Januartage 1945

Werner Priewe, Aleksis Kivi-Str. 28, 18106 Rostock, Tel.: 0381 714154,
Stargarder Jahresblatt 2012

Schön, dass es die „Stargarder Jahresblätter" gibt! Beim Durchblättern der Jubiläumsausgabe 2011, habe ich zu meiner großen Freude wieder was „Neues" entdeckt. Auf dem Gruppenfoto der Heeresstandortverwaltung Seite 67 erkannte ich meinen Vater (zweite Reihe der achte von links). Er musste seine Tätigkeit als Bürovorsteher aufgeben und wurde als Zivilangestellter zu dieser Dienststelle versetzt. Das war Anfang des Krieges. Später erfolgte die Einberufung zur Wehrmacht und zwar zum Wehrmeldeamt in Stargard. Das Foto zeigt ihn in der ersten Reihe, links neben dem Leiter, Major Ludwig.

Januartage 1945

Sofort wurde wieder in den alten Familienunterlagen gekramt. Als Beleg fand ich eine Versicherungskarte mit der Eintragung seiner Tätigkeit bei der Heeresstandortverwaltung aus dem Jahre 1943/44. Diese Zeilen möchte ich zum Anlass nehmen, weitere Fotos den Stargardern in Erinnerung zu bringen. Nochmal ein kurzer Rückblick zu den Januartagen 1945. In diesen Tagen standen die russischen Truppen erstmals an der deutschen Grenze. Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich in meiner Heimatstadt Stargard i.P., um meinen wohlverdienten Heimaturlaub nachzuholen (v. 10. Januar - 30. Januar 1945). Der letzte Urlaub war 1943 gewesen. Doch konnte man in diesen Tagen dies noch als Urlaub bezeichnen? Die Menschen in dieser Stadt hatten sich verändert. Es gab genug alarmierende Nachrichten. Täglich kamen Flüchtlingstrecks aus Ostpreußen und Hinterpommern auf dem Bahnhof an. Alle waren auf der Flucht vor den Russen.

Januartage 1945

Meine Eltern heirateten im April 1920.
Am Tag ihrer Silberhochzeit waren sie
im April 1945 auf der Flucht irgendwo
in Mecklenburg




Januartage 1945

1927 in den Wallanlagen am "Roten Meer".
Meine Mutter mit ihrer Schwester
im Vordergrund ich, mit meiner Schwester
im "modernen" Kinderwagen.

Ich glaube, die meisten Menschen unserer Stadt hatten in diesen Januartagen noch nicht begriffen, dass das gleiche Schicksal dieser Menschen auf sie wartete. Noch heute sind die Erinnerungen wach, was sich in diesen Tagen auf dem Bahnhofsgelände abspielte. Alte und Kranke wurden notdürftig versorgt. Kinderleichen hatte man aus den haltenden Zügen herausgetragen. Sie waren auf der langen Fahrt in ungeheizten Zügen erfroren oder verhungert. Rote Kreuz Schwestern und zahlreiche freiwillige Helfer waren Tag und Nacht im Einsatz um die Not zu lindern. Nicht ahnend, dass auch sie später selber Hilfe bedurften. Alles ist mir noch gut in Erinnerung, da ich in den letzten Tagen meines Urlaubs, täglich zur Bahnhofskommandantur musste um mich zu melden. Grund: Meine Division lag in Ostpreußen, zu der ich nicht mehr zurück konnte.

Januartage 1945

Aber auch im privaten Umfeld hatte sich vieles verändert. Freunde und Schulkameraden traf man nicht mehr an. Viele waren gefallen, verwundet oder irgendwo auf anderen Kriegsschauplätzen im Einsatz.

Mein Vater war zu diesem Zeitpunkt Soldat in Stettin. Meine Mutter und ich waren, trotz des schon herrschenden Chaos bei der Reichsbahn, noch mal zu einem Besuch, Tagesausflug, nach Stettin aufgebrochen. Es war der letzte Besuch, ihn noch einmal lebend zu sehen. Er starb im ersten Nachkriegsjahr in Waren / Müritz. Alle diese Eindrücke waren Vorboten des Unheils, dass jetzt auch den Menschen un serer Stadt bevorstand.

Januartage5

Mit diesen Bildern vor Augen und der Ungewissheit, was wird aus meinen Angehörigen, musste ich Abschied nehmen von der Stadt, in der ich geboren wurde und meine Kindheit und Jugendzeit verbrachte. Diese Erinnerungen werden einen wohl ein ganzes Leben lang begleiten.

Januartage 1945

Januartage 1945

zurück zum Inhaltsverzeichnis