Meine Luftwaffenhelferzeiten

als Schüler des Peter-Gröning-Gymnasium in Stargard in Pommern vom 15.02.1943 bis 08.02.1944 in Stettin und Berlin.

Ein Bericht von Manfred Spielmeyer, Dipl.Ing. und ehemaliger Leiter des Planungs-und Vermessungsamtes der Stadt Bad Hersfeld, geschrieben im April 2015.

Wilhelm-Engelh.Str.20, 36251 Bad Hersfeld
Tel. 06621 15556, Mail:m.spielmeyer@arcor.de

Zur Erläuterung vorweg folgender Hinweis:

Dieser Bericht enthält auch Schriftsätze meiner Klassenkameraden Horst Templin, Friedrich Neumann, Johannes Köppen, die mit mir zusammen die Zeiten als Luftwaffenhelfer erlebten und dies durch Aufzeichnungen, zum Teil in Tagebüchern, festgehalten hatten.

Vorstellung der Klassenkameraden:

Horst Templin, ehemaliger Studienrat am Gymnasium in Bremen, in Bremen verstorben am 13.02.1983.

Dr. Friedrich Neumann, ehemaliger Dipl.Ing. bei den Bayer-Farbwerken in Leverkusen.

Johannes Köppen, ehemaliger Pfarrer in Hohenlockstedt bei Itzehoe.

Luftschutzhelfer Schulklasse

Bild von mir und meinen Klassenkameraden, die ich in diesem Bericht erwähnt habe.
Untertertia Peter-Gröning-Gymnasium im Sommer 1940 auf unserem Schulhof.
Nr.1 Manfred Spielmeyer, Nr.2 Horst Templin
Nr.3 Friedrich Neumann, Nr.4 Johannes Köppen

Zum Verständnis einige Vorbemerkungen, die zur Einberufung als Luftwaffenhelfer führten.

Die „Anordnung über den Kriegseinsatz der Deutschen Jugend" war am 26. Januar 1943 von der Reichsregierung in Berlin erlassen worden. Der Anordnung zufolge waren Schüler von höheren Schulen und Mittelschulen, sofern sie das 15. Lebensjahr vollendet hatten, zur Heimatflak einzuberufen. Flak war die Abkürzung für Flugabwehrkanone. Im Umkreis von fast allen größeren deutschen Städten standen damals Flakbatterien, die die Aufgabe hatten, die Städte und deren Bewohner vor den immer stärker werdenden Bombenangriffen alliierter Luftverbände zu schützen. Es war der Sinn der neuen Anordnung, die in großer Zahl in der Heimat stationierten Flaksoldaten durch Schüler zu ersetzen, um die dadurch freiwerdenden Soldaten der Front zu Verfügung stellen zu können. Von dem bisherigen Personal in den Geschützstellungen blieben neben den Offizieren nur noch die Unteroffiziere als Geschützführer und einige wenige Wehrmachtsoldaten zurück.

Luftschutzhelfer

Meine Abfahrt nach Stettin am 15. Februar 1943
Ober- und Untersekunda des Peter-Gröning-Gymnasiums vor dem Stargarder Bahnhof
Manfred Spielmeyer 4. von links mit Hut

Von den Stargarder Schulen waren unser Humanistisches Gymnasium, die Oberrealschule und die Mittelschule für Jungen betroffen. Unser altsprachliches Gymnasium galt zu damaliger Zeit nicht so attraktiv wie die neusprachlich und naturwissenschaftlich ausgerichtete Oberrealschule, und so waren unsere Klassen durchweg nur einzügig und meist auch kleiner. Das von unserem Gymnasium gestellte Kontingent machte demzufolge kaum mehr als zwanzig Mann aus. Unsere geringe Mannschaftsstärke war dann später auch der Anlass dafür, dass unsere Gruppe immer wieder versetzt wurde, nämlich immer dann, wenn bei einer anderen Batteriestellung dringender Personalbedarf bestand. So habe ich in den zwölf Monaten meiner Luftwaffenhelferzeit Gelegenheit gehabt, sieben verschiedene Flakstellungen näher kennen zu lernen.

