Tagebuch meines Vaters Willi Rohrbach
19. Februar 1945 - 29. Juni 1946
Dietrich Otto
Heimatkreisbearbeiter Stargard
Das Tagebuch (6 Seiten) können Sie hier im pdf-Format drucken.
Dieses Tagebuch habe ich aus Schweden von Herrn Gunther Möhl (gunther.mohl@comhem.se) erhalten, dem Enkel von Willi Rohrbach. Das Tagebuch umfasst 29 eng beschriebene Seiten. In diesem Bericht sind vor allem die Passagen behandelt, die sich auf Stargard beziehen.
"In Stargard setzte der Bombenterror am 19. Februar 1945 ein und steigerte sich von Tag zu Tag bis zu einer Heftigkeit, die allgemein damit bezeichnet wurde, dass eine Stadt sturmreif gemacht werden sollte. Am 21. Februar nach einigen furchtbaren Tagen und Nächten, in denen in regelmäßigen Abständen alle 20 Minuten ein Angriff gestartet wurde, zogen wir es vor, dass Mutti und die Kinder nach der Richtung des erhofften geringsten Terrors auswichen. Sie zogen nach Massow. Ich musste aber in Stargard bleiben, weil ich als Beamter auf meinem Posten auszuhalten hatte. Zu Hause konnte ich nicht bleiben und siedelte deshalb ins Rathaus über, wo auch die Polizei einquartiert war. Von der Gefolgschaft war bereits ein erheblicher Teil abgebröckelt und geflüchtet, so dass der noch verbliebene Rest umso schärfer heran gezogen werden musste. Tag für Tag versah ich noch die überlebenden Kaninchen mit Futter, obgleich es gefährlich war, weil die Tiefangriffe der Russen jede Bewegung auf der Straße mit Lebensgefahr verknüpften. Ich musste mir stets die kurze Spanne zwischen zwei Angriffen aussuchen, um die Wegstrecke zwischen Wohnung und Rathaus zu bewältigen. Mit dem Rade ging es aber ganz gut. Am Mittwoch, den 28. Februar 1945 kam mein tapferes Frauchen noch mal nach Stargard, um einige Sachen zu holen und niemand glaubte ernstlich daran, dass der Russe über Stargard hinauskommen würde, zumal die einquartierte SS Formation Frundsberg uns in dem Glauben bestärkte."
"Jetzt Anfang März sahen wir aber doch, dass Stargard nicht gehalten werden konnte. Die mit soviel Arbeitsaufwand errichteten Hindernisse waren in kürzester Zeit überrannt und die Russen drangen unaufhaltsam vor und Bombe auf Bombe und Granate auf Granate fielen in die unglückliche Stadt, die bald nur noch ein Trümmerhaufen war mit Ausnahme der Siedlung im Westen der Stadt. Am Sonnabend, den 3. März erkannte auch der kommissarische Bürgermeister Landrat von Pyritz Axel Schmidt, dass die Verwaltung unter den gegebenen Verhältnissen nicht mehr weiter arbeiten konnte. Nachdem das Rathaus durch die in unmittelbarer Nähe einschlagenden Bomben und Granaten zum zweiten Mal so zerstört wurde, dass wir ebenso gut hätten draußen arbeiten können. Er fuhr nach Stettin zum Regierungspräsidenten und erwirkte die Genehmigung, die städtische Verwaltung aufzulösen. Dies eröffnete er den noch vorhandenen Beamten und Angestellten am Sonntag, den 4. März um halb zehn Uhr und gab gleichzeitig bekannt, dass es keine Möglichkeit mehr zur Beförderung gäbe und dass er es jedem Einzelnen überlassen müsste, zu versuchen, nach Stettin zu kommen, wo er sich bei der Regierung zu melden habe."
