Erinnerungen an das Stargarder Heimatmuseum

Dr. Hans Siuts
(leicht gekürzt, Aus: Zeitschrift Pommern Heft 4/71)
Bilder aus "Stargarder Jahresblatt 2014" von Heinz Csallner

Der eine oder andere Leser dieser Überschrift mag sich an den Kopf fassen und fragen: „Hat es denn überhaupt ein Heimatmuseum in Stargard gegeben?" Die Geschichte dieser Kulturanstalt zeigt, dass ein Befremden über diese Überschrift wohl zu begreifen ist. Denn das Museum hat nur gut neun Jahre bestanden, und davon fielen fünf in den Krieg, wo mancher Stargarder im Felde stand und seine Angehörigen Mühe hatten, sich durchzuschlagen. Wer sollte da noch ins Museum gehen? Meine erste Begegnung, wenn man so sagen darf, mit dem Stargarder Museum erfolgte im Frühsommer 1931, als ich seit einigen Wochen am Groeningianum tätig war.

Da traf ich eines Tages Dr. Martin Hasenjaeger, der mir als Vertreter Stargard's auf Museumstagungen wohl bekannt war, auf der Straße und sprach den Wunsch aus, einmal mir das Stargarder Museum anzusehen. Ich war erstaunt, als er schroff erwiderte: „Ein Museum gibt es hier nicht."  Etwas verschüchtert wandte ich ein, ich hätte doch am Eingang der Alten Wache ein Schild gesehen „Museumsverwaltung". „Ja, eine Museumsverwaltung gibt es hier, aber kein Museum", war seine Antwort. „Wir fangen, wie sich das gehört, mit der Verwaltung an, wenn wir ein Museum einrichten wollen." Gern war er bereit, mir diese „Verwaltung"  zu zeigen. So traf ich ihn eines Nachmittags in dem langgestreckten Raum der Alten Wache, wo er mit Fräulein Michaelis an der Arbeit war, Vorgänge und Akten zu bearbeiten. In ein paar Schränken und auf einigen Borden sah man einige Altertümer. Andere, so erfuhr ich, waren an anderen Stellen in der Stadt untergebracht. Durch jahrelanges Sammeln Stargarder Bürger, zu denen auch Post-Inspektor i. R. Richard Falk, der verdienstvolle Pfleger der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertümer, gehörte, war ein guter Grundstock für den Aufbau eines Museums geschaffen.

Museum Gebäude

Nach vier Jahren übernahm ich die „Verwaltung des Museums" mit dem Auftrag, dieses neu einzurichten. Dabei stand mir Fräulein Michaelis neun Jahre treu und umsichtig zur Seite in der Betreuung der Sachen und in der Verwaltungsarbeit, insbesondere im Schriftverkehr. Ihre Arbeitskraft stand allerdings nur zum Teil dem Museum zur Verfügung; sie war auch auf anderen Gebieten der Stadtverwaltung tätig, hatte ihren Arbeitsplatz aber in der Regel im Museum. Dr. Hasenjaeger verwaltete die Sammlungen des Kreises Saatzig und war als Pfleger der Bodenaltertümer dort tätig, ich hatte dies Amt für den Stadtkreis inne, wo es aber nicht viel zu tun gab. Ich habe dann nicht nur während des Krieges, als Dr. Hasenjaeger längere Zeit eingezogen war, ihn oftmals im Landkreis vertreten. Das harmonische Zusammenarbeiten zwischen uns Dreien gehört mit zu den schönsten Erinnerungen. Als alter Stargarder war Dr. Hasenjaeger wegen seiner Kenntnis der Sachen und Personen eine unschätzbare, nie versagende Quelle. Bald nachdem ich mein Ehrenamt angetreten hatte, kam der Tag des Umzugs in die beiden Häuser Ecke Große Mühlenstraße und Königstraße, welche die Stadt von der St. Mariengemeinde erwarb. Sie versprachen, einen würdigen Rahmen für die Sammlungen abzugeben. Freilich war zunächst noch immer nicht an einen wirklichen Aufbau zu denken; denn es wohnten noch mehrere Mieter in den Häusern. Fürs erste stand uns nur das Obergeschoss in dem Eckhaus zur Verfügung; der Eingang befand sich damals noch an der Großen Mühlenstraße. Dort richteten wir uns nun ein: Das kleine Eckzimmer nach Südosten nahm unser Büro auf, das Herzstück des Museums; das anschließende Zimmer barg die vorgeschichtlichen Denkmäler, die Küche unsere reichhaltige Bücherei, die auch von anderen Stargardern benutzt wurde, das große Nordzimmer endlich die sonstigen Altertümer, insbesondere die kirchlichen, die wir provisorisch mit Holz und viel Buntpapier aufbauten, so dass sie „etwas hergaben" und die Phantasie anregten. Die reichliche Leere des Raumes mochte die Besucher reizen, durch Geschenke ihn zu füllen, was allmählich auch geschah. Denn dann und wann kam Besuch, auch von auswärts. Das war gut, so konnten wir unsere Sammelarbeit fördern.

