Sozial-Kulturelle Gesellschaft
der deutschen Minderheit
Ortsgruppe Stargard

Bericht über die Integrationsfahrt
nach Königsberg i. d. Neumark und Mohrin am 19.5.2012

Stargard, 19.5.2012

Pommern – ein langgestrecktes Land am Meer mit turbulenter Geschichte. In den vergangenen Jahren erkundeten wir es im Rahmen der von unserer Ortsgruppe organisierten Ausflüge, die uns nach Swinemünde, Kolberg oder Groß Born führten. Nachdem die Nord- und die Ostrichtung einigermaßen erforscht worden waren, stand der Vorstand vor einer schwierigen Aufgabe, ein attraktives Reiseziel für die Fahrt 2012 herauszufinden. Die letzte Möglichkeit war, gen Süden aufzubrechen, doch Pommern ist eher lang als breit und so entschlossen wir uns, diesmal in das benachbarte Land Neumark (auch bekannt als Ostbrandenburg) zu fahren. Um die Fahrt noch interessanter zu machen, sollte sie unter dem Motto „Dem deutschen Ritterorden auf der Spur“ stattfinden.   

Am 19.05.2012, einem wunderschön sonnigen Samstagmorgen versammelten sich die Reiseteilnehmer (21 Mitglieder der Ortsgruppe Stargard und deren Angehörige sowie 6 Vertreter der ukrainischen Minderheit, die unserer Einladung gefolgt waren, insgesamt 27 Personen) auf dem Parkplatz vor dem Bürogebäude in der Garbestraße, wo sie in den pünktlich angekommenen Kleinbus einstiegen. Die Kräftigsten halfen noch die Verpflegung (Kaffee, Kuchen, Grillgerät etc.) im Kofferraum zu verstauen – dann ging es genau um 8 Uhr los.

Königsberg%20Neumark

Königsberg in der Neumark - Rathaus

Unser erstes Ziel war die Stadt Königsberg in der Neumark. Während der Fahrt durch die malerische und ständig wechselnde Landschaft klärte der Sekretär Piotr Nycz die Fahrgäste über den Pyritzer Acker sowie die durchgefahrenen Städtchen (Pyritz, Bad Schönfließ) auf. Er machte unsere Mitglieder mit dem historischen Begriff „Neumark“ vertraut und brachte ihnen die Geschichte des Deutschen Ritterordens nahe.

Königsberg Marienkirche

Königsberg Marienkirche 2009

Viele verbanden den Orden an und für sich lediglich mit Marienburg und Ostpreußen - jetzt konnten sie erfahren, dass der Orden praktisch kurz bis vor Stargard vorgedrungen war und in Reetz und Arnswalde seine Posten hatte. Ein materielles Zeugnis jener Zeit sind die Kirchen in den beiden genannten Städten, die sich von den typischen Sakralbauten in Pommern durch ihre festungsähnliche Bauart sichtbar unterscheiden. Reetz und Arnswalde wollten wir diesmal zwar nicht besuchen, aber die meisten von uns kannten beide hinterpommersche Ortschaften und konnten deshalb den Ausführungen von Herrn Nycz besser folgen.

Immerhin herrschte der Orden über 50 Jahre lang (1402-1454) über die Neumark, bis die eigene Misswirtschaft den Orden zwang, die Neumark bereits 1454 wieder an den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich II. aus dem Hause Hohenzollern zu verpfänden. Aber Hand aufs Herz: Wissen Sie genau, wer die Neumark im Laufe der Zeit besessen hatte? Piastefürsten, Askanier, Wittelsbacher, Luxemburger, Ritterorden, Hohenzoller… Ja, die Liste ist lang und lässt sich noch mit ein paar Namen ergänzen.

Da der gehaltene Vortrag interessant schien und vollkommen eine neue Sichtweise über die Geschichte lieferte, merkten wir gar nicht, dass wir unser Reiseziel, Königsberg in der Neumark erreichten. Es war natürlich kein Zufall, dass wir hier haltmachten: Einige unserer Mitglieder wussten bereits, welcher Faden Stargard mit Königsberg verbindet. Der große Baumeister Heinrich Brunsberg, der Stargard die einzigartige Marienkirche schenkte, war nämlich auch in Königsberg tätig und erbaute die Marienkirche sowie das Rathaus dortselbst. Die Ähnlichkeit des Baustils war wirklich auffallend! Wir besichtigten beide Bauwerke, manche trauten sich sogar, den hohen Kirchturm zu besteigen, wofür sie mit einem herrlichen Ausblick bei wunderschönem Reisewetter belohnt wurden. Übrigens: In der Kirche begrüßte uns ein vorher bestellter Fremdenführer, der uns die Geschichte und die Probleme mit dem Wiederaufbau bildlich darstellte.

