Die Bürgerschützen-Kompanie

Aus Heinz-Jürgen Torff - 2009 "Erinnerungen an Stargard in Pommern"

So hieß und schrieb sich die Vereinigung, die am 09. Juli 1879 gegründet wurde. 1880 hat diese Vereinigung ein Grundstück am Kleinen Krampehl in der Stadtgemarkung von Stargard käuflich erworben und einen Schießstand dort selbst errichtet. Zu erreichen war dieses Grundstück in der Krampehl-Gasse Nr. 8, durch den Schützenpark der „ Privilegierten Stargarder Schützen-Gilde von 1536", beim Überqueren ihres für jedermann öffentlich gemachten Schützenparks in nordöstlicher Richtung, oder den Gang durch die Luisenstraße bis zur Kleinen Mühle und weiter bis zum Grundstück Nr. 8. Die Idee der Bürgerschützen, wie die Stargarder diesen Verein oder diese Vereinigung nannten, entsprang sicher einem vaterländischen Gedanken, der sich auch sehr stark nach der Gründung des deutschen Kaiserreiches 1871 in unserer Stadt Stargard niederschlug. Ihren Schießpark krönten sie mit einer auf einem hohen Granit-Sockel stehenden lebensgroßen Kaiser-Wilhelm-Statue. Denkmäler dieses Kaisers der Deutschen waren in Pommern nicht viele anzutreffen, umso öfter wurde es besucht und geehrt und noch heute ist ein Foto dieses Denkmals bei Sammlern begehrt.

Bürgerschützen

Wesentlich bekannter in der Stadt und von der Stargarder Prominenz und Geschäfts Bürgerschützenpark am Kleinen Krampehl mit Kasino und Schießhallen weit attraktiver eingestuft war die Mitgliedschaft in der „Privilegierten-Schützen-Gilde von 1536" mit deren seit Jahrhunderten gefestigten und schon berühmten Tradition. Das Volksvergnügen für Alt und Jung beim jährlichen traditionellen Schützenfest zu Pfingsten, das eine ganze Woche lang gefeiert wurde mit einer Vielzahl von Veranstaltungen, vom Commers der oberen Stadtpolitiker und Offiziere der Garnison bis zum beliebten Rummelplatz für alle Stargarder mit den Schaubuden.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wuchs auch die Einwohnerzahl unserer Stadt durch mehr Berufsstände und weiteren Zuzug. Zu dieser Zeit fanden sich Beamte, Kaufleute und Handwerker mit eigenen Betrieben mitsamt ihren Familien nicht nur zum Schießen auf dem Bürger-Schießpark ein, sondern sie veranstalteten auf diesem neuen Gelände jetzt eine Vielzahl von Familienfesten, Tanzveranstaltungen und Schützenbällen. Es ging einfach aus Sicht der Mitglieder und der Betreiber hier sehr familiär zu.

Wilhelm I.

Pächter dieser Bürgerschützen-Anlage mit den Lokalitäten war 1937 Karl Raasch mit seiner Familie. Seine Tochter Brigitte Piek berichtet in ihren aufgezeichneten Erinnerungen sehr engagiert und detailliert über ihre Erlebnisse aus den Kindertagen im großen Gelände des Schützenparks. Für sie war ihr Erleben in dieser Naturanlage insgesamt wie in einem kleinen Garten Eden. Sie berichtet:

„Über eine Brücke, die über den Kleinen Krampehl mit seinem sehr klaren Wasser führte, kamen unsere Besucher auf die große Anlage. Das traditionelle Bürgerschützenfest fand jährlich Anfang Juli in sämtlichen Räumen, Schießanlagen und dem Park mit seinen romantischen Fliederstrauß-Nischen für Jungverliebte statt. Die großen alten Kastanienbäume, die wie ein Baldachin den Platz schützten, aber auch keine Sonne mehr durchließen, wurden in den dreißiger Jahren unter Aufsicht von einer Gruppe Strafgefangener aus dem Gerichtsgefängnis gefällt und junge Linden dafür eingepflanzt. Die große Fliederhecke im Westen zur Stadt blieb, ein Blütenduft, der im Wonnemonat Mai nicht nur die verliebten Pärchen in den Sitznischen verzauberte. Das Schützenhaus mit seinem Wohnteil für die Pächterfamilie und seinen großen Lokalitäten stand im Hintergrund, gepflegt und einladend. Es hatte ein „Schrägendach" mit Merkmalen des Klassizismus. Ein altrosa Außenanstrich mit jährlich wieder neu bepflanzten üppigen Petunienkästen in rot/rosa schmückte das Haus vom Frühjahr bis zum Herbst."

