25.5.2010
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Heinz Günther Pink lebt seit 1959 auf Hawaii. Seinen Lebensbericht (35 Seiten) hat er mir in englischer Sprache zugeschickt. Den Bericht hat er mit 70 Jahren geschrieben und er ist in erster Linie für seine Freunde und Bekannten in Hawaii gedacht, deshalb werden englische Maßeinheiten verwendet. In diesem Auszug wird die Zeit behandelt, die er von 1933 bis 1945 in Stargard verbracht hat. Er wohnte im Flensburger Weg 26, einer kleinen Stadtrandsiedlung zwischen Stargard und dem Dorf Seefeld. Diese Siedlung liegt soweit außerhalb, dass sie auf den meisten Stadtplänen von Stargard nicht enthalten ist. Das Haus, in dem er gewohnt hat, habe ich 2004 fotografiert und ihm das Bild zugeschickt. Die beiden Bilder von 1940 habe ich von Frau Gertrud Dee erhalten, einer Nachbarin. Sie schreibt, wir haben ihn liebevoll als unseren kleinen Japaner angesehen.
Dietrich Otto
Lebensbericht Heinz-Günther Pink
Asiatisches Blut läuft durch meine Adern. Man konnte es gleich nach meiner Geburt bemerken, wenn meine dunkelbraunen mongolischen Schlitzaugen Tränen vergossen in dieser chaotischen Zeit am 5. April 1933. Es war der Tag, an dem Adolf Hitler an die Macht kam. Mitglieder der NSDAP marschierten in braunen Uniformen am frühen Morgen durch die Straßen von Stettin. Die eisernen Nägel ihrer Stiefel erfüllten die Straßen mit einem schauerlichen rhythmischen Lärm. Die Herrenrasse der arischen Gesellschaft tolerierte keine andere Rasse als ihr eigenes reines Blut. Nicht nur meine orientalischen Schlitzaugen taten kund, dass ich kein Arier war, auch hatte ich einen blauen mongolischen Fleck auf meinem Rücken. Dieser blaue Fleck faszinierte die Ärzte. Kann es sein, dass ich schon im Mutterleib meiner unmenschlichen biologischen Mutter misshandelt wurde. Ein weiser Mann sagte einst, man kann der erfolgreichste und reichste Mann auf der Welt sein, das wiegt nicht den Schmerz und das Leiden auf, wenn man nicht seine Abstammung kennt. Eine starke deutsche Frau mit dem Namen Olga Pink fand sich als Vermittlerin, um dieses missratene Bündel nach Stargard zu bringen. Sogar dort, am äußersten Rand der Stadt wurde ich Pflege für Geld in eine arme Maurer Familie, Gustav und Elisabeth Gomoll, gegeben. Diese arme Familie hatte schon zwei Jungens, Horst und Dagobert, sie waren 9 und 7 Jahre älter als ich.
Es war ein typisches Arbeiterhaus für 2 Familien, oben mit 2 kleinen Betträumen je Familie, Unten gab es ein Wohnzimmer und ein feines Zimmer mit Sofa, Anrichte und einem großen Esstisch für gelegentliche Gäste, für Geburtstagsfeiern, Konfirmationen und andere Feste wie Weihnachten. Der geschmückte Weihnachtsbaum mit schönen, wirklich gefährlichen brennenden Kerzen hatte in dem feinen Zimmer seinen Platz ab Ende Dezember. So ein Baum wurde aus dem nahe gelegenen Wald geholt ohne Beachtung irgendwelcher Verbote. Die Kerzen verbrannten einige der frischen, grünen Kiefernnadeln und schufen so eine festliche Weihnachtsstimmung, zusammen mit nur einer Apfelsine oder Mandarine, die zur Verfügung stand und abgepellt war. Jedes Jahr zu Weihnachten gab es einen bunten Teller mit einem Namen darauf, gefüllt mit Nüssen, Keksen und anderen Früchten aus dem Garten, die im Keller aufbewahrt waren. Sogar eine gepellte Apfelsine oder Mandarine konnte die eisig kalte Winterluft füllen mit einem wunderschönen