Freienwalde (Chociwel) ist eine Stadt im ehemaligen Kreis Saatzig, nahe bei Stargard gelegen.
Der Artikel ist dem "Saatziger Heimatbrief" 2018 entnommen.
Heiligabend und Weihnachten in Freienwalde in Pommmern, in der Kirche und im Pfarrhaus.
Erinnerungen von Maria Missal, geb. Hökel
de.wikipedia.org/wiki/Chociwel, Autor Cezarde62
Marienkirche in Freienwalde
Am Heiligen Abend fand kein Gottesdienst statt. Man ging aber vor der Bescherung, angetan mit warmem Mantel, Muff und Boa - so man welche hatte - außen um die Kirche herum, um das Beiem der Glocken und das Posaunenblasen und Weihnachtsliedersingen vom Kirchturm zu hören, an dem nur junge Männer beteiligt waren.
Das Beiern wurde von unserem Kirchendiener Fischer ausgeführt, ein bestimmter, in meiner Erinnerung schneller Rhythmus, den er an den langen Glockensträngen von unten in Gang brachte und der nur diesem einen Abend vorbehalten war. Er war der Einzige im Ort, der diese Kunst verstand. Wir liebten dieses Einläuten des Weihnachtsfestes sehr, man ging still und besinnlich hin, sah in einigen Häusern schon die Kerzen an den Christbäumen brennen.
Der Heilige Abend war da. Am 1. Feiertag war um 6 Uhr Frühmette. Der Kirchendiener holte sich am Abend vorher unseren Hausschlüssel (das Haus wurde nur abends abgeschlossen ), um uns morgens um 5 Uhr wecken zu können. Er zog an der kleinen Hausglocke - mit Schnur und Holzgriff, die eigentlich nie benutzt wurde, weil jeder ohne weiteres durch die Zwischentüren kam und am Wohnzimmer oder Studierzimmer unseres Vaters klopfte.
Er hörte nicht auf zu läuten, bis jemand am oberen Treppengeländer erschien und laut rief, wir sind wach. Man zog sich schnell und warm an - die Kirche war damals ohne Heizung - trank wohl noch schnell eine Tasse heißen Kaffee und stapfte meist durch Schnee in die rappelvolle Kirche. Die Pastorenbank war noch mit Fußsäcken und Decken beladen.
Ein großer Christbaum mit Lametta und echten Kerzen stand vorne vor dem Altar. Kantor Müller sang mit seinem Kirchenchor sicher zwei Lieder. Es war dann ein Weihnachtsgottesdienst, wie man ihn auch heute hat. Um 10 Uhr predigte Pastor Kühl - da war die Kirche leider ziemlich leer. Kam man von der Frühmette nach Hause, so legte man sich „selbstverständlich" noch mal ins Bett. Ich pflegte darüber zu weinen, aber es half nichts und bald schliefen alle noch mal ein.
Aber einmal wurde mir erlaubt aufzubleiben. Ich weiß noch heute, wie herrlich es für mich war, das ganze Weihnachtszimmer gehörte mir allein. Ich setzte mich nicht wie sonst aufs Sofa hinter das große, 1 Meter hohe dreiteilige Weihnachtstransparent, das von hinten einen schönen Spielraum zum Aufstellen von Hühnerhöfen, Puppenmöbeln und Dergleichen ergab, sondern vor den Weihnachtsbaum, der mitten im Zimmer stand. Mit einem neuen Buch von meinem Patenonkel Theodor Brandin, mit schwarzweißen Bildern - es handelte von einem Kind in Afrika und war sehr spannend. Zwischendurch stand ich auf, um in aller Ruhe und ohne Ermahnungen die Geschenke der anderen und auch meine eigenen zu betrachten. Ich aß vom bunten Teller und betrachtete den Christbaum, der mit goldenen Nüssen und Äpfeln geschmückt war, die ich am Abend vorher, vor der Bescherung während die anderen den Baum schmückten, vergoldet hatte. Die Früchte wurden in Wasser getaucht und dann in Schaumgold, das sich zwischen 2 zarten braunen Blättchen befand, hin und her gewälzt. Es war ein herrlicher Morgen, an dem ich mit allen Sinnen Duft und Zauber des Weihnachtszimmers in mich aufnahm. Ich betrachtete das Transparent, das auf dem großen Gabentisch stand, eingehend und liebevoll.
Es war vor dem Krieg, 1912 oder 1913. Vom Weihnachtsessen weiß ich nicht viel. Es gab Heilig Abend und Sylvester meist Fisch, manchmal in Biersauce. Am ersten Feiertag Gänsebraten und Zitronenkreme. Der Weihnachtsbaum stand nicht ohne Grund mitten im Zimmer. Vor dem Plündern hielt unsere Großmutter uns an, um den Baum zu tanzen. Wir fassten uns an den Händen und sangen „0 Tannenbaum, o Tannenbaum" alle Verse, wobei auch gehüpft wurde - 1 x rechts herum, 1 x links herum, während die Kerzen brannten. Dann wurde abgewartet, bis alle Lichter erloschen waren.
Jeder suchte sich eine Kerze aus, von der er annahm, dass sie am längsten brennen würde. An der Decke des Zimmers zeichneten sich allmählich die Schatten der Zweige ab. Eine Wunderkerze wurde noch abgebrannt und dann wurde der Baum geplündert (nie vor dem 6. Januar). Großen Spaß machte es, sich die Flitterketten um den Kopf und Hals zu schlingen und Prinzessin zu spielen. Hin und wieder fand sich noch ein in Goldpapier eingewickelter viereckiger Bonbon am Baum. Der Wachsengel, dem ein Arm fehlte, wurde sorgfältig in Watte gepackt. An Schokoladenanhänger kann ich mich nicht erinnern. Natürlich hatte unsere Mutter Pfefferkuchen gebacken und Mürbeplätzchen, die als Brezeln auch zum Teil am Baum hingen. Viel guten Sreußelkuchen und Hefenapfkuchen in Tonformen mit viel Rillen gebacken, gab es. Wahrscheinlich hat sie auch ihre berühmte Wiener Torte gemacht: Sie bestand aus drei einzeln gebackenen Böden aus einem sehr zarten Teig, die mit Marmelade bestrichen aufeinandergesetzt und mit einer dicken Zuckerglasur bestrichen wurde. Obenauf kam immer mit viel Geschick ein Muster aus grünen und roten kandierten Früchten. Diese Torte gab es aber selten zum Kaffee sondern meist als Nachtisch.
Das Knallen und Feuerwerk zu Sylvester war bei uns nicht üblich. Wir blieben zwar bis zum Neuen Jahr auf und - solange unseres Vaters Blaukreuzverein noch nicht bestand - tranken wir auch wohl Punsch. Um Mitternacht sangen wir immer „das Jahr geht still zuende" und „Nun lasst uns gehen und beten" und unser Vater hielt eine Andacht, nach der wir still zu Bett gingen, zumeist mit guten Vorsätzen für das Neue Jahr.
zurück zum Inhaltsverzeichnis