Fleischermeister Linke

Hans Linke, Rodaer Landstr.25
99310 Wiphatal, Tel.03629 4563

Als die Heimat meines Vaters unsere zweite Heimat wurde und wie mein Vater nach Stargard kam.

Mein Vater, Otto Linke wurde am 10. März 1904 in Griesheim-Hammersfelde, Kreis Arnstadt in Thüringen geboren.

Linke Verlobung

Er lernte den Fleischerberuf und bestand seine Gesellenprüfung in Arnstadt im Jahre 1918. Als Geselle arbeitete er in einer Wurstfabrik in Arnstadt bis zum Jahre 1926. Durch ein Inserat in der Fleischerzeitung bewarb er sich um eine Arbeitsstelle in der Rossschlächterei Paul Keßler in Stargard in der Pelzerstraße und bekam auch die Mitteilung zur Einstellung. In Stargard lernte er seine Frau, damalige Gertrud Luther kennen und im April 1927 wurde geheiratet.

Es bestand der Wunsch meines Vaters sich selbstständig zumachen und eine eigene Fleischerei zu gründen. Nach bestandener Meisterprüfung in Stettin begann der Weg zur Selbstständigkeit. Der erste Laden wurde auf dem Rosenberg eröffnet, neben der Berufsschule.

Mittwochs und Samstags wurden Wurst und Fleischwaren auf dem Markt in einem Verkaufsstand angeboten. In den Monaten Juli bis Ende Oktober wurden die Schnitterkasernen auf den Gütern um Stargard versorgt. Auf den Fahrten dort hin auf dem Pferdewagen wurde er von meinem Onkel, dem Tischlermeister Erich Luther, dem Bruder meiner Mutter, zur Sicherheit begleitet.

Linke Hochzeit

Am 1. Mai nach den großen Umzügen wurden heiße Bockwürste auf dem Jahn-Sportplatz angeboten. Im Jahre 1938 übernahmen meine Eltern eine größere Fleischerei in der Johannisstraße 24. Im Sommer 1940 wurde mein Vater zur Wehrmacht nach Frankreich eingezogen. Meine Mutter sollte die Fleischerei mit französischen Kriegsgefangenen weiter betreiben, was sie aber ablehnte, wegen der Einführung von Lebensmittelkarten, welche monatlich abgerechnet werden mussten und die Menge mit den zugeteilten Fleischmengen übereinstimmen musste. Deshalb wurde die Fleischerei geschlossen.

Linke

Aller Anfang ist schwer. Die Familie Linke
vor ihrem ersten Fleischerladen auf dem
Rosenberg vor der Berufsschule. Ich auf
dem Arm meiner Mutter ca. 1. Mai 1935

Linke

Die Fleischerei meiner Eltern in der
Johannisstraße 24, meine Mutter im Laden

Als Mutter von vier Kindern wurde sie in der damaligen Kriegszeit zur Arbeit verpflichtet. Da sie vor ihrer Heirat am Gericht in Stargard als Protokollführerin tätig war und die Stenographie und Schreibmaschine beherrscht, bekam sie eine Stelle im Lagerbereich der Firma Carl Kursch in der Gr. Mühlenstraße. Hier stellte sie die Eisenwarenlieferungen für die Schmiedemeister und Güter im Umkreis von Stargard zusammen und schrieb die Frachtbriefe für die Bahn. Zwei Pferdegespanne mit vier Kaltblütern gezogen, brachten die zum Versand bestellten Eisenwaren zum Güterbahnhof, wo sie per Bahn verschickt wurden. Kurz nach ihrer Einstellung verstarb leider der Besitzer der Eisengroßhandlung.

Linke

Linke

Karl Kursch und sein großer Besitz ging an Ella Kursch - Gutsbesitzerin in Groß Spiegelberg Pasewalk über. Meine Mutter arbeitete bis zum 11.02.1945 - wo der Befehl zur Räumung unserer geliebten Heimatstadt Stargard kam, in der Firma Carl Kursch. Vor dem Räumungsbefehl lud Frau Kursch die Beschäftigten bei Carl Kursch zu sich nach Groß Spiegelberg ein und es sollte unser erstes Etappenziel auf der Flucht werden. Am besagten Sonntag Nachmittag wurde die Flucht mit den zwei Pferdegespannen vorbereitet. Es war ein Sonntag mit hellen Sonnenschein und es war das herrlichste Flugwetter für die amerikanischen Jabo-Flieger, die knapp über die Häuser flogen und aus ihren Bordkanonen schossen.

Linke

Etwa gegen 17°° Uhr stellten sie ihre Flüge ein und die zwei Kutscher fuhren kurz vor 18°°Uhr durch das Walltor, an der KI. Mühle und dem Steinernen Kreuz vorbei Richtung Buchholz, wo wir dann die erste Nacht verbrachten. Diese Route wurde ausgewählt, weil die Stettiner Straße Richtung Autobahn mit Flüchtlingstrecks und Militärfahrzeugen total zugestopft war. Am Montag Morgen ging die Fahrt weiter Richtung Autobahn. Am Dienstag überquerten wir die Oderbrücken bei Stettin und am Mittwoch, den 14.2.45, erreichten wir unser erstes Etappenziel Groß Spiegelberg, einen Tag vor meinem 12. Geburtstag.