"In einem halb zerschossenen Militärauto gelangten wir nach Saarow. Unterwegs hatten wir noch mehrmals Angriffe der Tiefflieger zu überstehen, die ich ja in Stargard zur Genüge kennen gelernt hatte, besonders am Tage vorher, am Sonnabend den 3. März, wo ein Tiefflieger es auf mich persönlich abgesehen hatte und mich auf dem Wege vom Gentenort zum Rathaus zweimal mit Bordwaffen beharkte, so dass ich vom Rad herunter und einmal in die Büsche am Abhang des Blücherplatzes und das zweite Mal in die Haustür des Hauses Königstraße Ecke Blüchergarten flüchten musste. Von Saarow mussten wir, wir waren zu dritt, über Bruchhausen nach Pützerlin. Zu erwähnen darf nicht vergessen werden, dass sich auch der Wettergott gegen uns verschworen hatte. Es stürmte, schneite, hagelte und regnete abwechselnd, so dass man in normalen Zeiten nicht einmal einen Hund in das Wetter hinaus getrieben hätte. Hier erfuhren wir nun, dass Pützerlin in zwei Stunden geräumt werden musste und dass wir sofort weiter mussten. Mit einem Pferdefuhrwerk gelangten wir an die Reichsautobahn, wo wir nach zweistündigem Warten einen Trecker mit zwei Anhängern anhalten konnten, der uns bis nach Stettin mitnahm und uns beim Hauptbahnhof absetzte."
Die Flucht ging weiter mit der Eisenbahn unter schwierigen Bedingungen über Pasewalk nach Barth nahe der Ostsee. Die Städte waren für Flüchtlinge gesperrt, sie mussten so schnell wie nur irgend möglich weiter ziehen. In Barth erfuhr Willi Rohrbach, dass seine Familie in Brandenburg eingetroffen ist. Am 24. März erreichte er Brandenburg. Hier war die Familie bei einer Familie Schaaf untergebracht.
"Der gute Erich Schaaf war unermüdlich tätig, um Nahrungsmittel zu besorgen, was er nur alles erlangen konnte und das war sehr reichlich und gut, so dass ich mich zusehends erholte. Ich konnte mich recht bald bei der Stadtverwaltung melden und wurde im Kriegsschädenamt eingestellt und bezog mein früheres Gehalt weiter. Am 30. März war der erste schwere Angriff, wir konnten aber im Amt arbeiten und alles lief vorerst seinen gewohnten Gang. Dann setzte der Angriff der Russen auf Brandenburg ein und am 1. Mai, als wir morgens Brot holen wollten, trafen wir zu unserer Überraschung auf russische Posten, die uns ihr Stoi entgegen riefen."
"Dadurch war das Leben nicht angenehmer geworden und hinzu kam, dass anscheinend unsere Gastgeber Angst hatten, die Lebensmittel würden nicht reichen und die so sorgfältig gehüteten und gehamsterten Vorräte würden durch uns bei unserem gesunden Appetit bald zu neige gehen. Alles zusammen bewirkte jedenfalls, dass wir uns nicht mehr wohl fühlten und der Gedanke, bald in die Heimat zurück zu kehren, immer festere Formen annahm. Als wir feststellen konnten, dass unsere Gastgeber jede Nachricht über die Möglichkeit einer Rückkehr nach Stargard in ausführlichster Art und Weise vor uns erörterten, mussten wir wohl oder übel erkennen, dass sie den Augenblick ersehnten, der sie von unserer Gegenwart befreien würde. Kurz vor Pfingsten kam die Nachricht, dass jenseits der Oder schon alles in Ordnung und organisiert sei und von den Behörden die Aufforderung an die Flüchtlinge, in die Heimat zurück zu kehren. Lebensmittel würden ab 20. Mai 1945 für alle Flüchtlinge gesperrt. Das wurde uns natürlich von unseren Gastgebern auch in allen Tonarten vorgebracht und wir mussten, ob wir wollten oder nicht, nur zu deutlich merken, dass wir sobald wie nur möglich den Staub Brandenburgs von unseren Füßen schütteln möchten. So war es kein Wunder, dass wir gerne auf das Pfingstfest in Brandenburg verzichteten und am 19. Mai 1945, nach dem ich aus alten Fahrrädern ohne Bereifung ein Vehikel zusammen gebaut hatte, auf dem wir unser Hab und Gut mitnehmen konnten, aufbrachen. Eine Bahnverbindung gab es noch nicht und wir mussten den Heimweg zu Fuß antreten, wobei ich mir persönlich darüber klar war, dass das für mich eine große Strapaze bedeutete, weil ich zu Fuß sehr übel dran war und nicht viel leisten konnte. Hätte ich aber nur entfernt geahnt, was uns in Wirklichkeit bevorstand, dann hätte ich mich bestimmt nicht auf diesen Weg gemacht. Diese Aufforderung der Behörden war das unglaublichste, was sich je eine Verwaltung geleistet hat. Tausende von Menschen nicht nur auf das Elend der noch völlig ungesicherten Landstraßen zu schicken, sondern auch in ein Gebiet zu jagen, das gar nicht bereit war, den Rückwanderstrom aufzunehmen, kann von keiner Behörde verantwortet werden."