 

Links vom Schützenhaus stand das oben angeführte Kaiser-Wilhelm-Denkmal, wohl noch ein vaterländisches Attribut vergangener Epoche, auch bepflanzt mit weißen und rosa-roten Cosmen. Hinter dem Haus waren die Schießstände der Bürgerschützen, daneben ein kleiner Stand für Bolzengewehre, ein Vergnügen für die weiblichen Gäste und Ehefrauen der Bürgerschützen. Umrahmt war das Ganze von einer großen Spielwiese mit Spielgeräten für die Kleinen, mitten drin aber ein alter großer Kirschbaum, der Jahr für Jahr seine saftigen Früchte brachte. Er ist ein Zeuge heiterer unbeschwerter Sonn- und Feiertage der Gäste und wenn die Büchsen knallten, gab er sein Raunen dazu, schrieb die Tochter Brigitte Pink. Ein Garten für Gemüse und Küchenkräuter, ein großer Tanzsaal und Pavillon (im Winter hielten hier die Gartenmöbel ihren Winterschlaf) gehörten, neben Kinderattraktionen, einem quirligen Terrier, Katzen, Hühnern, Kaninchen, Schafen, Tauben, Goldfasanen und auch mitunter einem Pony dazu. Vor großen Festen zogen wir Kinder gerne schöne gefüllte Kuchenbleche auf einem Leiterwagen vorsichtig zum nächsten Bäcker, um später damit unsere Gäste bewirten zu können. Für unser größtes Fest, dem Königsschiessen im Juli, war viel Vorbereitung erforderlich. Jetzt durfte nichts schief gehen; Kellner, Hilfen für den Ausschank, Garderobiere, Bardame. Köchin und andere Kräfte, jetzt gab jeder sein Bestes. Das Fest zog sich vom Freitagabend bis zum Dienstag (Königin-Kaffee der Schützen-Damen) hin. Musik und Tanz bis zum sommerlichen Morgen, eine Ruhestörung gab es nicht.

Am Sonntag, 18.00 Uhr, fand die feierliche Königsproklamation mit Überreichung der schweren, reich verzierten Schützenkette für ein Jahr statt. Mit Musik und vielen Fahnen wurde der Schützenkönig durch die Stadt bis zu seiner Haustüre begleitet. Der letzte Schützenkönig im Jahre 1938 war Ernst Splinter. Eine schöne weitere Attraktion war das Gänseschießen zu Weihnachten, es war ein Büchsenschießen mit besonders viel Ehrgeiz. Welcher Schütze strahlte nicht, wenn er den geschossenen Festtagsbraten seiner Frau überreichen konnte ? Denn es waren ausgesuchte, schwere, säuberlich gerupfte pommersche Weihnachtsgänse.

letzter Schützenkönig

Im Jahre nach Ernst Splinter brach der Zweite Weltkrieg auch in das familiäre Schützenleben dramatisch ein. Aus war es mit dem herrlichen Taubenabwerfen, dem kindlichen Sackhüpfen und Eierlaufen, dem Topfschlagen und der beliebten Kletterstange. Was folgte, war die Einquartierung von Militär und später sogar ein Lazarett. Die ersten Todesnachrichten in den Stargarder Zeitungen betrafen auch Schützenbrüder sowie einige Geschäftsleute und bekannte Lieferanten von unserer Vereinigung und der Festanlage. Das Militär beschlagnahmte jetzt den ganzen Schützenpark. Der private Bereich der Pächterfamilie blieb aber unberührt, bis auch hier am 12. Februar die Fluchtstunde schlug. Ein letzter Gang von uns zu unseren Zwei- und Vierbeinern im Stall, alle Türen und Käfige wurden geöffnet. So erging es der Bürgerschützenfamilie wie allen Stargarder Familien auch. Den Park der Freude, Geselligkeit und der Tradition, es gibt ihn nicht mehr."

Nach Kriegsende kamen wieder Deutsche hierher, aber als Verwundete eines eingerichteten Kriegsgefangenenlagers. Der Sockel vom Denkmal soll noch stehen. Heute ist die Anlage vom Verfall gekennzeichnet, der Versuch auch mit Mitteln des Stargarder Heimatkreises eine Begegnungsstätte neu zu gestalten, ist vermutlich an den Kosten gescheitert.


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