Luftwaffenhelfer
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Bei folgenden Flakbatterien in Stettin und Berlin waren ich und meine 8 Schulkameraden der Obersekunda des Stargarder Gröning-Gymnasiums in der Zeit vom 25. Februar 1943 bis 2. Februar 1944 eingesetzt:

1. Batterie 4./137 auf der Lastadie in Stettin vom 15. Februar bis 17. Mai 1943

Auf dem Bahnhof in Stettin wurden wir Gröningianer von den übrigen Kameraden getrennt, die in Stargard eine andere Schule besuchten. Auf dem Lastwagen ging's in rascher Fahrt in eine Flakstellung auf der Lastadie, einem östlichen Stadtteil von Stettin. Die Batteriestellung befand sich auf einem ehemaligen Sportplatz- und Kleingartengelände. Unsere Wohnbaracke  bestand aus einem Bettentrakt mit vier Doppelbetten und einem Wohnbereich mit Tisch und vier Stühlen. Die Entfernung zu den Geschützen betrug etwa 50 bis 100 Meter. Wir Gröningianer waren den Geschützen „Anton", „Berta" und „Friedrich" sowie der Funkmessleitstelle, die etwas abseits der Geschützstellung lag, zugeteilt. Wenige Stunden nach Eintreffen in der Flakstellung hatten wir den Zivilanzug mit dem blaugrauen Rock getauscht. Stahlhelm, Rucksack, Drillichzeug, Wäsche usw., alles funkelnagelneue Sachen, die wir in Empfang nahmen. Der Drillichanzug musste beim Dienst am Geschütz angezogen werden, für den Ausgang erhielten wir eigens geschneiderte blaue Luftwaffen-helferuniformen.

Luftschutzhelfer

Erkennungsmarke

Unsere Verpflegung mussten wir von einer etwas abseits der Stellung gelegenen Küchenbaracke holen. Hier ist mir bis heute der abendliche Essensempfang von eigens für uns Luftwaffenhelfer gekochten Milchsuppe mit Zusätzen von Nudeln und Eipulver, die die Suppe besonders sämig machten, in bleibender Erinnerung. Mehrmals musste der Küchendienst mit der leeren Kanne zur Küche laufen und „Nachschlag" holen.

Luftschutzhelfer

Unsere Einheit bestand aus vier 8,8 cm starken Fliegerabwehrkanonen, abgekürzt Flak, einer Funkmess-Leitstelle zur genauen Ortung von Flugzeugen und einer erhöht aufgestellten 2 cm starken Doppelrohr-Schnellfeuerkanone zum Schutz gegen mögliche Flugzeugtiefangriffe. Zu jedem Geschütz gehörten 6 Kanoniere, K1 bis K6 und ein Unteroffizier als Geschützführer. K1 war der Ladekanonier, K2 und K3 bedienten die seitlich am Geschütz angebrachten Zündereinstellung. K4 bis K6 mussten die Granaten aus den Unterständen aus den jedes Geschütz umgebenden hohen Erdwällen zu der Zündvorrichtung am Geschütz tragen. Wir Luftwaffenhelfer hatten als K2 und K3 die etwas leichtere aber verantwortungsvolleren Tätigkeiten an der Zündeinstellung auszuführen. Zu unserer Überraschung waren auch russische Kriegsgefangene jedem Geschütz zugeteilt. Sie waren als Freiwillige für ihre Aufgaben am Geschütz ausgebildet worden und galten als vertrauenswürdig. Sie waren als Ladekanoniere K1 und als Granatenträger K4 bis K6 an jedem Geschütz eingesetzt, da das Einbringen der Granate in die Rohröffnung und der Transport der Granaten besondere Kraft erforderten. Sie waren alle von kräftiger Statur und in einer besonderen Baracke untergebracht. Sie verdienten sich ein  Zubrot von uns Luftwaffenhelfern durch die für uns angefertigten Fingerringe aus Messingmünzen.

