Christuskirche
Joachim Stampa:
"Stargard in Pommern und seine Gotteshäuser" 1975
Seit 1648 der Friede von Münster und Osnabrück den Dreißigjährigen Krieg beendete, gehörte Stargard mit seinem Hinterland zum Kurfürstentum Brandenburg, dem späteren Königreich Preußen. Der erste Herrscher aus dem Hause Hohenzollern war Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst. Er gehörte der evangelisch reformierten Kirche an, war also kein Lutheraner. In seinen Staatsämtern beschäftigte er viele Reformierte, und er war auch in seinen Staatsgrenzen ihr oberster Kirchenherr. Die Hugenotten, von denen es so viele in Stargard gegeben hat, sind ebenfalls Reformierte.
Erst 1819 wurde zwischen den Reformierten und Lutheranern eine Union geschlossen. Während in unserer Zeit kaum noch ein Unterschied in den beiden Konfessionen zu spüren war und die Geistlichen sich gegenseitig vertraten, war das Zusammenleben vor. der Union zum Teil recht beschwerlich, denn gelegentlich ließen die lutherischen Untertanen die reformierten Staatsdiener gern ihre gesellschaftliche und zahlenmäßige Uberlegenheit spüren. So auch in Stargard.
Christuskirche - Bild aus Stargarder Jahresblatt 2000
Wie bereits oben angeführt, kamen die ersten Reformierten nach Stargard, als der Kurfürst die Provinzialbehörden der Bequemlichkeit halber von Kolberg hierher verlegte und unter den neuen Behördendienern verhältnismäßig viele Angehörige dieses Bekenntnisses waren. Mit der Verlegung der Ämter von Kolberg nach Stargard hatte der Fürst auch seiner Stadt Stargard wieder auf die Beine helfen wollen, denn sie hatte durch den Dreißigjährigen Krieg und durch nachfolgende Großbrände sehr gelitten. Der Behördenumzug hierher geschah auf kurfürstlichen Befehl im Jahre 1668, und schon zu Beginn des folgenden Jahres ging der große Umzug los. Es war vor allem nicht einfach, die neuen Behörden und die dazugegehörigen Beamten und Angestellten in der verwüsteten Stadt räumlich unterzubringen. In dieses Jahr 1669 fällt somit der Beginn der reformierten Gemeinde in Stargard.
Deren Presbyterium wandte sich an die lutherische Kirchenbehörde und an den Rat der Stadt und beantragte Zuweisung einer Kirche für ihre Gottesdienste. Nun war daran in der Stadt wahrhaftig kein großer Mangel, aber die Anwesenheit der Reformierten und ihre spontane Aktivität an sich war den Einheimischen ein Dorn im Auge, und gleich die erste Entscheidung säte Unfrieden. Anstatt eine der Gemeindestärke angemessene Kirche zu benennen, verwies man die Gemeinde an die St.Georgs-Kapelle in den Ihnawiesen vor dem Pyritzer Tor. Zwar war diese seit der Reformation in Pommern unbenutzt liegen geblieben und in einem entsprechenden Verwahrlosungszustand, aber das kümmerte die starrköpfigen Herren im Rat keine Spur. Es sah geradezu nach Schikane aus.
Neben den baulichen Mängeln war es vor allem die räumliche Unzulänglichkeit und die Uribequemlichkeit der Lage draußen vor den Toren, ohne Schutz und ohne Wohnmmöglichkeiten für Kirchenbedienstete, was die Reformierten erbitterte. Zwar wurde mit Finanzhilfe des Landesherren ein wenig Ordnung in das kleine Gebäude gebracht, aber auf die Dauer musste das alles unerträglich werden. Auch der Weg aus der Stadt zur Kapelle war außerordentlich lang und beschwerlich, vor allem bei schlechtem Wetter oder Schnee. Der Kirchenbesucher musste ja stets durch das Pyritzer Tor gehen, welches bei Sonnenuntergang geschlossen wurde. Dies war auch eine unerträgliche Behinderung, man denke nur an Weihnachten und die Wintergottesdienste überhaupt. Alle Landstraßen waren unbefestigt, und manchesmal wird man kaum durch den Dreck haben hindurchwaten können. Ohne Laterne in der Hand war nach Einbruch der Dunkelheit damit zu rechnen, dass jemand ausglitt und stürzte. Die Kapelle war ja nicht für Gottesdienstbesucher aus der Stadt hier errichtet worden, sondern für die Hospitaliten.
