Der neue Lebensabschnitt - Die Lehrzeit
Erinnerungen eines siebzigjähringen Pommern
Ernst Ganzke (1922-2012)
Die Geschichte beginnt etwa 1934.
Die Schulzeit war nun vorbei. Ein neuer Lebensabschnitt begann. Einen guten Beruf musste man erlernen, das war zur damaligen Zeit noch Sitte. Das Handwerk hat Goldenen Boden war die Devise. Also galt es den richtigen Beruf auszusuchen. Ich hatte mich für den Klempner und Installateur entschieden. Die Firma Walter Rathey hatte ich mir ausgesucht, die größte Firma weit und breit. Hier konnte ich auch noch den Heizungsbau erlernen. Am 1. April, morgens früh um sieben, trat ich meinen Dienst bei der Firma Rathey an. Hier hatte auch mein Bruder gelernt und arbeitete noch dort als Geselle. Ich fing damals zusammen mit Heinz Bartelt, einem ehemaligen Klassenkameraden, an. Beide wurden wir genau unter die Lupe genommen. Wie die ersten Menschen wurden wir in Augenschein genommen. Es sah so aus, als würde man sich für uns tatsächlich interessieren, denn ein Tuscheln ging von Mund zu Ohr. So verging die Zeit, es wurde neun, die Frühstückszeit kam heran. Da ich am günstigsten stand, durfte ich gleich für alle Anwesenden Bier holen. Der Bierverlag war gleich nebenan. Es war der Bierverlag Krehnke. Dort gab es das Stettiner Bohrisch Bier. Damals kostete die Flasche Bier noch 18 Pfennig. Es versteht sich von selbst, dass genau auf den Pfennig abgerechnet wurde. Einige ließen natürlich anschreiben. Das musste man sich alles genau merken. Man trug als Lehrling also schon eine gehörige Portion Verantwortung! Einige der Gesellen spürten auch des öfteren Durst und wieder und wieder durfte ich Bier holen. Um ganz ehrlich zu sein, es stank mir bald, drum verdrückte ich mich auch so oft und so gut ich es konnte. Auch war die Praxis, mit der man unsere Lehrzeit vier Jahre in die Länge zog, keinesfalls gerechtfertigt. Im ersten Lehrjahr war man nichts anderes als Bierholer, Budenputzer und Laufbursche und im zweiten auch nicht viel mehr. Man durfte Gewinde schneiden, Rohre absägen und Fittings aufdrehen; dann diese Sachen dem Gesellen bringen und ein neues Maß mitnehmen. Diese Arbeit ging dann tagelang, ja sogar wochenlang und länger. Auch durfte man beim Zuschneiden von Dachrinnen helfen und grobe Vorarbeiten machen, die jedermann ausführen konnte. Mit anderen Worten, mindestens 2 Jahre hätte die Lehrzeit verkürzt werden können, wenn jeder Lehrling sofort an wichtigere Arbeiten herangeführt worden wäre.
Aber Gott sei Dank gab es für uns noch die Berufsschule, damals unter der Leitung des bewährten Direktor Hellmich, eines sehr guten Pädagogen. Auch er wurde seines Amtes enthoben, weil er wie Rektor Sudheimer Freimaurer gewesen war. - Hier fand ich die Ausbildung, die ich mir damals wünschte. Der Ingenieur und Lehrer Alfred Riecken brachte uns das Zeichnen bei, das ja ein so wichtiger Ausgangspunkt für jeden technischen Beruf ist. Vor allen Dingen waren es die verschiedenen Abwicklungen, die mich als werdender Klempner brennend interessierten. In der ganzen Werkstatt war auch nicht ein Geselle, der mir irgendeine Abwicklung hätte zeigen können. Es war kein Wunder, dass ich die Zeichnungen des ersten Lehrjahres bereits im ersten Vierteljahr erledigt hatte und nach dem Ende des Schuljahres bereits ein Jahr voraus war. Meine Zeugnisse waren dementsprechend. Die Prämie von einem Wochenlohn, die Meister Rathey für das beste Zeugnis ausgesetzt hatte, kassierte ich jedesmal. Was waren aber schon 3,- RM für eine Woche im ersten, 4,- RM im zweiten, 5,- RM im dritten und 6,- RM im vierten Lehrjahr ?
