Besondere eiszeitliche Oberflaechengebilde um Stargard

Prof. Dr Ing. Alfred Schwichtenberg
1925-2012 Der Artikel ist dem Stargarder Jahresblatt 1995 entnommen.

Nicht nur das große von einer Eiszunge geschaffene Ihna-Urstromtal ist Zeugnis der letzten Vereisung (Pommern-Stadium der Weichsel-Eiszeit), sondern es gibt auch zahllreiche andere kleine Gebilde in der Umgebung Stargards, die das Ergebnis dieser Vereisung bzw. des Abschmelzvorganges (1) sind.

1.Schildrücken oder Rückenberge

(Karte 1)

Allen Stargardern ist die alte Reichsstraße 104 zwischen Stargard und Stettin bekannt. Und wer kennt nicht auch die Gaststätte Lindenhof an der Stettiner Straße nach Madüsee und etwa 600 m weiter westlich die von großen Kastanienbäumen eingerahmte Rasenbank. Hier verläuft der 15. Längengrad östlich von Greenwich, der Maßstab für die Mitteleuropäische Uhrzeit (MEZ) ist (um 12 Uhr hier täglicher Höchststand der Sonne). Deutsche und Polen haben diese Stelle damals wie heute durch große Steine gekennzeichnet.

Oberflächengebilde

Auch in diesem Bereich westlich Stargard hat die Eiszeit ihre besonderen Spuren hinterlassen. Erst die Landkarte (1) zeigt die flächenhafte Ausdehnung. Ein langer flacher Höhenzug lässt sich verfolgen, wenn man den Bereich über der Höhenlinie NN + 35 m beachtet. Er beginnt bereits nördlich der Bahnstrecke Stargard - Stettin (nicht auf der Karte) und verläuft über Lindenhof, Ziegelei Giesenfelde, kreuzt Bahnstrecke und Straße nach Klützow/Pyritz und endet erst vor dem Austritt der Faulen Ihna aus der Grundmoräne in das Urstromtal der Ihna. Südöstlich davon kreuzt die Bahnstrecke Stargard - Dölitz die Faule Ihna. Die Gesamtlänge dieses flachen Höhenzuges beträgt mehr als 7 km.

In der geologischen Fachsprache (3) haben die Schildrücken im Bereich der weltweiten Vereisung eine besondere Bezeichnung. Sie heißen "Drumlings oder Drums" (irisch) und werden erklärt mit Ovale, tropfenförmige in Richtung  der Eisbewegung angeordnete Hügel aus Moränenmaterial, Ausmaß: Höhe 5 - 10 m, Breite 300 - 400 m, Länge 800 - 2600 m. Drums finden sich häufig in großer Zahl beieinander.

Diese Schildrücken sind bei der wechselnden Tätigkeit des Einfrierens und Auftauens der Grundmoräne am Gletscherrand entstanden. Der Höhenzug westlich Stargard (2) lässt drei hintereinander liegende Rückenberge erkennen. Die langgestreckten Formen dieser drei ineinander greifenden Schildrücken deuten auf eine verhältnismäßig große Geschwindigkeit (in Metern je Winter) des insgesamt vordringenden Gletschers hin, so dass hier keine End- oder Stauchmoräne entstehen konnte.

Beim Bau der Bahnstrecke Stargard - Pyritz musste dieser Schildrücken zwischen Stargard und Klützow mit einem tiefen Einschnitt neben der Reichsstraße 158 durchstochen werden, weil trotz des hohen Eisenbahndammes am südwestlichen Stadtrand es nicht möglich war, die Bahngleise mit so großer Steigung über den Rückenberg hinwegzuführen.

2. Wallberge oder Lange Berge

(Karte 2)

Wer schon einmal zu Fuß den Weg nach Wulkow gewandert ist oder die Freienwalder Chaussee in Richtung Pegelow - Dahlow mit dem Fahrrad befahren hat, dem sind vielleicht die plötzlich quer zu beiden Seiten der Wege verlaufenden eisenbahndammartigen mehrere hundert Meter langen und 5 - 8 m hohen Wälle aufgefallen. Auf ihrem Scheitel verläuft die Stadtgrenze zwischen Stargard und Wulkow bzw. Pegelow. An einzelnen Stellen dieser Langen Berge haben Bodenentnahmen von Kies und Sand (z.B. Abbau in Kiesgruben) stattgefunden.

