Ein- und Verkaufsverein

Erna Moskal
Feuerbachstr.6, 14471 Potsdam
Tel. 0331 5814915, emoskal@t-online.de

Kurt Weber

Anfang des Jahres 1927 bekam ich eine gehobene und besser bezahlte Stelle als kaufmännischer Direktor des Stargarder landw. Ein- und Verkaufsverein Stargard i. Pom. angeboten und nahm die Stelle zum 1.4.1927 an. Am 1.4.1927 übernahm ich vom ehemaligen Dir. Borsdorff die Geschäfte des Stargarder Vereins. Ich wohnte zunächst im Hotel Prinz von Preußen (Inh. Heinrich Voss).

In den nächsten Tagen machte ich meine Antrittsbesuche in Stettin: Pommernkasse Dir. Dr. Hoffmann und der Hauptgenossenschaft Dir. Hahn, sowie Dir. Hass und Hagemann. Der Stargarder Verein war angeschlossen dem Verband Pomm.Genossenschaft und geldabhängig von der Preußenkasse.

Hindenburgstr. 9

Dem Stargarder Verein stand an Organen direkt vor: der Aufsichtsrat und Vorstand. Dem Aufsichtsrat gehörten an von Wedel Vehlingsdorf, von Loeper, Mulkentin von Flügge, Speck. Dem Vorstand: Haken, Storkow, Schulze-Schulzendorf. Ich selbst wurde im Juli in den Vorstand gewählt. Zum Verein gehörten die Außenstellen Freienwalde, Pyritz, Arnswalde, Tornow, eine kombinierte Weizen-u.Roggenmühle 30 to - Rauschmühle bei Freienwalde -, eine Maschinenreparaturwerkstätte in Pyritz u. Stargard u. Massow, eine alte Zuckerfabrik in Pyritz, die später verkauft wurde. Die Hauptgeschäftsstelle war in Stargard; Hindenburgstr. 9/10, wo ein ganz moderner Silo aufgebaut war. (Im ganzen 100 Angestellte - Jahresumsatz 12 Millionen).

Lage des Grundstücks

Wir bezogen im Mai 1927 die von Borsdorff bisher innegehabte Wohnung Hindenburgstr. 9 Parterre. Dazu gehörte ein sehr großer Obst- Gemüse- u. Ziergarten direkt hinter dem Speicher. Mir stand ein Personenwagen zur Verfügung (Opel, dann Steyer, Stoewer, zuletzt Hansa). Im Sommer fuhren wir sonntags regelmäßig mit dem Auto irgendwohin, meistens an die See. Den Garten hielt ich sehr gepflegt, insbesondere den Ziergarten. Sehr viele neue Bäume habe ich angepflanzt, die ich zumeist aus den verwilderten Gärten der alten Zuckerfabrik in Pyritz und der Rauschmühle Freienwalde heranholte. Insbesondere viele Schattenmorellen. Dann legte ich einen Steingarten mit vielen seltenen Pflanzen an. Steine brachte ich mir dazu bei jeder Autotour mit. Auch ein kleines Gebirgshäuschen aus Wölfelsgrund kam auf den Steingarten. Hier arbeitete ich mich persönlich körperlich aus. Außerdem legte ich für die Kinder einen besonderen Spielplatz mit Reck und Schaukel, Ringe an. Für Hans (Sohn) wurde eine Taubenzucht angeschafft.

Garten

Gartenansicht

Freundschaftliche Beziehungen knüpften wir mit anderen Hausbewohnern an, eine Familie Küster. Er war aktiver Offizier beim 9. Gren. Regiment. Sie hatten eine Tochter Hella, die mit unserer Tochter Marianne gleichaltrig war und die beste Spielkameradin war. Diese Freundschaft hielt bis zum Tode von Hella Küster 2009. In Stargard wurde ich beim Offiz. Verein ehemaligen 9. Gren. eingeführt - Vorstand war Oberst Goltz. Zu besonderen Veranstaltungen erschien jedes Jahr Generalfeldmarschall von Mackensen und hielt eine Ansprache.

Steingarten

Steingarten

im Steingarten

1930 nahm ich im Hause Hindenburgstr.9 große bauliche Veränderungen vor. Ich ließ die Öfen herausreißen und legte für das ganze Haus Centralheizung an. Wir zogen auf die 1. Etage, bekamen dadurch mehr Zimmer (7). Meine alte Wohnung wurde mit zu Büroräumen verwendet. Fam. Küster zog in die 2. Etage. 1932 wurde uns eine 2. Tochter geboren: Erna. In der Hindenburgstr. 10 wohnte Herr Kleinschmidt, mein Chauffeur, und der Bodenmeister (Hauswart).