Der Weg führte über Nauen, Velten nach Oranienburg, weiter nach Wandlitz, Finowfurt und Eberswalde. Merkmale dieser Fahrt waren Belästigungen durch Russen, die Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung war auch nicht immer vorhanden, gesprengte Brücken, die zu großen Umwegen führten. Ab Eberswalde wurde die Autobahn nach Stettin gemieden, weil dort überall Russenlager waren. Von Angermünde nach Schwedt wurde die Familie von Fuhrleuten mitgenommen.
"Wir kamen dadurch ohne Anstrengung nach Schwedt, wo wir über die Oder wollten, fanden dort aber keine Gelegenheit dazu und mussten nun wohl oder übel nach Norden weiter wandern, hatten also den großen Bogen nach Süden umsonst gemacht und mussten die Strecke wieder zurück. Wir versuchten in Greifenhagen über die Oder zu kommen. Wir hörten von einigen Treckwagen, die von dort kamen, dass keine Deutschen über die Oder gelassen würden. Dann hörten wir von Leuten, denen wir begegneten, dass von Scheune (westlich von Stettin) aus die Eisenbahn über die Oder fahren sollte. Wir konnten unser Glück gar nicht begreifen, als es hieß, dass auf dem Bahnhof ein Zug stände, der über die Oder nach Osten noch am gleichen Tage fahren werde. Der Zug stand allerdings den ganzen Tag und niemand wusste, wann es denn nun wohl endlich wirklich losgehen würde. Es waren allerdings einfache Loren, auf denen Schienen verladen waren und auf welche wir unsere Habseligkeiten verstauen mussten. Um halb ein Uhr am 30. Mai fuhren wir ab und kamen um fünf Uhr in Stargard an."
"Gleich der erste Anblick war schrecklich, alles zerstört und ausgebrannt, was wir sehen konnten. Der Zug hielt in der Gegend zwischen Lehmannstraße und Ende der Jobststraße, also hinter der kleinen Unterführung, welche von der Jobststraße zum Seefelderweg an der Bahnstrecke unter den Schienen hindurch führt. Wir mussten mit unseren Rädern über die Schienen holpern und durch den Kiesschutt. Schließlich gelang aber auch dieses Kunststück und wir landeten mit unseren Sachen in den Gärten der Jobststraße auf dem Weg, der längs der Bahnstrecke verläuft. Die große Eisenbahnbetonbrücke, unter welcher die Lehmannstraße in die Garbestraße mündet, war gesprengt und lag in Trümmern und versperrte so den Weg nach der Siedlung. Wir zogen also durch die Barnimstraße, die noch verhältnismäßig gut erhalten war unter der Brücke Bahnhofstraße hindurch die Moltkestraße und den Deutschen Weg entlang zum Hause meiner Schwester, kamen aber nur bis zur Ecke Hansaweg/Brandenburgerweg, wo wir durch einen russischen Posten angehalten und zurück gewiesen wurden. Wir konnten das Haus nur von weitem sehen und erkennen, dass es nicht zerstört also bewohnbar war und deshalb ja auch von Russen bewohnt war. Meine Schwester war in fassungsloses Weinen ausgebrochen, sie konnte sich angesichts ihres früheren Eigentums, welches ihr jetzt verschlossen war, nicht mehr beherrschen."