Im Jahr 1938 waren endlich alle Mieter anderswo untergebracht. Die Instandsetzung der beiden Häuser stellte das Bauamt der Stadt vor eine nicht leichte Aufgabe. Es ist ja leichter, ein neues Gebäude für ein Museum zu errichten als ein altes dazu umzubauen, da die alte Einteilung und architektonische Einzelheiten möglichst zu erhalten sind. Die einmal später an das gotische Gebäude angebaute Westseite des Hauses war in ihrem Fachwerkoberteil so schadhaft, dass dieses abgebrochen und im alten Stil neu errichtet werden musste. Dadurch gewannen wir einen durchgehenden großen Raum. Ferner waren Treppen zu erneuern  und mit Durchbrüchen unten und oben eine Verbindung beider Häuser zu schaffen,  so dass sie als eins benutzt werden konnten. Dass auch die damaligen Bauvorschriften uns oft hemmten, z. B. beim Einbau einer Zentralheizung, will ich nur andeuten. Der Einbau der Röhren in die Nordmauer führte übrigens beim Durchbruch durch die Mauer des Untergeschosses, im westlichen Gebäude zu einer bedeutsamen Entdeckung: in einem ausgesparten Hohlraum saß eine mumifizierte Dohle. Sie war lebendig als Bauopfer bei der Errichtung dieses kirchlichen Gebäudes im Anfang des 16. Jahrhunderts eingemauert, um dem Hause Festigkeit zu verleihen. Wir haben dieses interessante volkskundliche Objekt an Ort und Stelle in einem verglasten Kasten in der Mauer belassen. Sollte das Museum vielleicht deswegen den Feuersturm 1945 überstanden haben? Die Bauhandwerker standen oft vor ungeahnten Schwierigkeiten. Da sollte etwa ein Schrank in einen Raum hineingebaut werden. Der Meister hatte genau Maß genommen. Als der Schrank gebracht wurde, passte er nicht in den Raum. Man hatte nämlich als selbstverständlich angenommen, dass dieser rechte Winkel habe, was aber nur selten der Fall war. Noch ärgerlicher war das Missgeschick eines Tischlers, der von Rundbogen oben abgeschlossene Mauernischen verglasen sollte. Für den Bau des Bogens hatte er einen Zirkel benutzt, der Maurer des Mittelalters aber nicht. Was dabei herauskam, kann man sich vorstellen. Die Verschiedenheit der Arbeitsweise im Mittelalter und in der Neuzeit wurde uns so drastisch klar gemacht. Bei dem Aufbau der Schausammlungen unterstützte uns in großzügiger Weise das Stettiner Landesmuseum (Direktor Dr. Kunkel). Nicht nur, dass deren Werkstätten  für uns arbeiteten, sondern der Volkskundler des Museums, Dr. Borchers, war monatelang für uns beim Einrichten tätig. Die vorgeschichtliche Sammlung baute Dr. Eggers umsichtig auf, auch Dr. Bethe hat als Kunsthistoriker uns oft beraten.  Dr. Borchers ist es auch gelungen, noch manch wertvolles Stück neu zu erwerben.

Im Frühjahr 1939 waren alle Arbeiten soweit abgeschlossen, dass unser Heimatmuseum sich von außen wie von innen sehen lassen konnte. Neu verputzt und gestrichen gab am Kreuzpunkt zweier wichtiger Straßen die Häusergruppe mit der aus dem Mittelalter stammenden, reichgegliederten Fassade auf dem Hintergrund von St. Marien ein malerisches Bild ab, und im Innern glänzte alles von neuer Farbe. Das Bauamt und die Handwerker konnten stolz auf ihr Werk sein. Mit Befriedigung und Dankbarkeit durfte ich sagen, dass die Stadtverwaltung und die Handwerker verständnisvoll auf unsere Wünsche eingegangen waren. Am 28. Juni 1939 wurde das Museum in würdiger Form eröffnet. Die Stadt Stargard aber hatte an diesem Tage bewiesen, dass sie sowohl der Tradition ihrer kulturellen Vergangenheit als auch den Forderungen einer modernen Zeit Genüge tat. Leider nur wenige Wochen stand den Stargardern ihr Museum ungehemmt zum Besuch offen. Nach Ausbruch des Krieges mussten die Besuchszeiten auf wenige Stunden an drei Tagen in der Woche eingeschränkt werden; denn Fräulein Michaelis stand nur noch für einige Stunden zur Verfügung. So mag mancher Stargarder diese Räume nie betreten haben. Doch wäre es ein Irrtum zu meinen, unser Heimatmuseum sei nutzlos gewesen. Trotz des Krieges hat manche Schulklasse hier Heimatkunde getrieben. Vor allem hat mancher Urlauber und mancher Rekonvaleszent des Lazaretts zusammen mit Stargarder Bekannten oder Verwandten diese Stätte aufgesucht, wo ihm die Heimat, für die er draußen sein Leben einsetzte, sinnfällig vor Augen trat. Auch Einzelbesucher aus Australien, Russland und Finnland tauchten auf. Als im Winter 1939/40 balten­deutsche Umsiedler in Stadt und Kreis einquartiert wurden, füllten diese gerne ihre freie Zeit mit einem Besuch des Museums aus. In allen Räumen vernahm man an den Besuchstagen die harten baltischen Laute, und Vergleiche zwischen pommerscher und baltischer Kultur wurden angestellt. Ich habe viel aus den Gesprächen gelernt. Als diese Gäste uns im Frühjahr 1940 verließen, um in Posen angesiedelt zu werden, wurde es einstweilen still im Museum.