Der Landesbauernführer (1933) von Pommern Bloedorn, dem die landwirtschaftlichen Vereine Pommerns unterstellt waren, erzwang meine Entlassung unter Bruch meines mit dem Stargarder Verein abgeschlossenen Anstellungsvertrags, weil ich dem Handel von Großgrundbesitzern mit jüdischen Firmen nicht unterbunden und mich mit dem Ortsbauerführer Mörke (Stargard), dem Duzfreund von Bloedorn, überworfen hätte. Mörke ist später wegen Unterschlagung und Nötigung aus der Partei ausgeschlossen worden. Ich klagte darauf beim Landesarbeitsgericht Stargard. Inzwischen wurde mir vor die Nase ein gewisser Staebner gesetzt. Obwohl Aufsichtsrat u. Vorstand mir das beste Zeugnis ausstellten u. mir wiederholt versicherten, dass sie meine Absetzung nicht wünschten, konnten sie sich gegenüber den Parteiorganen nicht durchsetzen. Im Arbeitsgericht Stargard (Sept. 1933) gewann ich den Protzes. Dagegen musste Berufung eingelegt werden, so wollte es Bloedorn.

im Gartenim Garten

In der Zeit meines Prozesses wurde ich durch allerhand Schikanen - wie Wasser abstellen, Verbot meinen Garten zu betreten, Räumung der Wohnung u.s.w. - dauernd belästigt. Durch gerichtliche einstweilige Verfügungen über meinen Rechtsanwalt Dr. Lorenz Müller konnte ich mir Recht verschaffen . Eines Sonntags, ich war gerade im Garten, kamen SS-Leute u. verhafteten mich, ich musste mich sofort fertig machen und ins Auto steigen. Dann wurde ich auf einem Parteibüro von der SS lange verhört. U.a. sollte ich mit Hugenberg heimliche Korrespondenz führen u. mit einem Mühlenbesitzer Krüger, Saatzig, gegen die Partei arbeiten. Ich wurde später entlassen, da man mir nichts nachweisen konnte. Ich führte alles auf Mörke (Ortsbauernführer) zurück.

im Garten

Tage später kommt von der Partei ein Anruf, sofort mit meinem Wagen (sechssitziger Hansa) ohne Chauffeur zum Gesellschaftshaus in Stargard zu kommen. Es war schon dunkel. Dort stiegen 2 SS-Männer auf die Trittbretter und geben eine Straße an, in der Männer aus den Häusern herausgeholt und in meinen Wagen gezwängt wurden. Es geht zurück zum Gesellschaftshaus. Die Leute wurden aus meinem Wagen gestoßen und in den Keller geschafft. Da mir alles sehr verdächtig vorkam, fragte ich einen SS-Mann u. erfuhr, dass die Juden abgeholt und verprügelt werden. Man hörte ihre Schreie. Als ich aufgefordert wurde, weitere Juden abzuholen, machte ich mich am Motor zu schaffen und erklärte eine Autopanne zu haben.

Im Sept. 1934 ist Termin vor dem Reichsarbeitsgericht in Leipzig. Höhere Politische Amtsträger erschienen in voller Parteiuniform, um offenbar die Richter zu beeinflussen. Auf Anregung des Vorsitzenden kommt es zu einem Vergleich. Nur auf Drängen meiner Berater nahm ich ihn an. Ich verlor meine Arbeit u. meine Wohnung. Am 3. Januar 1935 zog ich von der Hindenburgstr.9 in die Moltkestr.6. Um eine Anstellung zu bekommen, die mir von der Partei versagt blieb, zog ich 1936 nach Stettin.

Erna Moskal, geb. Weber, Potsdam, August 2012

Mitte September 2011 waren meine Schwester und ich in Stargard und hatten nach vielen Jahren wieder auf dem Grundstück geschlafen, da wo unsere Familie eine wunderbare und prägende Zeit ihres Lebens verbracht hatte. Unser Vater - Kurt Weber - war von 1927 bis 1935 Direktor des Stargarder landwirtschaftlichen Ein- und Verkaufsvereins. Leider hatten die Nazis entgegen den Votum des Vereins-Vorstandes unseren Vater aus seinem Posten, Haus und Hof herausgeklagt, da er nicht „linientreu" war und im Sinne der Partei gearbeitet hatte. - Trotz dieser „schlimmen" Ereignisse waren und sind die Erinnerungen für unsere Familie an die wunderschöne Zeit auf dem Grundstück und an Stargard von ganz besonderer Bedeutung.

Wir danken Herrn Kosikowski und seiner Frau, dass sie dort in den stehengebliebenen Gebäuden dieses schöne und ansprechende Hotel mit Restaurant gebaut haben. Wir wünschen ihnen dort viele nette Gäste.

 

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