Als wir auf der Fahrt die Oderbrücken überquerten, waren diese zur Sprengung vorbereitet und die Wehrmachtskettenhunde trieben alle zur Eile an und sagten: „Wenn der Befehl zur Sprengung der Brücke kommt, fliegt ihr alle mit in die Luft."

Linke Urlaubsschein

In Groß Spiegelberg war unsere Ankunft vorbereitet. Alle Familien waren im Ort unter gekommen und im Gut köstlich versorgt worden. Hier blieben wir bis zum 28. März 45, wo wir mit dem Zug in offenen Waggons bis Halle, ab hier im geheizten Personenzug nach Leipzig und weiter nach Erfurt gefahren sind. Am Abend ging es mit dem Personenzug nach Arnstadt. Wegen Fliegeralarm blieb der Zug hinter Neudietendorf auf der Strecke stehen und das Licht wurde ausgeschaltet, damit uns die feindlichen Flieger nicht sehen konnten. Als der Zug endlich weiter fuhr und das Licht wieder eingeschaltet wurde, mussten wir mit Bedauern feststellen, dass man meine Aktentasche mit den Schuhen und Schwimmzeugnissen gestohlen hatte. Es war der zweite Verlust den wir erlitten. Der erste Verlust war in Halle, wo man uns einen großen Koffer von dreien gestohlen hatte.

In Arnstadt angekommen, es war Nachtzeit, sind wir bei einer Schwester von meinem Vater untergekommen. Es war der 29. März 1945. Am anderen Tag fuhren wir bis Stadtilm, wo es danach zu Fuß nach Griesheim ging, wo wir, dass heißt meine Mutter, meine Schwestern und ich in der Heimat meines Vaters, unsere „zweite Heimat" fanden. Bei seiner Schwester, die in Griesheim die Dorfschmiede besaß, wurden wir gut untergebracht. Zu Vollständigkeit der Familie fehlte nur noch unser Vati, der bei der deutschen Wehrmacht war und 1942 von Frankreich nach Königsberg in Ostpreußen verlegt wurde.

Ende 1944 begann der große Rückzug aus den Ostgebieten durch unsere Wehrmacht und im Januar 1945 waren die Panzerspitzen der Roten Armee bis an die Oder vorgedrungen. Mein Vater wurde zur Verteidigung der Hauptstadt Berlin eingesetzt. Im Kampf um die Hauptstadt Berlin wurde er beim Häuserkampf in Erkner schwer verwundet und zivile Bewohner haben ihn auf der Straße liegen sehen und unter Lebensgefahr auf einem Handwagen in eine Schule, welche als Lazarett der Wehrmacht diente, gebracht. Hier wurde er von Mitte April 1945 bis zum 21.7.45 ärztlich betreut. Mein Vater hatte schon, bevor er zum Wehrdienst eingezogen wurde, ein offenes Bein. Dadurch wurde er vor schlimmeren bewahrt, denn alle leichtverwundeten Soldaten wurden durch die Russen aussortiert und kamen nach Sibirien in Gefangenschaft.

Mein Vater bekam vom Krankenhaus Neukölln für 14 Tage einen Urlaubsschein um seine Familie, die schon zuvor nach Thüringen geflüchtet war, nach Berlin zu holen. Der Bruder von meiner Großmutter wohnte in Berlin-Tegel und hat als ehemaliger Stargarder Ende der Zwanziger Jahre ein Haus gebaut. Vom Onkel Gustav wurde mein Vater vollständig neu eingekleidet und konnte so als Zivilist die Reise nach Thüringen antreten. Nach ein paar Tagen Bahnfahrt kam er in seiner Heimat an und brauchte von Ende 1945, bis Ende Januar 1946 um einen Ost-Ausweis (Ausweis für Ost-Umsiedler) zu bekommen. Dieser Ausweis war sehr wichtig, da er dadurch eine Lebensmittelkarte bekam und gleichzeitig das Wohnrecht für Thüringen erhielt.

Linke Ost Ausweis

Im April 1945 wurde Thüringen durch die Alliierten Streitmächte befreit und die amerikanische Kampftruppen zogen in unserem Dorf Griesheim ein. Doch das Glück der Befreiung währte nicht lange, denn Thüringen wurde entsprechend des Viemächtestatus von Berlin an die Sowjetmacht ausgetauscht. Ein unvergessener Tag, als die russischen Horden mit Panzern und Panjewagen in unser schönes Thüringer-Land einzogen. Sofort wurden Maschinen aus den Betrieben als Reparationskosten nach Russland verladen und Großbetriebe gesprengt. Zur Versorgung der Russen wurden in unserem Ort fast die ganze Schafherde geschlachtet. Nach dem sich die Lage beruhigt hatte, kehrte ein normales Leben in den Dörfern und Städten ein.

Das Schönste aber war im Jahre 1945, dass unsere Familie unbeschadet überlebt hatte und das wir das erste Weihnachtsfest in Frieden zusammen feiern konnten. Von nun an begann in Griesheim ein normales und friedliches Leben, aber die Gedanken an die alte Heimat sind geblieben und werden unvergessen sein.

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