Ein Besuch in der Jobstschule
Dietrich Otto
Email: dietrichotto@arcor.de
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Während des Stargard Treffens vom 23.9 bis 29.9.2011 wurde der Besuch einer Schule kurzfristig angeboten. Ilona Stuber von der deutschen Minderheit, eine pensionierte Lehrerin, führt uns in die ehemalige Jobstschule in der Schröderstraße (Limanowskiego), die sich äußerlich so wie in deutschen Zeiten darbietet, der linke Flügel war damals die Knabenschule, der rechte die Mädchenschule, dazwischen liegt die Turnhalle. Viel erwartet hatte ich nicht von diesem Besuch, einige förmliche Reden, vielleicht eine vorbereitete Rede eines Schülers in deutscher Sprache, doch es kommt ganz anders. Wir sind nicht auf diesen Besuch vorbereitet, wir sind aber angemeldet und betreten den rechten Flügel des Gebäudes, die ehemalige Mädchenschule.
Jobstschule
Es ist gerade Pause, kein Schüler ist auf dem Schulhof trotz besten Wetters, alle sitzen in den Gängen dicht gedrängt in Trauben auf dem Fußboden, wohl nach Klassen unterteilt. Es herrscht ein ohrenbetäubender Lärm, der sich noch steigert, als sie unser ansichtig werden und wir uns durch einen Gang schlängeln, sie winken uns fröhlich zu. Zu diesem Zeitpunkt wissen sie sicher nicht, wer wir sind. Es ist kaum vorstellbar, dass dieselben Schüler wenige Minuten später aufmerksam in den Klassenräumen sitzen werden. In diesem Gebäudeteil befindet sich ein Gymnasium, nach deutscher Zählung handelt es sich um die Klassen 7,8 und 9.
Eine Lehrerin empfängt uns, wir sind 12 Personen. Sie spricht fließend deutsch und begleitet uns auf dem ganzen Rundgang, später stellt sich heraus, eine bessere hätten wir nicht finden können. Viele Fragen in bunter Folge stellen wir, die sie pausenlos geduldig beantwortet. Die Atmosphäre in dieser Schule steckt auch uns an, so dass wir uns in bester Stimmung befinden. In Polen muss man bis zum 18. Lebensjahr zur Schule gehen, in diesem Gymnasium werden ab dem 1. Jahr 2 Stunden Deutsch und 2 Stunden Englisch wöchentlich für alle unterrichtet. Irgendwann müssen sich die Schüler für eine Sprache als Hauptsprache entscheiden, diese wird dann 3 Stunden unterrichtet, die andere weiterhin 2 Stunden. Zum Schluss muss eine Sprachprüfung abgelegt werden. Wer Abitur machen will, muss die Schule noch einmal wechseln.
Computer Kabinett
Die Lehrerin führt uns in das Lehrerzimmer, es ist kein Lehrer anwesend, so gucken wir vorsichtig in das benachbarte Zimmer der Direktorin, damit locken wir sie hinaus. Wir werden freundlich begrüßt und ein kurzes Gespräch mit Übersetzung folgt darauf. Danach geht es in das Computerkabinett. Die Schüler erheben sich und gucken uns freundlich an. Irgendwie ergibt sich ein Gespräch zwischen dem Lehrer, den etwa 20 Schülern und unserer Gruppe von 12 Personen. Alle Schüler sitzen vor einem Bildschirm. Es wird mir gestattet, den Computer des Lehrers zu benutzen, ich stelle Bilder von Stargard aus unserer Homepage vor, die werden auf die Computer der Schüler und auf eine größere Leinwand übertragen. Ich bin so in Anspruch genommen, dass ich die Reaktion der Schüler nicht beobachten kann, ich nehme aber an, sie haben zumindest mitbekommen, dass es einen Heimatkreis Stargard und eine deutsche Minderheit in Stargard gibt, die in der nächsten Zeit auch Kontakt mit dieser Schule aufnehmen will, unter anderem um einige Bücher in deutscher Sprache zu übergeben, die der Heimatkreisausschuss mitgebracht hat. Einige von uns wollen die Schule unterstützen und übergeben irgendjemand einige Geldscheine. Beim Verlassen des Kabinetts fragt mich der Lehrer leicht erschrocken, was das bedeuten soll. Genau so läuft dann unser Besuch in dem physikalischen Kabinett ab.