Wie glücklich war ich, als 1948 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurde, dass ich meine theoretischen Kenntnisse im Kopf konserviert hatte. So konnte ich sofort in einer neugegründeten Montagefirma für Klimaanlagen anfangen und meine ersten Meriten als Aufreißer für Abwicklungen kassieren. Das ich damit den anderen Klempnern voraus war, brauche ich wohl nicht zu betonen. - So viel über meine Lehrzeit.
Der Klempnermeister Walter Rathey hatte einen guten Ruf wegen seiner gediegenen Arbeit und darum klagten die benachteiligten Handwerker:
„Der Rathey kann gut Löten,
drum ging der Auftrag flöten"
Prof Dr. -Ing. Alfred Schwichtenberg
Anzeige im Sonderheft Stargard „Unser Pommernland" 12.Jahrgang 1927
Doch nun ein paar Zeilen über unsere Zeit nach dem Feierabend. Da trafen wir uns dann: Heinz Habeck, Ulli Kornstedt, Erich Sonnenburg und ich und versuchten den angebrochenen Tag noch ein wenig zu gestalten. Im Sommer machten wir am Abend noch einen längeren Spaziergang, auf dem wir uns so richtig auslachen konnten, denn Humor war bei uns doch Trumpf. Es genügte ja mitunter schon, wenn man irgend eine Tagesbegebenheit erzählte. Meistens waren diese schon recht lächerlich. Nach dem Gang durch die Peripherie, spielten wir noch eine Partie Billard bei Richard Körner. Aber um 22.00 Uhr mussten wir alle pünktlich zu Hause sein. Damals herrschten noch strenge Sitten. Man zog auch mit 16 Lenzen noch nicht aus dem Elternhaus. Die Eltern bestimmten das Leben innerhalb der Familie. Außerdem hatte auch kein junger Mensch so viel Geld, dass er sich alleine eine Wohnung halten konnte und von den Eltern war diesbezüglich kein Pfennig zu erwarten.
Unvergesslich war auch ein Gang am Abend durch die Anlagen, durchs Rote Meer und die Holzmarktstraße hinunter bis zur Pyritzer Straße vor und wieder zurück. Das war bei uns das sogenannte Karree-Schieben. Hier traf sich das junge Volk und machte sich irgendwie bemerkbar. So manches Pärchen ist sich dabei nähergekommen. Einige junge Männer warteten aber auch auf ihre Mädchen, da ja erst nach sieben Uhr die Läden zumachten. Danach räumten sie noch schnell auf, erst dann hatten sie Feierabend. Nun waren natürlich die Kavaliere zur Stelle und geleiteten ihre Damen nach Hause. Andere flachsten durch die Gegend, dort herrschte eben stets ein lustiges Treiben. Die Stunde zwischen 18 und 19 Uhr war wohl die lustigste Stunde in Stargard. Danach leerte sich das Karree, man ging ins Kino oder genoss noch ein wenig die schönen Abendstunden in den Anlagen. Wer sein Mädchen hatte, suchte sowieso ein ruhiges Plätzchen im Grünen. Denn:
„Geh'n wir zu Dir, oder geh'n wir zu mir?"
Das gab es damals noch nicht, bis zur Heirat wohnte jeder bei seinen Eltern.
Die kalten Winterabende verbrachten wir vier meistens in der Backstube von Bäckermeister Otto Maaß in der Bergstraße 41. Dort war es immer schön warm und Stimmung konnte man auch dort haben. Bei vier jungen Männern gab es wohl immer etwas zum Lachen und wenn es uns danach war, dann wurde auch ein zünftiger Skat gedroschen. Zur Bäckerei gehörten 3 Gesellen, ein Lehrling und nicht zu vergessen den Kutscher, der das Brot und die anderen Backwaren mit dem Pferdewagen ausfuhr. Oft habe ich schon als Schulbub neben ihm auf dem Kutscherbock gesessen und mich gefreut, wenn ich auch einmal die Zügel in die Hand nehmen durfte. Es war also stets eine lustige Gesellschaft anwesend und nie war es langweilig.
