Stargard - Meine Heimat

Brigitte Kleiner geb. Pasternak
Bahnhofstraße 102
14624 Dallgow-Döberitz
Tel.: 03322 205277

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Am 21. März 1935 wurde ich in Stargard in Pommern als Tochter des Bäcker- und Konditormeister Kurt Pasternak und seiner Ehefrau Charlotte geboren. Meine Eltern hatten in der Bahnhofstrasse 8 in Stargard eine Bäckerei/Konditorei. Als kleines Mädchen stand ich abseits im Laden und wünschte mir nur das Eine, erwachsen sein und im Geschäft mithelfen zu dürfen. Meine Mutti hatte mir extra einen weißen Kittel nähen lassen, den ich immer im Laden trug. Ein besonderer großer Moment war, wenn eine Frau Kurz ( eine nette alte Dame aus dem Nachbarhaus ) kam und sich jeden Morgen ihre Frühstücksbrötchen holte. Tante Kurz ( wie ich sie nannte ) durfte ich ganz alleine bedienen, worüber ich dann sehr stolz war

Aber dies nur alles nebenbei. Das Haus in dem wir unser Geschäft und dahinter gleich unsere Wohnung hatten, gehörte einer Familie Schewe. In der Mitte des Hauses war ein Torweg, rechts davon war unser Geschäft mit einem Schaufenster und links davon ein Kolonialwarengeschäft mit zwei Schaufenstern der Familie Schewe. Außerdem hatten sie noch ein Fuhrgeschäft und hinten auf dem Hof einen Stall mit zwei Pferden. Familie Schewe hatte auch zwei Töchter. Die Ältere hieß Irmgard und die Jüngere Helga.

Mit der Zeit wurde alles komplizierter, denn es gab Lebensmittelmarken, welche bei den Kunden aus einer Karte herausgeschnitten wurden, alle nach Sorten und Gramm, auf große Bögen ( Packpapier oder Zeitungspapier ) geklebt. Mir machte es Spaß, mithelfen zu dürfen. Für die Erwachsenen war es eine zusätzliche Arbeit.

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Mein Schulweg durch den Goethepark 8 (1. Klasse). Rechts und links von mir 2 Schulfreundinnen.

Im Frühjahr 1941 wurde ich eingeschult. Ich hatte einen schönen Schulweg durch den Goethepark zum Lyzeum (Königin-Luise-Schule). Unsere Lehrerin Frau Albert war Witwe und hatte eine Tochter, Heli wurde sie von allen genannt. Heli war die Klassenbeste und war ein ganz besonderes Menschenkind. Frau Albert war mit ihrer Tochter erst kurz in Stargard und wir waren ihre erste Klasse. Sie war Sudetendeutsche und leider musste sie das Liebste was sie noch hatte, hergeben. Heli starb an schwerer Lungenentzündung und auch für uns Mädchen war es ein schwerer Schock und wir konnten es nicht begreifen. Alle trauerten sehr und Frau Albert brauchte eine längere Zeit, ehe sie ihren Unterricht bei uns wieder aufnehmen konnte.

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Im August des selben Jahres wurde mein Vater, trotzdem er nur eine Niere hatte, zur Wehrmacht eingezogen. Da stand meine Mutter im achten Monat schwanger, allein mit mir und dem Geschäft da, denn die übrigen Bäckergesellen mussten auch zum Militär. Sie wollte natürlich das Geschäft schließen, aber sie durfte es nicht. Sie bekam von der Gauleitung einen Polen zugeteilt, welcher mit dem Lehrling die Arbeit in der Backstube übernehmen sollte. Leider funktionierte das überhaupt nicht. Der Pole war sehr jähzornig und warf mit seinem Holzschuh nach dem Lehrling. er sprach auch kein Deutsch und hasste alle Deutschen, Was man ja aus heutiger Sicht verstehen kann. Eines Tages wurde unser Lehrling bei einem Jähzornausbruch des Polen ziemlich verletzt. Meine Mutter brach zusammen und erreichte aber endlich die Schließung des Geschäftes.