"Ich sah jedenfalls mit Entsetzen, soweit ich bei meiner Körperschwäche und geistigen Verfassung noch denken konnte, dass unser Los ein denkbar trauriges in der Heimat sein werde. Wir kamen nun bis an die Ecke Blücherstraße/Gentenort, wo die Trümmer von Blücherstraße 6 den Zugang zum Gentenort versperrten. Wir mussten deshalb durch den anderen Zugang mit unseren Vehikeln und stellten dann mit Schaudern fest, dass unser schönes Haus vollkommen ausgebrannt war. Jetzt war die Reihe zum fassungslosen Weinen an meinen Lieben, die Kinder besonders konnten sich nicht beruhigen und auch meine liebe Frau drohte zusammen zu brechen, als sie diesen Trümmerhaufen sah, der einstmals unser ach so schönes und geliebtes Heim gewesen war. Ich musste alle meine Kraft zusammen nehmen, um ja nicht auch noch mitzumachen und den Jammer noch zu erhöhen. An mir mussten sich meine Lieben ja aufrichten und ich durfte niemanden zeigen, wie elend mir zumute war, hatte ich doch zusammen mit meinem Vater jede einzelne Phase des Ankaufs und des Bauens beraten und überwacht und wie viel mehr noch daran mitgearbeitet, so dass ich mit jeder Phase meines Herzens an meinem Eigentum hing."
"Aber mit den gegebenen Tatsachen hieß es sich abzufinden und stark zu sein trotz aller Schwäche und trotz der elenden Verfassung, in welcher ich mich befand. Das Haus Nr. 17 neben unserem Grundstück war verhältnismäßig gut erhalten und durch dieses Grundstück gingen wir über den Hof und durch den Garten in unsern Hof und fanden hier unser Stallgebäude soweit erhalten vor, dass wir es bewohnen konnten, jedenfalls nicht schlechter untergebracht waren als es öfter unterwegs der Fall gewesen ist. Auf dem Hof errichteten wir uns eine Feuerstelle und in der Waschküche einen Raum, in dem wir bei Regenwetter Unterkommen fanden. Die erste Nacht schliefen wir auf unserem Stallboden im Stroh und hatten wenigstens das schöne Gefühl, in unserer Heimat auf unserem Eigentum zu sein, wenn es auch nur ein recht dürftiges Unterkommen darstellte und wir uns bestimmt etwas anders vorgestellt hatten. Am nächsten Tag also am 31. Mai überlegten wir uns unsere Lage dahin, dass wir beschlossen, das Haus unseres Nachbarn zu beziehen, hatten wir doch immer noch nicht die nötige körperliche Kraft, um die Instandsetzungen, die notwendig wären, im eigenen Hause durchzuführen. Dagegen waren nebenan nur die Fenster zu dichten und die Türen verschließbar zu machen, also eine verhältnismäßig leicht durchführbare Arbeit, die ich dann auch recht bald bewältigt hatte. Wir bezogen die frühere Wohnung Röhl und fühlten uns darin soweit ganz wohl, konnten wir doch selbständig wirtschaften. In den Gärten, die zwar sehr verwildert waren, da sie unbebaut lagen, war immer noch allerhand zu ernten, was wir für unseren Lebensunterhalt brauchten und so stümperten wir uns mühsam durch."
"Bald erfuhren wir, dass in der Gr. Schifferstrasse ein Lager für die Deutschen bestände, wo wir uns anzumelden hätten, wenn wir Brot beziehen wollten. Meine Schwester und ich pilgerten also los und trafen dort eine Reihe von Bekannten, die wir begrüßten und die wir auch ausfragten. Wir gingen zum so genannten Magistrat, wo ein Pole, der Deutsch konnte, als Schreiber fungierte und unsere Personalien in ein richtiges Buch eintrug. Wir bekamen keine Ausweise oder Bescheinigungen, erhielten aber auf unsere Versicherung hin, dass wir uns gemeldet hatten, die Aufklärung darüber, dass wir Brot erhalten konnten, ohne dass wir eine Wohnung im Lager bezogen. Hierzu war erforderlich, dass ein Obmann für den Gentenort gewählt wurde, der jeden Tag feststellte, wie viel Leute im Gentenort wohnten und wie viele davon arbeiteten. Jedenfalls konnten wir so eine Zeitlang im Gentenort wohnen bleiben, wenn wir auch reichlich viel durch Russen und Polen zu leiden hatten. Es fanden sich immer mehr Familien an, die im Gentenort gewohnt hatten. Bald war so eine kleine Dorfgemeinde zusammen, für welche nun Tag für Tag Brot beschafft und geholt werden musste. Bald aber hieß es, für diejenigen, welche nicht im Lager wohnen, gibt es kein Brot mehr und wir mussten uns alle umtun, eine Wohnung in einer Straße zu erhalten, die mit zum Lager gehörte. Offensichtlich handelte es sich darum, alle Anwesenden für die Arbeit zu erfassen und das war anhand der bisherigen Registrierung nicht gut möglich. Meine Körperkraft hatte immer mehr nachgelassen, ich hatte zu tun, mich überhaupt noch aufrecht zu erhalten, darunter litt auch ganz bedenklich die Fähigkeit zu denken. Leider litt auch meine Familie darunter, dass meine Arbeitskraft gleich Null war."