Jetzt zeigte sich, dass die Reformierten auf Grund ihre Glaubenseinheit mit dem Kurfirsten doch am längeren Hebel saßen. Trotz des Widerstandes der Stargarder Alteingesessenen und der lutherischen Geistlichkeit befahl der Kurfürst 1682 die Übergabe der Augustiner-Klosterkirche an die reformierte Gemeinde. Dieser Ton des neuen Landesherren passte den Stargardern durchaus nicht in den Kram. Sie waren bisher ihrem Pommernherzog gegenüber immer ziemlich unabhängig und eigenwillig aufzutreten gewohnt gewesen. Aber sie fügten sich wohl oder übel. Der Kurfürst stellte auch Geldmittel für die Wiederherstellung bereit. Jetzt war die neue Gemeinde zufrieden und benutzte die Klosterkirche durch 194 Jahre bis 1806 und begrub auch ihre Toten auf dem zugehörigen Klosterfriedhof.
Durch den Einmarsch Napoleons wurde dem ein Ende gemacht. Die welsche Besatzung beschlagnahmte nämlich die gesamte Klosterkirche, verwies die Gemeinde daraus und richtete in der Kirche ein Heu- und Strohmagazin ein. Die Gottesdienste wurden daraufhin provisorisch in den Saal der Freimaurerloge in der Königstraße (damals noch Wollweberstraße) verlegt. Aber auch von dort wurden sie durch die Franzosen vertrieben. Französische Offiziere nämlich hatten in dem Kirchensaal unanständige Handlunge vorgenommen, und die Reformierten zogen aus, diesmal in den großen Hörsaal des Groeningschen Collegium unmittelbar nördlich der Klosterkirche. Das war im November 1807. Es folgten lange und unerfreuliche Streitigkeiten. Am 26.Mai 1819 wurde endlich durch einen Vertrag ein Schlussstrich gezogen. Die Stadt stellte den Hörsaal des Gymnasiums weiterhin zur Verfügung und sagte zu, falls dies eines Tages unmöglich werden sollte, die Johanniskirche als gemeinsamen Gottesdienstraum zur Verfügung zu stellen gegen Zahlung von einem Drittel der Unterhaltskosten für die Johanniskirche. In diesen Jahren der „Aufklärung" lag das kirchliche Interesse in Stargard und in aller Welt so darnieder, dass die Gegnerschaft einem Desinteresse gewichen war. Auch über den Begräbnisplatz kam es zu einer Einigung. Seitdem hat Friede unter den evangelischen Gemeinden geherrscht.
Zwar brauchte die reformierte Gemeinde nicht die Johanniskirche in Anspruch zu nehmen, aber die Odyssee war noch nicht zu Ende Die Gemeinde erwarb nämlich das Grundstück Pyritzer Straße 10 und richtete in dem dort vorhandenen für sakrale Zwecke im Mittelalter errichteten Hintergebäude einen eigenen Gottesdienstraum ein. Dies Unterkommen war aber äußerst beengt, und das Presbyterium sann unaufhörlich über eine Änderung und Besserung nach.
Die Irrfahrt ging erst zu Ende, als 1892 die Lehrerwitwe Schleiffer eine Geldsumme stiftete und damit eine eigene Kirche gebaut werden konnte. Im Inneren war das Gestühl amphitheatralisch ansteigend so angeordnet, dass die Blickrichtung nur nach Süden auf den dem Portal gegenüberstehenden Altar ging. Dort stand eine überlebensgroße Kopie des Segnenden Christus von Thorwaldsen. Über dem Eingang stand auf einer geräumigen Empore die Orgel. Hier war auch für einen Chor Platz. Die Orgel hatte zwei Manuale, aber nicht viele Register. Ich habe sie des öfteren zu Gottesdiensten gespielt , wenn Fräulein Correns, die Organistin, verhindert war.
Der letzte Geistliche mag als Beispiel für die Harmonie zwischen Reformierten und Lutheranern aufgeführt werden: Pastor Buchwald wohnte Garten an Garten mit meinen Eltern. Als die Pfarrstelle von Heilig-Geist durch den Tod des Pastors Polzenhagen verwaist war, hat er dort regelmäßig alle lutherischen Amtshandlungen versehen und auch die Konfirmanden, zu denen ich damals zählte, unterrichtet, bis Pastor Schumacher aus Sallentin Kreis Pyritz als neuer Pfarrer von Heilig-Geist eingesetzt war.
Meiner Erinnerung nach hatte die Christuskirche in ihrem nadelspitzen Turm auch eine Glocke hängen mit hellem Klang. Diese Glocke ist ebenfalls im Zweiten Weltkrieg zum Einschmelzen abgeliefert worden und nicht wieder aufgetaucht. Die Kirche ist heil geblieben und steht noch heute. Über ihre Verwendung ist mir bisher nichts bekannt geworden.
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