Der Tagesablauf richtete sich nach einem sich täglich ändernden Dienstplan. Für uns Luftwaffenhelfer als noch Schulangehörige des Gröning-Gymnasiums bestand er aus Schulunterricht am Vormittag in unserer Wohnbaracke mit unserem Betreuungslehrer Herrn Roloff, der mit dem Auto von seinem Wohnsitz in Madüsee an 3 bis 4 Tagen in der Woche zu uns in die Flakstellung kam. Herr Roloff war Fachlehrer im Fach Deutsch und unser Fremdsprachenunterricht in Latein, Griechisch und Englisch kam zu kurz. Wichtige Fächer wie Physik, Chemie und Geschichte fielen völlig aus.

Ich kann mich noch gut an einige später stattgefundene Unterrichtsstunden in Physik an einem Stettiner Gymnasium erinnern, wo mir bewusst wurde, wie lückenhaft unser Wissensstand war. Wegen des Dienstbetriebes war es kaum möglich Schularbeiten zu erledigen. Die Lehrer verzichteten auch darauf, sie zu überprüfen. Unsere Motivation, uns im Unterricht einzusetzen, war nur gering; denn die Schule hatte uns versichert, dass wir gute Zeugnisse bekämen und selbstverständlich versetzt würden. Der Dienstplan sah außer den auszuarbeitenden Schulaufgaben militärische Grundausbildung, Teilnahme an Vorträgen unserer fachlich gut ausgebildeten militärischen Vorgesetzten, Übungen am Geschütz sowie putzen und einfetten der Granaten vor. Kriegerische Ereignisse erlebte ich in Stettin nur einmal und zwar am 20. April 1943, dem Geburttag von Adolf Hitler. Als in dieser Nacht Alarm ausgelöst wurde und wir darauf warteten, was kommen würde, sahen wir über dem Stettiner Haff die vom Leitflugzeug des Bombergeschwaders abgeworfenen „Tannenbäume", die den Nachthimmel über uns taghell erleuchteten.

Im Stettiner Haff lag zu dieser Zeit der einzige Flugzeugträger Deutschlands die "Zeppelin" vor Anker. Der folgende Bombenangriff galt allerdings nicht diesem militärischen Ziel, sondern der Zivilbevölkerung Stettins. Kurz nach Abwurf der Leuchtsignale hatten unsere Funkmessgeräte den Bomberpulk erfasst und es gab Feuerbefehl für die Geschütze. Der an meinem Geschütz "Anton" eingesetzte kräftige K1 Ladekanonier, ein Russe, kam in dieser Nacht ins Schwitzen. Es wurden wohl auch einige Flugzeuge abgeschossen, da unserer Batterie ein Abschuss zugesprochen wurde. An allen Geschützen der Batterie wurde ein Abschussring um das Kanonenrohr gemalt. Eine exakte Ortung von Flugzeugen mittels unserer Funkmessgeräte war zu dieser Zeit schon fast unmöglich, seitdem die angreifenden Bomber über ihren Zielorten gebündelte Staniolstreifen zur Ablenkung der Messstrahlen unserer Funkmessgeräte abwarfen.

Luftschutzhelfer

Luftschutzhelfer

Und so haben meine Klassenkameraden ihre Feuertaufe beschrieben:

1. Horst Templin:

...am Abend des Führergeburtstages machten wir Nachtzielübung bis Mitternacht. Eine Stund später plötzlich A1-Luftlage: Feindliche Verbände über dem Haff. Schon bemerkt man ein Wetterleuchten am Haff. Dann überstürzen sich die Ereignisse: FMG Ziel aufgefasst. Flugzeug Richtung 11, Gruppenfeuer-Gruppe 3 sek. Feuerglocke Abschuss. Dann verlässt Gruppe auf Gruppe die Rohre. Zuerst sind wir ganz benommen vom Blitzen, Krachen, vom Beben der Erde. Doch das Schießen beruhigt uns. Wir zählen die Schüsse: 40, 50, 60... Es ist ein Großangriff... Wir schaffen Munition aus den Außenbunkern heran... Nach einer kurzen Feuerpause wird die zweite Welle beschossen...

2. Friedel Neumann:

...dann kam der 20. April 1943, „Führers Geburtstag". Da hatte man mit einem Großangriff auf Berlin gerechnet und sich entsprechend vorbereitet. Die schweren 10,5 cm-Eisenbahn-Flakbatterien, die normalerweise am Stettiner Verschiebebahnhof lagen, waren nach Berlin beordert worden. Wie gewohnt hatte es in der Nacht Alarm gegeben und wir standen an den Kanonen und warteten auf die Entwarnung. Doch dieses Mal lief alles anders. Die Meldungen über die anfliegenden britischen Bomberverbände wurden enger und enger, und dann klingt mir dieser Satz noch heute in den Ohren: „Männer", hatte unser Unteroffizier gesagt „jetzt geht es los"...