Oberflächengebilde

Wie aber sind die Wallberge oder Langen Berge entstanden? Sind sie vergleichbar mit dem von Menschenhand in Stargard angelegtem Nachtigallensteig? Nein, jene Langen Berge sind das Ergebnis von Spalten im Eispanzer und den Schmelzvorgängen des auf der Eisfläche abfließenden Wassers.

In der geologischen Fachsprache (3) haben diese Wallberge der weltweiten Vereisung ebenfalls eine besondere Bezeichnung. Sie heißen Oser (Os, Einzahl, aus dem Schwedischen) und werden erklärt mit: "Langgestreckte, schmale, wallartige Erhebungen in Moränenlandschaften, bestehen aus geschichteten oder gestauchten Sanden und Kiesen, die oft größere Gesteinsbrocken (Geschiebe) enthalten. Oser wurden von Schmelzwässern längs der Spalten am Grunde des Gletschers abgelagert."

Das vordringende Eis hat die obersten Bodenschichten unter sich eingefroren. Bei Stauchungen und Quetschungen kommt dabei dieser eingefrorene Boden auch in höher liegende Schichten des Gletschers. Gleichzeitig entstehen bei dem vordringenden Eis - wie noch heute bei den Gletschern der Alpen sichtbar - Spalten und Klüfte, die in der Regel senkrecht nach unten verlaufen. Schmilzt nun das Eis an der Oberfläche des Gletschers infolge Erwärmung der Lufthülle oder bei Sonneneinstrahlung, so schleppt das Schmelzwasser Teile des ehemals eingefrorenen Bodens mit sich. Das Schmelzwasser mit den Bodenteilchen fällt in die nächste Eisspalte und fließt unter dem Gletscher in der Regel weiter. Bevorzugt bleiben in der Spalte die gröberen Körnungen liegen. Nach dem vollständigen Abschmelzen des Eises mit seinen senkrechten Spaltenwänden entsteht dann die natürliche Böschungsneigung wie bei den von Menschenhand angelegten Eisenbahndämmen.

3. Rundliche kleine Seen, Tümpel, Torflöcher und Geländemulden

(Karte 2 und 3)

Wer die Landschaft östlich oder nördlich von Stargard im Umkreis von nicht einmal zehn Kilometern durchwandert hat, dem sind die zahlreichen kleinen rundlichen Seen, Tümpel oder versumpften und vermoorten Flächen sowie Geländemulden aufgefallen, die oft mitten im Ackerland liegen. Auch diese Gebilde sind Zeugnisse der Eiszeit bezw. Nacheiszeit.

Beim flächenmäßigen' Abschmelzen des Eises hat sich immer wieder gezeigt, dass Eisreste verschiedener Größe und unterschiedlichem Bodenschuttgehalt, abgetrennt vom zusammenhängenden Gletscher, liegen geblieben und damit zu Toteis geworden sind, das sich nicht mehr fortbewegen kann. Dort, wo ein Toteisblock gelegen hat, hat das in der Umgebung abgeschmolzene Eis seine zuvor eingefrorenen Bodenbestandteile zurückgelassen und damit die alte Bodenfläche aufgehöht (Grundmoräne). So bleibt zunächst eine mit Toteis gefüllte Vertiefung im Gelände zurück.

Oberflächengebilde um Stargard

Während des späteren allmählichen Abschmelzens des Toteisblockes sinkt der im Eis enthaltene Bodenschutt ab. Es entsteht eine Vertiefung (Hohlform) an der Erdoberfläche. Liegt die Sohle dieser Geländemulde über dem Grundwasserspiegel, so versickert oder verdunstet das Schmelzwasser und die Vertiefung fällt trocken oder sie ist zeitweise bei stärkeren Niederschlägen mit Wasser gefüllt. Reicht die Sohle dieser Geländemulde dagegen in den Grundwasserbereich hinein, so bleibt dieses "Loch" ständig mit Wasser gefüllt. Damit ist ein kleiner rundlicher See oder Tümpel entstanden.

In der geologischen Fachsprache (3) haben diese Vertiefungen infolge der unterschiedlichen Grundmoränenbildung ebenfalls eine besondere Bezeichnung. Sie heißen Sölle (Soll = Einzahl, mittelniederdeutsch) und sie werden erklärt mit: "Kleine rundliche wassergefüllte oder vertorfte Hohlform im Boden der ehemaligen vergletscherten Gebiete. Sölle entstehen durch nachträgliches Abschmelzen kleiner in der Grundmoräne zurückgebliebener Toteisklötze." Im Neuhochdeutschen ist das Wort "Soll" als Suhle abgewandelt. Es weist aber noch eine nasse oder schlammige Stelle in der Landschaft aus.

