bis dicht an die Südmauer. Der Erdaushub ergab den heute sehr abgeflachten Weidensteig.
- Das Aufschütten eines Walles von der Ihna bis zum Vorwerk des Pyritzer Tores und von dort weiterer zwei hintereinander gestaffelte Wälle längs der Hindenburgstraße bis zum Anschluss an das Johannistor.
- Die Anlage des großen Rondells vor der Johanniskirche als Kernpunkt der Festungsbauten.
- Der Nachtigallensteig als hoher Schutzwall der Nordmauer bis zum Mühlentor. Die Geländeform erlaubte es hier nicht, zwischen der Mauer und dem Wall einen Graben anzulegen.
- Als letzter herausragender Stützpunkt sei noch das kleine Rondell vor dem Weißkopfturm genannt. Mancher wird aus Kindertagen sich noch erinnern, hier mit dem Schlitten hinuntergerodelt zu sein.
Bei den erheblichen Bauarbeiten rund um die Stargarder Altstadt konnte Piccolomini wohl seine Soldaten als Vermessungs- und als Aufsichtspersonal einsetzen, aber für die Erdbewegungen griff er auf die vorhandenen Arbeitskräfte zurück, auf die ohnehin drangsalierten Bürger und die geplagten Bauern der Umgebung. Harte Fronarbeit war angesagt.
Stadtmauer mit Eisturm und Blockhausturm, rekonstruiert 2013
Lange kann er sich in Stargard nicht aufgehalten haben, denn Wallenstein beauftragte ihn schon im Frühjahr 1629 mit verschiedenen Sonderaufgaben und schickte ihn im Herbst auf den oberitalienischen Kriegsschauplatz. Dort plünderte er nach der Eroberung Mantuas im trauten Verein mit den Generälen Gallas und Aldringen mit großem Gewinn die Kunstschätze des Feenpalastes. Das geschah fast auf den Tag genau, als sich in Stargard die von ihm begonnenen Festungsbauten als nutzlos erwiesen, und das kam so:
Schon 18 Tage nach dem Eintritt Schwedens in den Krieg auf Seiten der protestantischen Kräfte, nach der Landung des Königs Gustav Adolf mit seinem Heer in Peenemünde, griffen seine Truppen von Stettin kommend, also von Westen her, am 14. Juli 1630 die Stadt an. Zwar konnten sie im Frontalangriff die neuen Schanzen nicht bezwingen, vielleicht war es nur ein Scheinmanöver, eine Finte. Jedenfalls fiel die Entscheidung zu ihren Gunsten auf der gegenüberliegenden Ostseite, dort wo unter der Führung ortskundiger, junger Stargarder eine schwedische Abteilung durch den verborgenen Auslass des Gänsegrabens die Mauer überwand, die Wachen überwältigte und das nahe Walltor nachdrängenden Soldaten öffnete. Die Kaiserlichen gerieten in arge Bedrängnis und durften, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, als Verlierer abziehen. Sie hatten durch schlechte Behandlung der Einwohner ihre Niederlage selbst verschuldet.
Nun konnten die Menschen wieder aufatmen, doch war damit noch nicht das Ende ihrer Leiden und Nöte erreicht. Nur wenige Jahre dauerte es, bis der Krieg wiederkehrte und die schwedischen Verteidiger durch Unvorsichtigkeit am 7. Oktober 1635 den Großen Brand auslösten. Jetzt versank die Stadt in Schutt und Asche. Piccolominis Festungsbau hatte keiner Seite Vorteile eingebracht, aber das vormals blühende Gemeinwesen zerstört. Ein Zeitzeuge, der Präpositus Engelke berichtete:
„Darüber also die ganze Stadt nebst Kirchen, Schule und Rathaus ganz aufgingen und voraus auch diese schön gebauete und wohlgewesene, ausstaffierte Kirche St. Marien, durch Brand zernichtet ward, Turm, Glocken, Gewölbe und alles, was da war, herunterfiel, und also nichts denn ein elender Steinhaufen übrig blieb. Was für herrliche Gebäude und Häuser in dieser Stadt waren, so mit zernichtet, ist nicht allhie zu beschreiben, der Schade ist nicht zu schätzen, denn was Stargard für eine Stadt zu der Zeit gewesen, werden unsere Nachkömmlinge kaum glauben, was für herrliche Häuser darinnen vorhanden, wissen nur alleine, welche es gesehen."
Zum Stargarder Geschehen sind der Vollständigkeit halber Piccolominis andere Taten sowie sein verderblicher Einfluss auf den Fortgang des Krieges nachzutragen. - Er erfuhr den strahlenden Glanzpunkt seines Lebens, als er in der Schlacht bei Lützen am 16.November 1632 durch sieben verwegen vorgetragenen Reiterattacken sich als Held des Tages auszeichnete, eben an dem Tag, als der schwedische König Gustav Adolf sein Leben verlor und in der Folge Wallensteins kometenhaft aufgestiegener Stern zu sinken begann. Diesem, krank und ausgelaugt, nach der glücklosen Schlacht tief enttäuscht, wurde bewusst, dass ein vollständiger Sieg nicht mehr zu erreichen war und suchte den Frieden mit seinen Gegnern. Dabei machte er den verhängnisvollen Fehler, neben seinem Wohlwollen auch sein ganzes Vertrauen dem nun berühmten Piccolomini zu schenken. Der hatte schon zuvor spionierend sich für Rom betätigt und erkannte jetzt auf Grund seiner heimlichen Verbindungen die Zielsetzung des kaiserlichen Hofes in Wien und damit die Gelegenheit, in Pflichterfüllung (?) und zum eigenen Vorteil seinen Gönner zu stürzen. Hierzu verband er sich mit den ihm wohlbekannten Truppenführern Gallas und Aldringen und schuf mit ihnen die Voraussetzungen, die am 25. Februar 1634 in Eger zur Ermordung des Friedländers führten.
Fortan sonnte sich Oktavio Piccolomini in der Gunst des Wiener Hofes. Er erhielt Besitz aus dem Nachlass des Ermordeten, wurde in den Reichsgrafenstand versetzt und ihm vom spanischen König der Titel Herzog von Amalfi verliehen. Ehren über Ehren! - Selbst Rückschläge wie die verlorene Schlacht bei Breitenfeld nahe Leipzig (1642) konnten sein Ansehen nicht schmälern. Schließlich beförderte ihn der Kaiser noch zum Oberkommandierenden aller seiner Streitkräfte und erhob ihn in den Fürstenstand.
Kurzum, Piccolomini verkörperte in seiner Person ganz, was man unter dem mehrdeutigen Wort Glücksritter versteht. Er ging wie nur ganz wenige aus allen Gefahren und Missetaten des 30-jährigen Krieges als Gewinner hervor.
Bleibt nur noch die Frage: „War es Glück oder Ironie des Schicksals, dass er in seinem 57. Lebensjahr
ohne zu leiden, aber als sattelfester Reitersmann nur beim Sprung zu Pferd über einen Graben zu
Tode stürzte ?" -
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