Hierzu folgender Vermerk aus dem Buch: „Der Brand, Deutschland im Bombenkrieg 1940 - 1945" von Jörg Friedrich: Tatsächlich war vom britischen Bomberkommando durch bestimmte Flugtätigkeiten ein beabsichtigter Angriff auf Berlin vorgetäuscht worden. Der Angriff erfolgte mit 339 Lancaster- und Halifax-Bombern.

In Stettin wurden 586 Opfer gezählt. 276 Großbrände waren entstanden. Die Verluste der Briten beliefen sich auf zwanzig Flugzeuge.

3. Johannes Köppen:

...in der Nacht vom 20. zum 21. April war es dann so weit... Als ich in der Umwertung ankam, gab es schon keinen Zweifel mehr daran, dass Stettin im Visier der anfliegenden Flugzeuge lag; denn das Funkmessgerät lieferte schon die ersten Messdaten. Bald darauf versanken wir in wildem Getöse von Abschüssen der eigenen Flakgeschütze und in der Nähe einschlagenden Bomben...

Aus den Unterlagen meines Klassenkameraden Friedrich Neumann, der wegen einer Erkrankung erst später zu uns in die Stellung kam, habe ich zu meiner Überraschung entnommen, dass wir ständig eine Erkennungsmarke tragen mussten. Hier ein Auszug aus dem Bericht von Friedrich Neumann: Beim Dienst innerhalb der Stellung trugen wir den Drillichanzug und, solange wir beim dienstlich angeordneten Übungen an der Kanone standen, hatten wir auch unseren Stahlhelm zu tragen. Auch eine Erkennungsmarke war uns zugeteilt worden.

Luftschutzhelfer

2. Batterie z.b.V. 5500 in Stettin-Scheune vom 18. Mai bis 4. Juni 1943

Am 18. Mai 1943 zog ich mit meinen Schulkameraden zu einer Flakbatterie mit 8,8 cm Geschützen nach Stettin-Scheune, um den dort bestehenden Personalmangel aufzufüllen. Dort waren wir in Wohnwagen auf dem Gutshof untergebracht. Wenige Meter von uns entfernt hauste das Vieh in seinen Stallungen. An Schulunterricht war nicht zu denken. Nach zwei idyllisch verlebten Frühlingswochen hieß es wieder Stellungswechsel und ein LKW brachte uns zu unserer alten Lastadiestellung zurück.

Luftschutzhelfer

3. Batterie z.b.V. 5510 in Stettin auf der Lastadie vom 5. Juni bis 14. August 1943

Hier verlebte ich in gewohnter Umgebung schöne Wochen und hatte auch wieder Schulunterricht. Unsere Wohnbaracken waren von Rasen umgeben auf denen wir uns in der Freizeit sonnen konnten. Leider wurden in dieser Zeit aus unserer Batterie viele Wehrmachtsangehörige abgezogen und anderen Truppteilen zugeteilt. Zuletzt gehörten zu jeder Geschützbedienung nur noch ein Unteroffizier, zwei aktive Soldaten, drei kriegsgefangene Russen als Hilfswillige und zwei Luftwaffenhelfer.

Übungsschießen an der Ostsee in Stolpmünde vom 28. Juni bis 5. Juli 1943

Luftschutzhelfer Stolpmünde

Von der Geschützstellung Lastadie aus fuhren alle Batterieangehörigen am 28. Juni 1943 für eine Woche zum gefechtsmäßigen Übungsschiessen zum Flakschießplatz nach Stolpmünde, nördlich von Stolp an der Ostsee gelegen.