exotischen Aroma. Weihnachtslieder wurden gesungen und eingewickelte Geschenke lagen unter dem Baum. Kartoffelsalat mit Wiener Würstchen wurden im daneben liegenden Wohnzimmer mit dem einzigen glasierten Kachelofen in der unteren Etage serviert. Hier gab es eine Couch, einen Tisch mit 4 Stühlen und einen hölzernen Kleiderschrank. Von hier führte eine Treppe in den Keller, der gefüllt war mit großen Äpfeln, Kartoffeln, konservierten Früchten, Gemüse, Kohlen und Feuerholz. Hinter der Kellertür waren 6 große Haken angebracht, um die täglich benutzte Kleidung aufzuhängen. Hinter dieser Kleidung war mein bevorzugtes Versteck, wenn meine kleinen Gefühle verletzt waren durch Beschimpfung und Verspottung mit bösen Namen von den Nachbarn. Sogar wenn Tante Olga ihre zweimaligen jährlichen Besuche machte, ich versteckte mich dort hinter der Kleidung mit verletzten Gefühlen im Herzen, aber ich wusste niemals warum. Jeder Raum in dem Doppelhaus hatte nur ein Fenster. In der Kälte des Winters schuf die Natur wunderschöne Eisblumen auf dem Fensterglas. Mit der Zunge konnte man ein kleines Loch machen und auf die sandigen, mit gefrorenen, schmutzigen Schnee bedeckten Straßen gucken. Die meisten Leute waren zu arm, um hölzerne Fensterläden zu kaufen, so wurden selbst gemachte Matten aus Stroh verwendet, um etwas von der Kälte fernzuhalten. Der gnadenlose Ostwind konnte 10 Fuß hohe Schneedünen schaffen. Jungen machten ihre ersten Schneeschuhe aus alten Bierfässern. Diese waren ideal gekrümmt und mussten nur mit Gummibändern in der Mitte der Schuhe befestigt werden. Der Fluss Ihna war fest zugefroren, überflutete Felder nahebei konnten genutzt werden zum Schlittschuh laufen. Alte Schlittschuhe wurden von einem Kind zu einem anderen weiter gegeben. Die Siedlung, einige Meilen von der Stadt Stargard entfernt, wirkte verloren.
Während des Krieges musste schwarzes Papier innen in jedem Fenster angebracht werden. Wenn ein schmaler Lichtstrahl sichtbar wurde, schrie ein Polizist "Licht aus" und es erfolgte eine Vorladung. Das Heulen der Sirenen wurde beim Fortschreiten des Krieges immer häufiger und der Donner der Terror Bombardements in Stettin, nur 22 Meilen entfernt, wurde mit jedem Tag lauter. Treibstoff wurde knapp, man konnte viele Autos mit einem Wasser Erhitzer hinter der Fahrerkabine sehen. Viele Nahrungsmittel und andere Dinge wurden künstlich hergestellt, so Benzin, Honig, Leder und Nahrung. Wahre Not ist die Mutter der Erfindungen. Sämaschinen hatten eine Fußpedale.
Es gab nur einen Laden am Rande des Arbeiterviertels, das war Kaufmann Moerke. Hier konnte man nahezu alles kaufen, Nahrung, Kleidung, Heiz- und Baumaterial. Dann gab es einige reguläre Händler. Der Bäcker kam mit einem großen quadratischen Korb auf seinem Rücken mit einem Fahrrad. Er trug eine weiße Bäckermütze, eine weiße Jacke und fein karierte Hosen. Brötchen wurden warm gehalten unter einer Decke in seinem Korb. Ich sehne mich noch nach diesen warmen Brötchen mit frischer Butter und selbst gemachter Marmelade. Brot wurde von einem anderen Bäcker auf einem Pferdewagen gebracht. Es gab einen Milchwagen und einen Bierwagen mit einer laut tönenden Glocke. Der Fahrer schrie: "Bing bing bing Malzbier". Bei meinen letzten beiden Reisen nach Deutschland konnte ich dieses süße, wundervoll schmeckende alkoholfreie Bier nicht finden. Alle Lieferungen wurden mit Pferdewagen gebracht.