"So kam dann die Zeit, wo wir unseren lieben Gentenort verlassen sollten. Wir hatten zusammen mit zwei anderen Familien in der Wilmsstraße auf einem Grundstück mit Lagerhaus das dazugehörige Büro erhalten und bezogen diesen Raum nun mit 11 Personen. Vorher hatten wir uns noch aus verschiedenartigen Handwagenresten die nötigen Teile zum Bau eines brauchbaren Wagens besorgt und ich hatte unter Aufbietung der letzten Energie einen Wagen zusammen gebaut. Wir nahmen nur unsere Betten mit, die sonstigen Möbel brachten die anderen Familien mit. Es wurde noch ein Kochherd organisiert und vor allen Dingen die Haustür verschließbar gemacht. Am Ende der Wilmsstraße, wo sie in die Zartzigerstraße einmündet, war die Reichweite des so genannten Lagers zu Ende, dort stand ein Posten, zu welchem Zweck weiß ich allerdings nicht. Die Brotverteilung richtete sich danach, ob der Betreffende arbeitete oder nicht. Jeder, der in Arbeit stand, erhielt erst 400 und dann 300 Gramm Brot täglich, während alle anderen nur 100 Gramm erhielten. So brachten wir dort nun den Juni hindurch zu. Kartoffeln holten wir uns aus verschiedenen Kellern, Feuerung hatten wir im eigenen Grundstückslager, so dass daran kein Mangel herrschte. Das Einzige, was sehr vermisst wurde, war Fett. Immer trockenes Brot und auch sonstige fettlose Kost bringen bestimmt keine Kraft in den Körper und dazu kam, dass wir alle ganz elend unter Durchfall zu leiden hatten, der mit Fieber verbunden war. Heute wissen wir, dass wir schon in Stargard Typhus durchgemacht haben, der dort stark herrschte und gegen den auch allgemeine Impfungen durchgeführt wurden. Gegen Ende des Monats mehrten sich die Zeichen dafür, dass die Polen alle Deutschen aus Polen vertreiben wollten."
"Eines Tages am 28. Juni 1945, es herrschte ein furchtbares Unwetter, wurden alle Familien aus den Wohnungen auf die Straße geholt. Der Sturm heulte und der Regen ging in Böen und Strömen nieder, so dass wir bald durchnässt waren. Unser Gepäck war auf unserem kleinen Handwagen verstaut. Wir kamen jedoch nicht weit, der Regen am Tage vorher hatte dafür gesorgt, dass das Eisenbahntor von der Bahnhofstraße zur Stettiner Straße nicht passierbar war, weil dort das Wasser so hoch stand, dass nicht einmal Fuhrwerke durchkamen. Es ging wieder zurück in die Wilmsstraße, wo die Polen inzwischen schon geplündert hatten und mitgenommen hatten, was sie für mitnehmenswert hielten."
"Am 29. Juni war es aber endgültig soweit und von den polnischen Soldaten wurden die deutschen Familien teilweise mit dem Gewehrkolben, wo es ihnen nicht schnell genug ging, heraus auf die Straße getrieben. Sie versuchten wieder auf dem gleichen Wege durch die Bahnhofstraße durch das Eisenbahntor auf die Stettiner Straße zu kommen. Es ist nun doch einmal so, wenn nicht dafür gesorgt wird, dass das Wasser ablaufen kann, dann bleibt es eben stehen und so konnten wir dort nicht durch. So zog die ganze Karawane dann zunächst durch die Barnimstraße zur Heilig Geiststraße, wo an dieser Unterführung die gleiche Feststellung gemacht werden musste. Der Zug machte daher eine Schwenkung nach links durch die Heilig Geiststraße, Friedrichstraße und durch diese Tore, die nicht zu sehr unter Wasser standen, auf die Pyritzer Chaussee, wo wir nun bis auf die Höhe von Giesenfelde zogen und dann querfeldein an dem Georgeschen Betrieb vorbei über die Giesenfelder Ziegelei zur Schellinerstraße durch den Preußenweg zur Stettiner Chaussee. Am 29. Juni 1945 kamen wir über Madüsee bis nach Kublank, wo halt gemacht werden musste, weil wir für den bisherigen Weg den ganzen Tag gebraucht hatten und die Strapazen schon sehr spürten. Schwach werden gab es aber nicht, wir konnten beobachten, dass die polnischen Soldaten kein Zurückbleiben duldeten und alle, die sich ausruhen wollten wenn nicht anders, mit Gewalt vorwärts trieben. Hier in Kublank übernachteten wir unter freiem Himmel und obgleich wir Juni hatten, war es empfindlich kalt und wir haben sehr gefroren und waren zufrieden, als es morgens wieder weiter ging, so dass wir uns durch Bewegung warm machen konnten, bis die Sonne hervorkam und für etwas Wärme sorgte."