Wir freuten uns für eine Woche aus dem täglichen Trott herauszukommen und direkt an der See zu sein. Auch der Schulunterricht fiel aus. Unsere Unterkunftsbaracken standen tief im Wald, weit weg von den direkt an der Küste parallel zum Strand aufgereihten vier Geschützen. Geschossen wurde auf einen vom Flugzeug über der Landseite gezogenen Luftsack im „Spiegelschießen", das folgendermaßen ablief: Schussrichtung ist die See, die vom Funkmessgerät ermittelten Werte werden mit gleichen Winkeln und Entfernungswerten spiegelbildlich umgewandelt und die „Treffer" lediglich errechnet. An einem in der Spiegelebene aufgestellten halbdurchlässigen Spiegel lassen sich die „Treffer" auch direkt beobachten.

Nur ein einziges Mal in der Woche hatten wir Gelegenheit an den Strand zu gehen. Wir waren froh, als wir die uns zur Verfügung stehenden zwanzig Schuss „verfeuert" hatten und es wieder zurück zur  Stellung in die Lastadie ging.

Kurz nach unserer Rückkehr in die Lastadiestellung erfolgte eine erneute Verlegung in eine etwas abgelegene Geschützstellung nahe des Verschiebe-Rangierbahnhofs von Stettin zu einer Batterie mit 10.5 cm starken Geschützen.

Luftschutzhelfer

4. Flakbatterie 4./616 in Stettin-Verschiebebahnhof vom 15. August bis 1. September 1943

Luftschutzhelfer

In dieser Stellung verlebte ich wundervolle Spätsommertage. Neben den Baracken lag ein See in dem wir oft badeten. Die Unterkünfte waren allerdings primitiv, es fehlten Türen, Schränke usw. Bei dieser mit 10,5 cm Geschützen ausgestatteten Flakbatterie kam ich in der Nacht zum 18. August zum Einsatz bei einem Fliegerangriff auf Stettin. Leider hatten wir oft an den Geschützen Ladehemmung, da die automatische Einführung der schweren Granaten in das Geschützrohr technisch noch nicht ausgereift war. Wir hatten auch keinen Schulunterricht, denn dafür lag unsere Stellung zu abgelegen.

In dieser Zeit kam auch das Gerücht auf, wir würden in der Nähe von Stargard (Klützow) bei der Flak eingesetzt werden. Leider wurden wir aber enttäuscht. Schon an 2. September 1943 packten wir wieder unseren Rucksack und zogen um zur schweren Heimatflakbatterie 201/111 nach Stettin-Zabelsdorf.

5. Heimatflakbatterie 201/111 in Stettin-Zabelsdorf vom 2. September bis 3. November 1943

Luftschutzhelfer

Eine solche Einheit war für uns etwas Neues und bald erkannten wir auch ihre Nachteile. Die hier eingesetzten älteren Flakwehrmänner aus Stettin erschienen meist abends und wir mussten mit ihnen zusammen an den Geschützen üben. Am Tage hatten wir wenigen Luftwaffenhelfer die Geschütze und die Munition allein instand zu halten und zu reinigen. Schulterricht hatten wir zusammen mit den Schülern des Stettiner Marienstift-Gymnasiums in deren Schule in Stettin.

In dieser Zeit Verhaftung von elf Mitschülern.
Hier eine Einflechtung, die mir wegen ihrer Bedeutung für die Nachwelt und der Leser dieses Berichtes wichtig erscheint und die ich deswegen erwähne.

In der Stellung Stettin-Zabelsdorf ereilte am 6. Oktober 1943 einem Teil meiner als Luftwaffenhelfer eingesetzten Schulkameraden ein unerwartetes Schicksal und zwar die Verhaftung durch die „Gestapo", der „Geheimen Staatspolizei" und Überführung in das Untersuchungs-Gefängnis in Stettin wegen Verbrechens nach dem Heimtückegesetz und die Entlassung als Luftwaffenhelfer. Hierzu eine kurz gefasste Ausführung meines Klassenkameraden Friedrich Neumann, der zum Kreis der Verhafteten gehörte.