Mit dem allgemeinen Temperaturanstieg nach der Eiszeit sind Pflanzen und Tiere in diese Gewässer nachgerückt. Dabei haben Wasservögel eine Rolle gespielt, weil häufig Pflanzensamen und Fischlaich an Gefieder, Beinen oder Schnabel haften und beim Flug mitgeschleppt werden. Damit kann eine Besiedelung ohne unmittelbare Wasserverbindung mit einem Bach oder Fluss bei neuen Wasserflächen auch heute beginnen. Die absterbenden Sumpf- und Wasserpflanzen führen unter Wasserabschluss zur Vertorfung. Dort, wo die Wasserfläche flach gewesen ist, ist es bereits zum Verschwinden des gesamten Sees oder Tümpels gekommen (Torfloch). Es ist ein Niedermoor (Niedermoor-Torf) entstanden.

Hochmoor dagegen entsteht aus Moosen, wenn ganzjährig gleich hohe Niederschläge vorhanden sind. Für den Raum um Stargard der niederschlagsarm ist (N = 500 mm/Jahr) ist, scheidet es aus.

Im Messtischblatt Maßstab 1 : 25000 und in der Deutschen Grundkarte 1 : 5000 sind solche Mulden ohne Wasser mit einem kleinen Pfeil in Richtung auf ihren tiefsten Oberflächenbereich gekennzeichnet. Fast alle diese Mulden sind natürlich seit dem Ende der Eiszeit flacher und kleiner geworden, weil sie durch natürliche Bodenumlagerung (Flächenerosion) aus dem angrenzenden Nahbereich aufgefüllt worden sind. Man spricht auch von "abflusslosen Mulden", da das in sie einfließende Oberflächenwasser dort zum Grundwasser hin versickert und sie in Kürze wieder trocken fallen.

Überall vorhandene Sumpf- und Wasserpflanzen sowie die in diesen Seen und Tümpeln anzutreffenden Süßwasserfische, zumindest der Giebel (Carassius auratus gibelio), eine Kümmerform der Karausche zeigen, dass es sich hier nicht um Bodenlöcher handelt, die infolge Salzauslaugung entstanden sind.

Beispiele einiger Sölle, die in der Nähe von Straßen oder Feldwegen nahe Stargard liegen und damit leicht zu entdecken sind:

3.1 Kleiner See (Eigenname) zwischen Schwendt und Hansfelde. Ein großer Teil der Hohlform nordwestlich und südöstlich des Kleinen Sees ist bereits verlandet und vertorft.

(Karte3)

3.2 Deich-See (Eigenname), nordöstlich Hansfelde und südlich der Reichsstraße 104. Auch um ihn herum ist ein großer Teil der Fläche verlandet. Da er außerdem in einer eiszeitlichen Rinne mit weiteren Seen liegt, erhält der Deich-See sogar einen Zufluss, der in das Urstromtal der Ihna entwässert.

(Karte 3)

3.3 Abflußlose Mulden und Tümpel östlich auch westlich der Wallberge (Stargarder Stadtgrenze) beiderseits der Reichsstraße 158 nach Freienwalde. Die zahlreichen kleinen Mulden und Tümpel sind zum großen Teil vertorft. Teilweise sind sie sogar von Menschenhand aufgefüllt worden, um die Ackerflächen, in denen sie liegen, besser bewirtschaften zu können.                                             

(Karte 2)

3.4 Tümpel am Feldweg nördlich des "Großen Geeren-Bruchs" und zwischen Buchholz und Kitzerow. Der Wässerspiegel des Tümpels liegt 5 - 10 m unter der umliegenden Oberfläche der Grundmoräne.

(Karte 2)

Zahlreiche andere Sölle sind auf den Messtischblatt-Ausschnitten (Karte 2 und 3) dargestellt. Am sichersten lässt sich im Sommer der Entwicklungsstand des einzelnen Solls in der Natur feststellen.

Verwendetes Schrifttum und Karten

1. Schwichtenberg, A. Entstehung der heutigen Erdoberfläche um und in Stargard, in Stargarder Jahresblatt Nr. 3. Juli 1994 S.13-22

2. Preußische Landesaufnahme, 2656 Stargard in Pommern, Berlin 1890, letzte Berichtigungen 1922 durch das Reichsamt für Landesaufnahme, Maßstab 1 : 25.000

3.Brockhaus: Taschenbuch der Geologie, Die Entwicklungsgeschichte der Erde, Mit einem ABC der Geologie Brockhaus-Verlag, Leipzig 1961

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