Physik Kabinett
Danach gehen wir in die Turnhalle, hier wird gerade Fußball gespielt, wir bekommen nicht mit, welches taktische Konzept hier gelehrt wird. Unerwartet kommt das Angebot, gegen die Lehrer Fußball zu spielen, dieses Angebot kommt leider einige Jahrzehnte zu spät, es besteht die akute Gefahr, dass wir den Ball nicht mehr treffen. Dann gehen wir auf den Schulhof und erfahren, dass wir in der alten Turnhalle aus deutscher Zeit waren. Seit einem Jahr gibt es als Anbau an die alte Turnhalle eine neue Turnhalle, davor einen Platz für Basketball. Am meisten sind wir jedoch erstaunt, dass es auch seit einem Jahr im Freien einen Fußballplatz in der geschätzten Ausdehnung von 60 m mal 40 m gibt mit kleineren Toren und einem künstlichen Belag gibt. Die unwichtige Frage meinerseits, um welchen Belag es sich handelt, kann sie nicht beantworten, wahrscheinlich ist sie keine aktive Fußballerin. Das der Schule zur Verfügung stehende Gelände ist für diesen Platz nach hinten erweitert worden. Dieser Fußballplatz kann auch vermietet werden.
Gruppenbild mit Lehrerin Sportplatz im Hintergrund
Hier draußen bei schönem Wetter gibt es noch intensive Gespräche. Nur Kurt Jordan aus unserer Gruppe ist hier zur Schule gegangen. Ich wäre ganz in der Nähe wohnend mit Sicherheit auch in diese Schule gekommen, aber bei meiner Einschulung 1941 war die Schule bereits Lazarett. Ab 1945 wurden hier unter sehr schwierigen Bedingungen deutsche Kriegsgefangene eingesperrt. Ein 16-jähriger Schüler, der noch Soldat geworden ist, schildert diese Bedingungen eindrucksvoll. Zeitweilig sollen es gleichzeitig 3000 Soldaten gewesen sein, Keller und Boden waren auch belegt. Der Artikel ist in unserer Homepage nachzulesen. Viele sind an der Ruhr erkrankt und gestorben. Es war praktisch ein Durchgangslager nach Sibirien.
Erich Arndt ist in Alt Storkow (Storkowo) im Kreis Saatzig aufgewachsen, die Lehrerin auch und zwar in dem danebenliegenden Haus. Das gibt reichlich Gesprächsstoff und bringt uns einander näher. Durch geschickte, indirekte Fragen erfahren wir, dass „unsere Lehrerin“ verheiratet ist und ein fünfjähriges Kind hat, das sich jetzt im Kindergarten befindet. Wir wollten erfahren wie die Betreuung der Kinder geregelt ist. Der Unterricht in der Schule geht bis 15.30 Uhr, eine Mittagsmahlzeit kann man in der Schule einnehmen, es gibt auch einen Leseraum für die Schüler.
Jobstschule vor 1945
In Berlin liest man fast täglich von Problemen in den Schulen, besonders in solchen mit Migrationshintergrund. Wir hätten noch weiter fragen können, jede Schule hat sicher Probleme. Wir haben den Eindruck, dass hier nur polnische Schüler unterrichtet werden. Migrationsprobleme wird es nicht in großem Maße geben. Wir hätten fragen können, was das Mittagessen kostet und die Betreuung im Kindergarten, wie groß die durchschnittliche Klassengröße ist, aber das fällt uns erst hinterher ein. Später berichtet mir ein ehemaliger Schüler, dass es einen Gartenacker hinter der Schule gegeben hat, der war unterteilt nach Knaben und Mädchen. Jedem Schüler ab 12 Jahren wurde eine Parzelle von etwa 10 m mal 2 m zugewiesen. Diese Parzelle musste er bewirtschaften, die Eltern durften helfen. Wir verabschieden uns, jeder bedankt sich einzeln. Im Überschwang der Gefühle reden wir von einem Wiedersehen, aber das wird wohl eine Illusion bleiben. Vor der Schule versuche ich noch, 4 Schülerinnen zu fotografieren, 2 laufen kreischend davon, die Dritte will auch nicht so recht, die Vierte jedoch stellt sich in Positur und setzt ein strahlendes Lächeln auf. Wir sind sehr zufrieden mit diesem Besuch und gehen zum Hotel zurück. Wir hätten auch umsonst mit dem Bus fahren können, da wir fast alle über 70 Jahre alt sind. Ein Vergleich mit einer deutschen Schule ist mir nicht möglich, da ich eine solche seit langer Zeit nicht mehr betreten habe.
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