Museum Innenansicht

Innenansicht des Museums

Doch bald meldeten sich andere Besucher. Eines Sonntags erschien ein etwas rundlicher Herr in Zivil mit einem baumlangen, schlanken Herrn in der Uniform eines Rittmeisters. Dieser war ein Gutsbesitzer aus Ostpreußen, jener der Direktor des Bayerischen Armeemuseums in München. Beide waren zu einem Stalag-Kursus für die Ausbildung von Lagerleitern und Offizieren der Gefangenenlager kommandiert. Den Kursus leitete der Kommandant des Stammlagers Stargard, der damalige Oberst Henke. Die zwei Stunden, die ich mit den beiden Besuchern verbrachte, waren für mich recht ergiebig, besonders in Waffenkunde erfuhr ich vieles, was mir neu war: Dass dieser Besuch Folgen hatte, kündete sich schon am nächsten Besuchstage an. Da erschien nämlich ein Königlich Sächsischer Generalleutnant, also eine leibhaftige Exzellenz, nebst Gemahlin in Begleitung anderer Offiziere des Kursus und besichtigte unser Museum. Ein paar Tage später meldete sich der Adjutant des Kommandanten und verabredete mit mir eine Führung des gesamten Kursus durch das Museum und anschließend durch die Marienkirche und einen Teil der Altstadt für den nächsten Sonntag. Der menschenkundige Oberst hatte erkannt, dass er seinen Kursusteilnehmern auch etwas anderes als fachliche Belehrung bieten müsse. Er meinte, es könne nicht schaden, wenn die Herren auch etwas über Stargard und Pommern erführen, zumal beide für preußisches Soldatentum von besonderer Bedeutung seien. Das Museum schien ihm der geeignete Ausgangspunkt zu sein. So hatte ich von da an die Freude, in bestimmten zeitlichen Abständen eine Gruppe von 30 bis 50 alten Offizieren, welche die verschiedensten Landschaften und Berufsstände vertraten, auf die Bedeutung und die Rolle Stargard's und Pommerns in der deutschen Geschichte hinzuweisen und ihnen eine Vorstellung von der Eigenart unserer alten Hansestadt zu vermitteln. Mancher gestand mir nachher, er sei anfangs verärgert gewesen über die Beschränkung seiner Freizeit, nun aber sei er angenehm enttäuscht und bedauere die Zeit nicht, die er im Museum zugebracht habe. Ja, der eine oder andere kam wohl gar für sich noch einmal wieder, um sich Einzelheiten genauer anzusehen oder um Aufklärung über bestimmte Fragen zu erhalten. Auch als diese Kurse später aufhörten, kamen immer noch Besucher, sowohl einzeln als in Gruppen.

Eine starke Anziehungskraft übte unser Museum auf Familienkundler aus, befand sich doch in unserem Archiv eine Kartothek aller Stargarder vor der Einführung der Standesämter, die sich urkundlich hatten ermitteln lassen. Professor Dr. Lütke hatte sie in jahrelanger, exakter Forschung geschaffen und damit Stargard einen einzigartigen Schatz geschenkt. Im August 1944 mussten wir das Museum schließen, weil ich zum Schippen nach Alt-Carbe gehen musste. Da das Büro eines Industriewerks bei uns einzog, mussten wir Anfang Oktober 1944 unsere Bestände, soweit wir sie nicht in den Kellern bergen konnten, in das Gutshaus Vehlingsdorf auslagern. An eine Rettung der wertvollsten Bestände war, als die Front immer näher rückte, aus wohl hinlänglich bekannten Gründen nicht zu denken. So fielen alle unsere Schätze, in Feindes Hände.

Was ist daraus geworden? Die Gebäude sind ziemlich unverletzt geblieben. Die Polen haben ein Bauamt hineingelegt. Die Gegenstände, die im Keller lagerten, wurden von den Russen mit der Bahn nach Osten abtransportiert. Ein kleiner Trost ist uns verblieben.  Dr. Eggers hatte unsere vorgeschichtIichen Bestände mit der Leica fotografiert; diese Filme sind erhalten. Ebenso sind die Fundberichte, die Dr. Hasenjaeger und ich an das Landesmuseum geschickt hatten, dort unversehrt geblieben.

Die Geschichte unseres Stargarder Museums mag wohl fürs erste als eine kurze Episode in dem pommerschen und deutschen Kulturleben erscheinen. Die Eindrücke, welche die Besucher in der kurzen Zeit seines Bestehens gewonnen haben, mögen nicht nur bei uns Stargardern, sondern auch bei den vielen Besuchern aus anderen Gegenden die Überzeugung geweckt und befestigt haben, dass unser Stargard eine echt deutsche Stadt von einer besonderen pommerschen Eigenart war.

 

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