...bereits Ende September 1943 hatte es Gerüchte gegeben, dass etwas in der Luft liege und zwar mit „politischem" Hintergrund.... unser Klassenkamerad (seinen Namen will ich hier nicht nennen) hatte sich gestört gefühlt, dass in unserem Kreis oft ketzerische Reden geführt würden und das der Stargarder Hitlerjugendführung mitgeteilt.... wir sind elf Mann, die am 6. Oktober unter Begleitung von Gestapo-Beamten auf einem LKW abtransportiert und in ein Stettiner Gefängnis eingeliefert werden..... wir verbringen unter Verhören durch die Gestapo mehrere Tage im Gefängnis und werden wie Schwerverbrecher behandelt und dem Haftrichter vorgeführt.. 4 Mitschüler bleiben in Untersuchungshaft, ich und 7 weitere Schüler werden bis zur Anklageerhebung entlassen... wir werden als Luftwaffenhelfer entlassen... die Gerichtsverhandlung soll am 22. Mai 1944 erfolgen... ich werde eine Woche nach Inhaftierung als Minderbelasteter aus dem Gefängnis entlassen und werde von meinem Vater in Stettin abgeholt... bis zur Gerichtsverhandlung beschäftigt mich mein Vater in seinem Ziegeleibetrieb in Trampke. Da ich im Februar 1944 zum Reichsarbeitsdienst nach Danzig-Oliva einberufen werde, kommt es in meinem Fall als Minderbetasteter zu keiner Gerichtsverhandlung.

Luftschutzhelfer

Die Anklage erfolgte wegen Verbrechen bzw. Verbrechen nach § 2 des Heimtückegesetzes. Folgende Anklagepunkte lagen gegen mich vor:

Anklagepunkt 1 : Verunglimpfung des italienischen Faschistenführers Mussolini.
Anklagepunkt 2 :
Andeutung einer Niederlage und Rückzug des deutschen Afrikakorps und Verlust von Tunis.
Anklagepunkt 3 :
Weitergabe von politischen Witzen und Abhören von Feindsendern.

Soweit die Vorgänge zur Verhaftung von elf Schulkameraden des Gröning-Gymnasiums.

Weiter zu 5. Heimatflakbatterie Stettin-Zabelsdorf

6. Zurück zur Flakbatterie auf die Lastadie vom 4. bis 30. November 1943

Am 4. November 1943 machte die gesamte Batterie Stellungswechsel. Zum wiederholten Mal landete ich wieder in einer Stellung auf der Lastadie. Dieser Stellungswechsel gehörte zu meinen schwersten Tagen bei der Flak. Fünfzig Tonnen Munition hatten wir auf- und abzuladen und die Geschütze mussten in Stellung gebracht werden. Ich lernte hier die 7,62 cm Flakkanone kennen, eine russische Beutewaffe amerikanischen Ursprungs. Am 30. November hieß es wieder Abschied nehmen. Am gleichen Tag wurde ich zusammen mit den verbliebenen acht Stargarder Klassenkameraden anlässlich eines Batteriefestes zum Oberluftwaffenhelfer befördert.

7. Flak-Kampffähre 7/325 auf dem Dammschen See vom 1. bis 8. Dezember 1943

Am 1. Dezember 1943 machte ich meinen 7. Stellungswechsel. Es ging zu einer im Dammschen See auf Fähren errichteten Flakbatterie. Die Batterie war von der Hakenterasse aus nach einer viertelstündigen Bootsfahrt zu erreichen und war völlig von Wasser umgeben. Es gab auf der Fahrt dorthin viel zu sehen, viele größere Schiffe, die Stettiner Werften und U-Boote. Ich erinnere mich an das besonders gute Essen bei dieser Einheit. Schulunterricht für uns Luftwaffenhelfer fand nicht mehr statt.

8. Batterie 6./616 wieder in Scheune vom 9. bis 16. Dezember 1943

Wir hielten uns dort nur eine Woche aus. An Besonderheiten kann ich mich nicht mehr erinnern.