Die Küche hatte einen Kohleofen und einen Holzofen zum Kochen. Direkt daneben waren die Holzbox und ein Kohlekasten. Als ich klein und manchmal ungezogen war, drohte man mir, in dem Kohlenkasten schlafen zu müssen, zugedeckt mit einer Zeitung. Es ist ein grausamer Scherz, wenn man es nicht besser weiß und es für ernst nimmt. Es gab 2 Wasserkübel für den Wasservorrat. Alle 12 Familien mussten gemeinsam eine Wasserpumpe benutzen auf der ungepflasterten, sandigen Straße im Flensburger Weg. Die Wasserkübel wurden periodisch gereinigt mit übel riechender Säure. Es gab keinen Kühlschrank, keine Dusche oder Wassererhitzer. Es gab einen Geschirrschrank und einen Waschstand mit einer Wasserkanne in der Küche. Man hielt sich sauber mit einem Handtuch und einem einfachen Stück Waschseife. Es gab eine Waschk�che neben dem Stall für Schafe, Gänse und Hühner. Der Waschraum hatte einen großen Feuerofen für die große Wäsche, Kessel für alle Zwecke und ein Zementbassin mit einem Abfluss zum Nachspülen oder um ein kühles Bad im heißen Sommer zu nehmen. Nur bei sehr seltenen Gelegenheiten, vielleicht viermal im Jahr, konnten wir das Bassin für ein gutes, heißes Bad nutzen. Neben dem Stall war ein hölzernes Toilettenhaus. Ein kleines Kind konnte leicht in die sehr tiefe, zementierte Grube fallen. Man konnte den Stall von hinten ausmisten, ebenso das Toilettenhaus. Der ganze Stallkomplex war von einem Zaun umschlossen, um die Küken, Enten und Gänse von dem Garten hinter dem Haus fernzuhalten, in dem Früchte und Gemüse angebaut waren. Vor jedem Regen mussten die Apfel-, Birnen-, Kirsch- und Pflaumenbäume sowie auch die Erdbeeren aus der Jauchegrube gedüngt werden. Rote, gelbe und schwarze Johannisbeeren und Stachelbeeren bekamen auch ihren Teil von dieser garantiert organischen Jauche ab. Dieser ganze Komplex bildete eine Mikrowelt ohne jeden Einsatz von Chemikalien. Es war herrlich und man konnte nichts schmecken und riechen von dieser organischen Düngung. Es gab immer weniger auf Lebensmittelkarten, wir wurden immer mehr zu Selbstversorgern.
Zur Freude aller Nachbarkinder wurde das Kartoffelkraut zu hohen Haufen gestapelt, für uns ein Spielplatz, uns zu verstecken und darauf herum zuspringen. Es gab eine Menge von Festlichkeiten für Kinder, abendliche Laternenumzüge und Vergnügungen am 1. Mai. Hier gab es einen Maibaum, eine lange Stange, die oben geschmückt war. Man konnte hinauf klettern und der schnellste Kletterer erhielt einen Preis. Hinzu kamen Schützenfeste und Rummel mit verschieden Karussells, Schießständen und Marktbuden. Die Chancen etwas zu gewinnen waren gering.
Die Sommer waren sehr heiß und nass mit Regen und Gewitter. Der Donner war erschreckend. Ich lernte die Sekunden zu zählen zwischen einem Blitz und dem Krach des Donners und konnte so die Entfernung in Kilometern bis zu der Gewitterwolke messen. Es wurde gesagt, der erste Donner im späten Frühling nimmt das Gift aus dem Boden und es war danach eine Freude für uns Kinder, barfuß durch die Wasserpfützen zu laufen und unsere kleinen Boote aus Kiefernborken schwimmen zu lassen.
Helga, eine reife und weise Frau kam mir zur Hilfe. Sie schien die einzige zu sein, die meine Wissensbegierde verstand. Sie erklärte mir die Fakten des Lebens, begann mit den Tieren und endete mit den Vögeln und Bienen. Sie kannte meine Tierliebe. Sie zeigte mir, wie Glucken ihre kleinen Küken umsorgten, während der stolze Vater Hahn diese liebevollen Belehrungen beobachtete. Sie zeigte mir wie Katzenmütter ihre kleinen Kätzchen mit ihren Zähnen aus der Gefahrenzone heraus trugen. Sie zeigte mir, wie Vögel, zahme Kaninchen und Hennen ihre Nester bauten bevor ihre Kinder da waren. Sie erklärte nachdrücklich dass Babys die ohne Heim und einen Vater geboren werden wie ein Vogel ohne Nest, hungrig in der Mitte der Straße bei Regen und Schnee und von Pferdewagen überrollt werden können. Ihre Erklärungen beeindruckten mich tief und ich erinnere mich noch an viele Details.
Ich war ungelenk und konnte in den ersten 18 Monaten nicht laufen. Ich, der seltsame Junge bewegte mich zur Erheiterung der Nachbarn auf Händen und Knien durch den Garten. Ich wurde früh mit den Vorgängen in der Natur vertraut gemacht, ebenso zur Gartenarbeit heran gezogen. Gustav Gomoll, der Maurer, pflanzte Spielzeugsoldaten in die Erde. Mit einer Spielzeug Gießkanne hatte ich sie täglich zu wässern, durfte sie nicht berühren. Zu meiner Verwunderung wuchsen sie täglich um einen halben Inch. Papa Gustav war eine freundliche Seele, erbrachte mir Bonbons und Pulver für Limonade. Er hat mich nie gescholten und mit harschen Worten beschimpft wie seine Frau. Er nahm mich auf den Arm und tanzte mit mir.