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(von ca. 1942) Zu Besuch bei den Großeltern
mit allen 4 Enkelkindern. Von links nach rechts
unsere Oma Marta Pasternak, Brigitte, Renate,
Christel, Karl-Heinz und meine Mutter Charlotte

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Mein Vater (in Uniform) wurde von uns zum Bahnhof gebracht ca.im Jahr 1941/1942. 

Am 24. September 1941 kam dann meine Schwester zur Welt. Genau so wie ich vorher, wurde sie auch in der evangelischen Johanniskirche getauft. Unser Auto, ein DKW, stand in irgend einer Garage in der Altstadt und durfte nicht gefahren werden, weil wir keinen roten Winker bekommen hatten. Als mein Vater noch nicht zur Wehrmacht eingezogen war, ging er öfter mal mit mir am Sonntag vormittags zur Garage unser Auto zu besuchen. Leider bin ich nie mehr mit meiner Familie in diesem neuen Auto gefahren, denn es wurde einfach beschlagnahmt und kam zum Fronteinsatz.

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Da unser Geschäft ja nun geschlossen war, ging meine Mutter zu meinen Großeltern am Wochenende in deren Fleischerei im Laden zu helfen. Hier hatte sie den Beruf der Fleischfachverkäuferin als junges Mädchen gelernt. Wie mir von überall gesagt wurde, war sie sehr fleißig und willig. Meine Großeltern, Karl Pasternak und seine Frau Marta schätzten meine Mutter sehr und freuten sich sehr, als ihr ältester Sohn Kurt, welcher Bäckermeister war und schon ein eigenes Geschäft besaß, sich meine Mutter zur Frau nahm.

Meine Gro0eltern hatten vier Söhne, welche im Krieg alle zur Wehrmacht eingezogen wurden. Der älteste Sohn Kurt (mein Vater) und der jüngste Sohn Ernst-Ulrich Pasternak überlebten den furchtbaren Krieg, während der vorälteste Sohn Fritz vermisst wurde und nie wieder heim kam. Er war auch Fleischermeister und hatte in Stargard in der Jobststraße eine Fleischerei. Der Sohn Hans Pasternak, der im Krieg noch ein Hildchen heiratete, ist leider auch darauf bald im Krieg gefallen. Fritz Pasternak hat 2 Kinder hinterlassen, eine Tochter Christel (lebt in Leipzig) und einen Sohn Karl-Heinz (wohnt mit seiner Familie in  Falkensee bei Berlin). Karl-Heinz ist zur Freude seines Großvaters auch Fleischermeister geworden und hat sich in Nauen selbstständig gemacht. Inzwischen ist er im Ruhestand. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne und eine Enkeltochter.

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Wie so viele, mussten auch meine Großeltern die Heimat verlassen und haben Hab und Gut verloren. Meine Oma Marta Pasternak ist bald nach der Flucht verstorben und wurde in Greifswald beerdigt. Opa Karl Pasternak lebte mehrere Jahre bei seinem jüngsten Sohn Ulrich Pasternak und seiner Ehefrau Gretchen in Lassan. Opa Karl Pasternak heiratete dann noch einmal und ging nach dem damaligen Westberlin. Dort verstarb er im 91. Lebensjahr.

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Ende Februar 45 musste meine Mutter mit mir und meiner Schwester auch die Heimat für immer verlassen. Seit mehreren Wochen lebten wir Tag und Nacht nur im Keller. Stargard war zu der Zeit Frontgebiet und es gab keinen Fliegeralarm mehr. Gleich zum Anfang beim ersten Angriff als im Haus sämtliche Fenster zerbarsten, ging die jüngste Tochter unseres Hauswirtes, Helga Schewe am nächsten Morgen auf die Straße und kehrte, bzw. sie wollte die Scherben zusammen kehren. Plötzlich wurde sie mit Bordwaffen beschossen und verletzt. Sie soll dann ins Krankenhaus nach Stettin gebracht worden sein. Es waren die russischen Doppeldecker, welche auf jeden Menschen, der sich blicken ließ, gezielt aus der Luft schossen. Es war eine schwere und aufregende Zeit für uns alle. Es gab dann noch eine Verschnaufpause. Man hörte mit einem Mal schwere Panzergeräusche und wir dachten die Russen marschieren ein. Es waren aber deutsche Soldaten mit Panzer, schweren Geschützen usw., welche völlig erschöpft, verschmutzt und auch verletzt von der Front vor den Toren Stargards zurück kamen. Sie erzählten uns dann, dass die Russen schon vor den Toren der Stadt waren und von ihnen zurückgeschlagen wurden.