9. Batterie z.b.V. 5555 in Stettin-Torney vom 17. Dezember 1943 bis 9. Januar 1944

In dieser Flakstellung verlebe ich mein erstes Weihnachtsfest fern von zu Hause. Die von der Batterie veranstaltete Weihnachtsfeier ist nicht besonders stimmungsvoll. Eine Sylvesterfeier findet nicht statt. Zu Neujahr erfahren wir, dass der Jahrgang 1926 am 6. Januar 1944 entlassen werden soll und werden zwecks Beschaffung ziviler Kleidung am 4. Januar für einen Tag nach Hause beurlaubt. Bei der Rückkehr erfuhren wir, dass dies wegen eines  Standortwechsels der Batterie nicht möglich und die Entlassung bis auf weiteres verschoben würde. Am Abend brachte ich meine Zivilsachen wieder nach Hause. In der selben Nacht erfolgte ein schwerer Angriff auf Stettin und ich konnte den Feuerschein über Stettin von unserer Wohnung in Stargard gut beobachten. Bei diesem Angriff war auch unsere Stellung schwer getroffen worden. Sämtliche Unterkünfte waren stark beschädigt oder zerstört. Eine Woche lang räumten wir die Stellung auf. Am 10. Januar 1944 wurde die Batterie mit sämtlichen Waffen und Geräte auf dem Bahnhof Stettin-Torney verladen und am 11. Januar begann die Fahrt nach Berlin.

10. Batterie z.b.V. 5555 in Berlin-Müggelheim vom 12. Januar bis 2. Februar 1944

Luftschutzhelfer

Wir erreichten am Morgen des 12. Januar Berlin-Köpenick, entluden die Waggons und bezogen das für uns vorgesehene Stellungsgelände in Berlin-Müggelheim. Über eine Woche waren wir mit dem Einrichten der Stellung und dem Munitionsempfang beschäftigt. Danach gab es für mich den ersehnten ersten Ausgang. Bis zur Innenstadt von Berlin waren es ca. 30 Kilometer, die mit dem Bus, Straßenbahn und der S-Bahn erreicht werden konnten. Ich kannte Berlin schon aus früheren Besuchen mit meiner Tante Klara, deren Mann in der Rüstungsindustrie beschäftigt war. An eine Aufführung in der Berliner Oper kann ich mich noch erinnern. In Berlin erlebte ich vier schwere Nachtangriffe. Davon war ein Angriff wohl von den Allierten angekündigt worden, denn unser Batterieführer, Oberleutnant Navarra, ließ uns Luftwaffenhelfer antreten und machte uns auf den Ernst der Lage aufmerksam. In der darauf folgenden Nacht wurde unsere Stellung selbst angegriffen. Das Heulen der tief fliegenden Flugzeuge, auch der unsererseits eingesetzten Nachtjäger, sowie der Geschützlärm und das Heulen der auf uns zukommenden Bomben waren nicht mehr auszuhalten und wir verkrochen uns widerrechtlich in den mit Munition versehenen Geschützbunkern. Unsere Unterkunftsbaracken waren schwer beschädigt worden. Es waren auch Tote bei den als Großkampfbatterie zusammen gefassten Einzelbatterien zu beklagen.

Inzwischen gab es die Bestimmung, dass wir Luftwaffenhelfer erst dann entlassen werden können, wenn eine Einberufung zum RAD vorläge. Da diese bereits vorlag, beurlaubte mich und die gleichaltrigen  Klassenkameraden unser Batterieführer bis auf weiteres, und wir fuhren am 2. Februar 1944 voller Freude zurück in unseren Wohnort Stargard i. Pom.

Luftschutzhelfer

Zur Erinnerung an meine Luftwaffenhelfertätigkeit in Stettin und Berlin überreicht mir und meinen Klassenkameraden unser Batterieführer Oberleutnant Navarra am 2. Februar 1944 in Berlin die Luftwaffenhelfer-Entlassungsurkunde. In Stargard erhielten ich und meine Mitschüler der Unterprima vor Einberufung zum Reichsarbeitsdienst nach Danzig-Oliva am 14.2.1944 von unserem Schulleiter Herrn Oberstudiendirektor Dr. Wengatz das Reifezeugnis.

Hier ein Auszug aus der Liste meiner Versetzungsdaten am Peter-Gröning-Gymnasium in Stargard i. Pom.

7. Auf Grund der Leistungen und des Verhaltens im Unterricht und im Einsatz und in Anwendung des Erlasses des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 22. Januar 1943 - E III a 3360 - wird der Schüler in die Klasse 8 (Unterprima) des Gymnasiums versetzt. Stargard/Pom., den 10. Februar 1944

Luftschutzhelfer

 

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