"Am 30. Juni ging es nun über Altdamm, Flughafen, wo eine erneute so genannte Kontrolle stattfand, bis nach Podejuch diesseits der Oder. Bei Altdamm wurden wir auch erst wieder reichlich hin und zurück im Zickzack geführt und kamen reichlich müde im Stettiner Flughafen an, wo Rast eingelegt wurde. Nach längerer Zeit ging es wieder weiter über Bahnhof Finkenwalde durch Finkenwalde hindurch, wo auf dem Wege vom Bahnhof nach Finkenwalde erst die eigentliche so genannte Kontrolle durchgeführt wurde, die darin bestand, dass alles Brauchbare, was die Flüchtlinge noch mit sich führten, abgenommen und beiseite geworfen wurde. Machtlos standen die armen Menschen dabei, denn die Kontrolle erfolgte unter Waffengewalt. Auch wir wurden noch Verschiedenes los und waren froh, als wir endlich diese Hölle passiert hatten. Durch Finkenwalde hindurch ging es nun nach Podejuch und jetzt war auch keine polnische Begleitung mehr da, denn sie hatten ja jetzt abgenommen, was noch abzunehmen war. Wir kamen so bis dicht an die Oder heran und fanden hier ein von den Bewohnern verlassenes Gebäude, in welchem wir uns für die Nacht einrichteten, so gut und so schlecht es eben ging. Aus dem Schlafen wurde nicht viel, dazu waren es zu viel Menschen, die sich hier eingefunden hatten, wir waren gut daran, weil wir uns ziemlich weit vorne gehalten hatten."
"Am 1. Juli 1945 zogen wir über eine Notbrücke über die Oder und waren damit wenigstens den Polen entronnen, was jetzt noch kommen konnte, war uns nicht mehr unbekannt, wenn auch ebenfalls recht wenig erfreulich. So waren wir denn nun am 1. Juli 1945 glücklich wieder über die Oder zurück und waren um viele Erfahrungen reicher und um alle unsere Hoffnungen, die wir an die Heimat geknüpft hatten, betrogen."
Die Reise ging weiter wie bisher mit dem Handwagen, am 4. Juli wurde Pasewalk erreicht. Von dort ging es weiter mit dem Zug nach Barth, wo die Familie den Bescheid erhielt, dass sie nicht in Barth bleiben dürfe. Sie entschlossen sich, nach Waren an der Müritz zu fahren, weil dort Verwandte wohnten. Hier erhielt die Familie aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes nach mehreren Anläufen eine Aufenthaltsgenehmigung. Sonst wurden Flüchtling meistens aufs Land abgeschoben. Willi Rohrbach führte das Tagebuch noch weiter bis zum 29. Juni 1946. Aus dieser auch sehr schweren Zeit stammt die Bemerkung:
"Aber die Russen denken immer noch nicht daran, hier aus diesem Gebiet abzuziehen, geschweige denn sogar unsere frühere Heimat zu räumen, damit wir wieder zurückkehren könnten. Es wird wohl noch ein Jahr vergehen, ehe die Feindmächte soweit sind, dass sie darüber zur Einigung gelangen und wir in dieser Hinsicht klar sehen können. Es ist jetzt aber auch einerlei, ob unser Grundstück 1 Jahr oder 2 Jahre verwildert und brach liegt, es muss ja doch mal die Zeit kommen, die wir uns ersehnen."
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