Ich hatte keinen Kinderwagen. Ich wurde in einen kleinen roten Handwagen gesetzt und bis nach Seefeld gezogen, 4 Meilen entfernt. Seefeld war ein hübscher Rastplatz für die Wochenenden. Es hatte viele sanfte Hügel und auch viele Ameisenhügel im Wald. Speziell zur Osterzeit überquerten wir gefahrvoll die Bahngleise, um an hübsche Weidenkätzchen zu gelangen. Die benötigten wir, um Ostereier von unseren Nachbarn zu erlangen, in dem wir den Spruch aufsagten "Stip stip Osterei". Zu Pfingsten blühte der wundervoll duftende Flieder, den wir mit nach Hause nehmen konnten. Seefeld ist nur eine Bahnstation vom Madüsee entfernt. Die Brüder nahmen mich oft auf dem Fahrrad mit. Ich konnte in dem nicht zu kalten, flachen Wasser planschen und manchmal bekam ich etwas von ihrer Eiscreme ab. In späteren Jahren suchten wir denselben Platz auf, um Blaubeeren zu pflücken und Pilze zu sammeln. Pfifferlinge sind jetzt noch meine Lieblingsspeise, gebraten in Speck mit Zwiebeln, Salz und Pfeffer. Sonntags nahmen mich die großen Jungens mit zum Fußball, sie kannten das Loch, wo man ohne Eintrittskarte durchschlüpfen konnte. Mit 5 Jahren lehrten sie mich, wie Babys gemacht werden. Sie trainierten mich, mit dem Finger auf den Bauch von schwangeren Frauen zu zeigen und zu sagen "Ich weiß, was du getan hast". Die Jungens beobachteten das von einem Versteck aus und amüsierten sich. Es war leicht, heraus zu finden, zu welcher Familie ich gehörte. Wenn Mama das heraus fand, dann verriet ich meine Brüder nicht und ertrug die Bestrafung als ein 5 Jahre alter tapferer Mann.
1940, 2. von links H.-G. Pink, rechts Bruder Dagobert
Ich lernte ein Pferdefuhrwerk zu lenken mit hue, hot, und brrr mit 9 oder 10 Jahren, als wir nach der Ernte die Felder nach verbliebenen Kartoffeln, Zuckerrüben und Ähren von Weizen, Roggen, Hafer und Gerste absuchen mussten. Diese eingesammelten Ähren wurden in separaten Haufen gesammelt, um mit einem Dreschflegel die Körner von den Ähren zu trennen. Die Getreidekörner wurden nach Seefeld gebracht, 3 Meilen entfernt. Eine Windmühle mit 4 Flügeln trieb einen Mühlenstein an und mahlte die Körner zu Mehl. Keine Elektrizität wurde benötigt. Mit den Schalen der Körner wurden die Tiere gefüttert. Nichts wurde weggeworfen. Die guten Kartoffeln haben wir gegessen, die schlechteren wurden per Hand ausgelesen und zu Kartoffelstärke verarbeitet. Aus Zuckerrüben entstand Sirup. Zuckerrüben wurden abgeschabt und dann in dem großen Waschkessel gekocht.
Als am 1. September 1939 der Krieg ausbrach, wurden Gustav Gomoll und seine beiden Söhne bald einberufen. Ich blieb traurig und alleine mit Mama zurück. Bald danach am 12. April 1940 hat Mama eine kleine Ingrid geboren. Die Hebamme kam und kurz darauf der Doktor. Nachbarn brachten eine Menge Handtücher und Laken und erhitzten Wasser im großen Waschkessel. Ich begriff nicht, wofür dieses viele heiße Wasser war. Ich hörte einen Klaps und den Schrei eines Babys. Ingrid brachte viel mehr Arbeit für mich ein, der nun 7 Jahre alt war. Ich musste die Windeln ausspülen, waschen und trocknen.
1940, rechts Pflegemutter Gomoll mit Tochter Ingrid, in der Mitte die Nachbarin Gertrud Dee
Alle Züge, die vorbei donnerten, hatten Sprüche wie "Räder müssen rollen für den Sieg". Propaganda war überall, Kohlenklau als Karikatur als ein großer schwarzer Dieb, der unsere Energie verschwendet. Unser Propaganda Minister Josef Goebbels war ein trainierter Jesuit. Er humpelte stark und hatte eine Vorliebe für junge Mädchen. Er war ein exzellenter Sprecher. Ich konnte stundenlang seine Reden im Radio verfolgen. Das war das beste Training für mich als kleiner Junge für die deutsche Sprache und eine genaue Aussprache. Ich war auch in Versuchung, den verbotenen Londoner Sender zu hören. Wenn Nachbarn das Bum, bum bum bum von Beethovens 5. Sinfonie hörten, riefen sie die Gestapo. Männer in Lederjacken kamen dann und holten den Missetäter ab.