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Die Soldaten machten bei uns erst einmal Quartier. Wir schleppten alle Decken und Betten (welche wir noch von den Gesellen, die bei uns in Logis früher waren, hatten) herbei. Vor allem heißes Wasser wurde gemacht, Wärmflaschen und zum Waschen und Rasieren. Nach Essen und einem Tiefschlaf in der Nacht, zogen sie am nächsten Morgen weiter. Dann hockten wir wieder im Keller und es ging erst so richtig los. Eine gewisse Frau Petrich war auch bei uns mit ihren drei Kindern. Das älteste Mädchen hieß Edith, dann kam ein Junge (dessen Name mir entfallen ist) und der kleine Liebling Rös'chen (Kleinkind). Meine Mutter hatte Frau Petrich, welche in der Jobststr. wohnte, durch meinen Vater kennen gelernt, da Herr Petrich und mein Vater zusammen im Krieg waren, also Kriegskameraden. So saßen wir alle im Keller, meine Mutti hatte meine Schwester und mich fest an sich gedrückt im Arm, denn es folgte eine Detonation nach der anderen und wir wurden durch den starken Luftdruck bis zur Kellerdecke angehoben. Es war furchtbar!

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In einer kurzen Ruhepause kam plötzlich ein Mann die Kellertreppe heruntergestürmt. (Er war in bräunlicher Uniform und ich weiß nicht, ob es Volkssturm, SA oder ähnliches war.) Er wunderte sich sehr, dass noch Leute im Keller waren und brüllte mächtig umher. Er sagte, dass wir sofort raus müssen, denn rechts und links von uns wären die Häuser schon getroffen und es brennt alles. Frau Petrich wollte mit einem der letzten Flüchtlingstransporte raus aus Stargard. Meine Mutter sagte auch jetzt wieder, dass sie nach Berlin wollte und nicht ins Ungewisse. Wie vorher schon öfter, wurde ihr gesagt, dass Berlin wegen Thyfus gesperrt wäre. Aber raus mussten wir. So wurde der Kinderwagen gepackt, meine Schwester oben rauf gesetzt und ich musste den Wagen schieben. Meine Mutter hatte zwei Koffer zu tragen. Als wir den  Keller verließen, qualmte es furchtbar, rechts und links der Straße brannte es und wir hetzten mitten auf der Straße (wo noch ein schmaler Weg begehbar war) Richtung Bahnunterführung. Wir wollten zur Familie Reinhold Schumann, welche im Preußenweg 55 wohnten. Aber leider war die Verschnaufpause des Angriffes vorbei, als wir gerade durch den Eisenbahntunnel hindurch waren. Wir rannten so schnell wir konnten und wurden von unseren deutschen Soldaten förmlich in die rettende Kaserne gezogen und dort im Keller mussten wir mit sehr vielen anderen die Nacht verbringen. Wir waren dort gut geschützt und man hörte dort nur leises Grollen. Ich bin sehr schnell eingeschlafen. Am Morgen erfuhren wir, dass in der Nacht in einem Seitenflügel der Kaserne eine Bombe niedergegangen war. Da alles noch ruhig war, machten wir uns auf den Weg und erreichten ohne Hindernisse den Preußenweg 55.

