Unvergessene Heimat
Helga Jonitz, geb. Joecks
aus Pommernbrief Folge1/21
Ich, Helga Jonitz, geb. Joecks habe vom 1. September 1944 bis Januar 1945 die Siedlungsschule in Stargard besucht. Anfang Februar 1945 mussten wir unsere Heimat verlassen. Mein Vater ist getrennt von uns geflüchtet. Er ist mit dem Fahrrad und zusammen mit einer Kollegin aus der Sparkasse geflüchtet und zunächst in Greifswald gelandet, weil dort alle Sparkassen Unterlagen kriegsbedingt gesammelt und verwaltet wurden. Mein Vater, Werner Joecks, hat dort etwa vier Wochen gearbeitet. Wir, meine Mutter, Gerda Joecks, und meine jüngere Schwester sind mit dem Pferdetreck meines Onkels geflüchtet. Mein Onkel war Schmiedemeister in Wittichow, Kreis Pyritz. Er war bereits im Ersten Weltkrieg und zu alt für den Einsatz im Zweiten.
Der Winter war hart. Vor allem die Kälte hat uns zugesetzt. Ich litt an erfrorenen Füßen und Händen. Unser erster Halt auf der Flucht war in Ferdinandshof. Ich erinnere mich, dass wir dicht gedrängt in einer Scheune einen Schlafplatz fanden. Das hat sich so stark in mein Gedächtnis eingebrannt, weil wir erleben mussten, dass ein Bauer aus Wittichow, der auf einem Pferdewagen Wache hielt, sterben musste. Am nächsten Morgen lag er tot auf dem Wagen. Er hatte einem Russen keine Zigarre gegeben.
Unsere nächste Station war Frauendorf bei Barth. Durch Bekannte hat mein Vater uns aufspüren können. Wir waren froh, dass wir uns wiedergefunden hatten. Doch die Freude währte nur kurz. Mein Vater wurde dazu verpflichtet, in einem Gefangenenlager Wache zu halten. Wer meinen Vater kannte, wusste, dass er ein äußerst friedliebender und liebenswürdiger, sehr anständiger Mann war. Bedingt durch einen Herzfehler musste er nie zur Armee. Somit hatte er bis dato noch nie eine Waffe in der Hand und war froh darüber. Umso schlimmer war es für ihn, jetzt ein Gewehr halten und auf die Gefangenen aufpassen zu müssen. In seinen späteren Jahren hat er sich an diese Zeit erinnert und war sich nicht sicher, ob er die Waffe überhaupt richtig herum getragen hatte. Zum Glück sind wir dann im Sommer in Klein-Mohrdorf gelandet, zusammen mit mehreren Bauern aus Wittichow. Über einen Zeitraum von vier Jahren hatten meine Eltern hier eine Siedlung übernommen. Auch mein Onkel, Fritz Radke, hatte eine Siedlung übernommen und zugleich eine Schmiede, da er ja Schmiedemeister war.
Die Zeiten waren anstrengend. Typhus war im Umlauf und mein Vater wäre beinahe daran verstorben. Gott sei Dank ging alles gut. Ende 1949 sind wir weiter nach Richtenberg gezogen. Mein Vater war froh, dass er wieder in seinem erlernten Beruf bei der Sparkasse arbeiten konnte. Im Jahre 1954 ging es weiter nach Tribsees, da mein Vater die Zweigstelle der Sparkasse übernommen hatte. Diese leitete er bis zur Rente.
Ich bin nach meiner Heirat in Rosstock gelandet. Als ich Witwe wurde, hat meine Freundin und liebe Verwandte, Christa Harder, mich zum Heimatkreis eingeladen. Ich wurde gleich sehr herzlich aufgenommen und habe in den vergangenen zwölf Jahren regelmäßig an wöchentlichen Treffen teilgenommen. Fast in jedem Jahr haben wir eine Busreise nach Stargard unternommen, organisiert vom Reisedienst Schröder in Rostock. Frau Schröder selbst stammte auch aus Stargard.
Heute sind leider viele Stargarder und Stargarderinnen verstorben und wir sind nur noch eine kleine überschaubare Zahl von Menschen, die sich an die alte Heimat erinnern.
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