Ich kam ein Jahr zu spät zur Schule, weil die Doktoren bei mir Tuberkulose feststellten. Ich hasste es, wenn der Doktor in einem Lederschurz meinen Arm mit seinen kalten Handschuhen in einem dunklen Raum berührte. Nach einem Jahr nach einer Kalzium Diät war ich geheilt und betrat wie die anderen Kinder mit einer großen Schultüte die Schule. Meine kleinen Beine hatten eine Stunde zur Schule zu laufen. Für viele Jahre wurde ich Heinz-Guenther Gomoll genannt, obwohl ich nie adoptiert wurde. Oft wurde ich gejagt und von anderen Kindern angegriffen. Nie kam jemand zu meiner Verteidigung und Hilfe. So warf ich große Steine und nutzte meine scharfen Zähne und hätte beinahe einem Nachbarkind den Daumen abgebissen. Auf dem Rückweg musste ich Pferdefleisch, Würstchen und Fett einkaufen. Von Pferdefleisch konnte man die doppelte Menge auf den Lebensmittelkarten bekommen. Das Fett war genau so gut wie anderes rationiertes Fett oder Öl. Pferdefleisch ist ein wenig härter und ein wenig süß. Die Bockwurst schmeckte exzellent mit Mostrich. Nach und nach wurden alle Schulen in Lazarette umgewandelt. Zuletzt war ich in der Alfred Rosenberg Schule.
Silvester brauchten wir kein Feuerwerk. Es gab immer ein großes Feuerwerk, wenn die Alliierten Stettin bombardierten, nur 20 Meilen entfernt. Jeder musste in seinem Garten einen kleinen Luftschutzbunker bauen, wir standen meistens daneben, um die Bombardierungen und das Absuchen der Scheinwerfer nach Flugzeugen zu beobachten. Wir hatten zu lernen, wie man mit Phosphorbomben umgeht, die konnte man nicht mit Wasser löschen, man benötigte dazu Sand. Am Morgen nach einem Luftangriff sah man viele Metallstreifen, die von den Flugzeugen abgeworfen wurden, um die Radaranlagen auszuschalten.
Tante Olga, die Vermittlerin zwischen meinen Eltern und der Familie Gomoll, gab mir meinen Namen mit Hilfe einer falschen Geburtsurkunde, ausgefertigt in der Landesfrauenklinik in Stettin, 2 Wochen nach meiner Geburt. Sie besuchte uns zweimal im Jahr. Ich hatte immer ein unangenehmes Gefühl, wenn ich sie sah. Unsere Unterhaltung war begrenzt. Niemals nahm sie mich in den Arm oder küsste mich. Einmal nahm sie mich mit zu einem Urlaub nach Swindemünde, es muss 1941 oder 1942 gewesen sein. Es mag sein, dass meine Eltern, die immer geheim für mich bezahlten, mich beobachten wollten. Einen anderen Grund kann ich mir nicht vorstellen. Tante Olga hatte 14 Brüder und Schwestern, später musste ich erfahren, alle gaben vor, nichts von meinen Eltern und meiner Abstammung zu wissen.
Mit 10 Jahren wurde ich Mitglied im Jungvolk. Wir lernten Granaten zu werfen, mit Gewehren und Panzerfäusten umzugehen. Wir machten auch unsere eigenen Granaten in Bierflaschen mit Karbid und Wasser. Sie explodierten sehr laut, wenn sie geworfen wurden. Wir lernten schreckliche Lieder zu singen wie z.B. "Siehst Du im Osten das Morgenrot?" und viele andere. Ich denke wir wurden für den Endkampf im Volkssturm vorbereitet. Alle diese Liedbücher, Uniformen, und Hitler Bilder wurden im Ofen verbrannt als unerwünschte Beweismittel, als die russischen Truppen im Februar 1945 sich Stargard näherten. Am 12. Februar wurde die Stadt evakuiert. Elisabeth Gomoll und ihre 4 Jahre alte Tochter verloren die Nerven, Ich musste die notwendigen Sachen auf einen Handwagen packen, um sie im Bahnhof dann in einen offenen Güterwagen einzuladen. Wir wurden vom Boden und aus der Luft beschossen. Wir hatten oft die Wagen zu wechseln, bevor wir Stralsund erreichten. Wir waren glücklich, dort angekommen zu sein. Die Russen hatten bereits am 31. Januar die Oder erreicht.
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