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Familie Schuhmann hatte dort ein sehr schönes Grundstück mit Haus und einer gut gehenden Fleischerei sowie modernes Schlachthaus, wo selbst geschlachtet und auch Wurst hergestellt wurde. Wir waren sehr befreundet miteinander. Ich sagte Onkel und Tante zu ihnen. Sie hatten zwei Söhne, den Jürgen (er war der ältere) und den Klaus. Onkel Reinhold hatte seine Frau und Kinder in Sicherheit gebracht und war aber wieder nach Stargard zurück gekehrt. In seinem Haus hatte sich die Luftabwehr einquartiert, mit Radar und ähnlichem. Wir wussten somit genau wie weit die Front entfernt war und ob feindliche Bomber im Anflug waren? Das war für den Moment für uns sehr beruhigend. Dann musste plötzlich alles sehr schnell gehen. Meine Mutter hetzte mit uns beiden Mädchen zur Stettiner Str. Dort wurden alle Wehrmachtsfahrzeuge, welche die Stadt Stargard verließen, angehalten und es wurde gefragt, wohin sie fahren wollten? Wir hatten großes Glück, schon das 2. Fahrzeug musste nach Berlin. Schnell wurde das Gepäck verladen und meine Mutter und wir beiden Mädchen durften vorne im Führerhaus miteinsteigen. Es war dort etwas eng aber wenigstens schön warm. Das war in der 2. Hälfte des Februar 1945 und es war sehr kaltes Winterwetter. Leider kam in der Mittagszeit eine Unterbrechung der Fahrt, da die Soldaten im Depot Munition aufladen mussten, wo wir natürlich nicht mit durften. Es sollte nicht allzu lange dauern, meinten die Soldaten. Das Gepäck blieb im Auto und wir befanden uns in freier Wildbahn am Waldesrand. Nur gut, dass wir so dick angezogen waren (mehrere Kleidungsstücke übereinander), denn als die Sonne unterging, kein Auto in Sicht, wurde uns Angst und Bange und wir froren sehr, obgleich wir uns ständig bewegten. Wir waren so froh, als das Auto kam und wir wieder einsteigen konnten. Irgentwo unterwegs wurde noch eine Familie mit genommen, welche uns anhielten. Sie mussten dann aber hinten auf den Munitionskisten sitzen und unter der Plane muss es wohl recht kalt gewesen sein. Ich war eingeschlafen und wurde durch ein Schaukeln und Rumpeln des Autos geweckt. Wie ich erfuhr, waren wir vor Berlin und mussten aber den Bomben über Stock und Stein ausweichen. In Berlin war zur Zeit gerade mal wieder ein Großangriff und ich begriff schon die große Gefahr in der wir uns befanden, da die ganze Ladefläche voll Munition war. Zum Glück ging alles gut. Als Kind und heute noch bewundere ich die Soldaten.

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In später Abendstunde, es war gerade Entwarnung und die Leute kamen aus den Kellern, kamen wir in Schwanebeck bei Buch an. Überall aus den Kellern kamen die Leute und wollten schnell in ihre Wohnung. Die Soldaten fragten sie, wer uns nur für die eine Nacht ein Dach über den Kopf bieten könnte? Alle hatten es furchtbar eilig, nur ein altes Ehepaar  erbarmte sich unser. Dabei wohnten sie sehr beengt unter dem Dach mit schrägen Wänden. Ein erwachsener Sohn wohnte auch noch bei ihnen. Er musste auf dem Sofa schlafen und wir drei bekamen ein Bett zum Schlafen. Wir waren sehr froh und dankbar diesen einfachen Menschen gegenüber. Nach dem Frühstück wollten wir zum Bahnhof Buch und der Bahn nach Dallgow-Döberitz, wo zwei Tanten von mir (Muttis Schwestern) wohnten. Zu Fuß war es ein beschwerlicher Weg und der Sohn der Herbergsleute nahm sein Fahrrad und transportierte damit unser Gepäck (2 Koffer). Unterwegs hielt er eine alte Pferdekutsche, die ein Pole kutschierte, an. Der wollte auch zum Bahnhof und wir durften mitfahren. Nun ging alles glatt, ohne Alarm und Behinderungen erreichten wir unser Ziel, wo wir eine neue Heimat fanden und bis zum heutigen Tag noch sind.

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