Doch am Sonntag schmissen wir uns in Schale. Das Beste was wir hatten wurde angezogen, (es gab ja nur einen Sonntagsanzug), und dann ging es ab ins Schützenhaus. Ulli's Vater gehörte doch zu den Stargarder Schützen. Seine Eltern waren also auch stets dort. In dem Lokal war jeden Sonntag ab 16 Uhr Kabarett und Variete und zwischendurch wurde getanzt. Hier war es, wo wir unsere ersten ungelenkten Tanzschritte probierten; denn eine Tanzschule konnten wir nicht besuchen, dafür war einfach kein Geld vorhanden.Wir sind aber des öfteren mit Ulli und Erich mitgegangen, die nahmen an einem Tanzkurs teil. Den Abschlussball machten wir dann ebenfalls mit. Und wenn ich ganz ehrlich sein will, kann ich behaupten, dass wir uns nicht so steif und dumm angestellt haben, wie mancher Tanzschüler.
Der Eintritt kostete damals eine Reichsmark. Darin war gleichzeitig der Preis für die Garderobe enthalten. Also wurden Mantel und Hut abgegeben. Ein schöner Tisch wurde gesucht, es war meistens jeden Sonntag der gleiche. Dann kam auch gleich der Ober, der kannte uns schon. Wir waren ja die Herrschaften mit dem Dauerbier für 60 Pfennig. Wir haben also dem alten Barfknecht nicht allzuviel Geld an den Hals geschmissen. Nun, bei 4,- RM Wochenlohn kann man sich keine sehr großen Sprünge erlauben, außerdem waren wir zu der Zeit auch schon Raucher und die Juno kosteten damals 6 Stück 20 Pfennig. Und so eine Packung musste ja bei jungen Herrn standesgemäß auf dem Tisch liegen. Aber dafür nahmen wir auch alles wahr, was uns geboten wurde. Wir amüsierten uns herrlich bei den Vorführungen und ließen auch kaum einen Tanz aus. Unser sauer verdientes Geld war meines Erachtens wirklich gut angelegt.
An meinem letzten Silvester in Stargard war ich ebenfalls im Schützenhaus. Diesmal ohne Heinz und Erich, die beiden waren bereits auf der Walz. Nun, ich hatte keine lange Weile. Von meinem Vater hatte ich Ausgang bis zum Wecken. Ich brauchte also nicht auf die Uhr zu schauen. Im Saal spielte die Militärkapelle und brachte enormen Schwung in die Gesellschaft. Natürlich gab es auch zwischendurch immer wieder Einlagen. Viele Bekannte traf ich dort an und sie waren zu mir sehr spendierfreudig. Nun, ich trank und tanzte und war glücklich wie noch nie. Mensch, kann doch das Leben schön sein! Als dann der Morgen da war und in der Gaststätte die Lampen gelöscht wurden, war es an der Zeit, zum „Großen Wecken" zu gehen, das die Militärkapelle an jedem Neujahrsmorgen veranstaltete. Gegen neun Uhr war ich dann glücklich zu Hause und auch ganz schön müde. Was bin ich heute doch froh, dass ich diesen Silvesterabend so ausgiebig gefeiert habe. War es doch mein letzter Jahreswechsel, den ich in Stargard verleben durfte. Darum bleibt er mir auch unvergessen. Ganz zufällig hatte ich auch noch am Silvestertag im Hause des Herrn Neumann (Mampe) gearbeitet und bekam von ihm zwei Flaschen Alkohol als Geschenk. Ich durfte sie mir aussuchen. Ich wählte den guten „Mampe Koem" und „Mampe Halb und Halb", zwei wunderbare Tropfen. Eine Flasche, den Koem, schenkte ich meinem Vater. Der hat sich natürlich riesig gefreut, und gab mir daraufhin Urlaub bis morgens früh.
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