Königsberg Neumark

Königsberg - Innenansicht der Marienkirche

Nach den obligatorischen Gruppenaufnahmen vor der Schwesterkirche in Königsberg setzten wir unsere Fahrt in Richtung Zehden fort. Die Ortschaft ist bekannt, vor allem in Polen, für die Schlacht von Zehden, die 972 zwischen Herzog Mieszko I. von Polen und dem vom Kaiser Otto I. eingesetzten Markgraf Hodo I. von der Mark Lausitz stattfand. Wir wollten das Schlachtfeld mit dem dazugehörigen Denkmal in Augenschein nehmen und dort eine Kaffeepause einlegen. Während der Fahrt dorthin schilderte der Sekretär die historischen Zusammenhänge der Schlacht und wies auf die polnische Deutungsversuche, die letztendlich zur Bildung des Begriffes „wiedergewonnene Gebiete“ führten, hin.

Zehden Neumark

Denkmal Schlacht von Zehden 972

Am Cidebur-Hügel, wo die Schlacht stattgefunden haben soll (wer weiß das schon genau? Die Augenzeugen gibt es ja nicht mehr…), angekommen legten wir zur Stärkung unserer Kräfte eine Kaffepause mit selbstgebackenem Kuchen ein. Und Kräfte brauchten wir schon, denn viele von uns hatten die Absicht, auf den Hügel zu klettern, um von oben aus die Landschaft zu genießen und sich am Fuße des Denkmals fotografieren zu lassen. Später stellte sich heraus, dass die Treppe 257 Stufen zählte, die ziemlich steil nach oben gingen. Kein Wunder, dass es doch nicht alle schafften und auf halbem Wege umkehrten. Wer aber imstande war, so viel Kraft aufzubringen, wurde nicht enttäuscht: Der Ausblick belohnte alle Mühen! Der Blick schwebte nach Oderberg, und der Berichterstatter wollte sogar Frankurt/O. gesehen haben. Auf jeden Fall konnte man Teile von dem Oderbruch sehen und deutlich erkennen. Naja, 257 Stufen sind kein Pappenstiel, und es dauerte eine Weile, bis alle auf den Parkplatz zurückkamen und ihren Platz im Bus eingenommen hatten. Dann ging es weiter, und zwar nach Mohrin.

Zehden Neumark

Zehden am Denkmal

Warum ausgerechnet Mohrin? Die Ortschaft ist ein kleines, idyllisches Nest, malerisch gelegen irgendwo in der Neumark. Bei den Vorbereitungen für die Fahrt war der Sekretär auf die Information gestoßen, dass wegen der geringen Stadtentwicklung der mittelalterliche Stadtgrundriss mitsamt der alten Bausubstanz gut erhalten sein soll. Nach einer kurzen Fahrt auf den Nebenstraßen in verschiedenem Zustand erreichten wir Mohrin. Da wurden wir empfangen von einem dort lebenden Bekannten, der uns durch das Städtchen führte. Und tatsächlich: Der Ort wirkt, wie aus einer anderen Zeit herausgerissen: verträumt, dicht bebaut, gut erhalten. Mehr dörflich als städtisch. Die Häuser, die an Stargarder Ackerbürgerhäuser stark erinnerten, waren frisch angestrichen und wirkten fast unrealistisch, wenn man bedenkt, wie verkommen manche Städtchen und Dörfer in Hinterpommern leider sind.

Mohrin Neumark

Mohrin - Brunnen mit Krebs

Zu unserer Freude entdeckten wir auf dem frisch sanierten Markt einen Brunnen mit dem Krebs. Der war zwar nicht so groß wie sein Bruder in Nörenberg, aber auch gut gelungen und spie sogar Wasser aus dem Rachen. Während der Nörenberger ein böser Raubkrebs war und die Leute plagte, wofür er nach mehreren Versuchen in die Ketten gelegt wurde, war sein Pendant aus Mohrin der Gute: Er half den Mohrinern in Not, rettete zu ertrinken Drohende und kämpfte gegen die Angreifer, die die Stadt erobern wollten… So auf jeden Fall die alte Sage.

In dem am Markt gelegen Informationszentrum konnten wir schöne Luftaufnahmen von Mohrin sehen und einen kurzen Vortrag über die Stadt hören. Der anschließende Spaziergang führte an den Kochschen Anstalten (damals Erziehungsanstalt für die Kinder, heute ein Pflegeheim) mit dem wie durch ein Wunder erhaltenen Denkmal des Stifters CH.F.Koch vorbei. Wir wollten aber unbedingt zur Kirche. In der romanischen Stadtkirche, erbaut als ein dreischiffiger Feldsteinbau mit freistehendem Turm aus dem 13. Jahrhundert, befindet sich nämlich ein Altar aus Granit, der ins 12. Jahrhundert datiert wird. Die Kirche wurde für uns geöffnet, und wir durften sie besichtigen. Der schlichte Altar, den man leicht übersehen könnte, entpuppte sich bei näherem Betrachten als wertvolles Kunstdenkmal. Wenn diese so grob gehauenen Steine sprechen könnten, würden sie uns über 700 Jahre Auf und Ab berichten. Zum Schluss waren alle sich einig, dass es sich gelohnt hatte, Mohrin zu besuchen. Aber so viele Eindrücke und langes Spazierengehen im Freien machen bekanntlich hungrig, so dass wir gerne zum nächsten Punkt auf unserem Reiseprogramm übergingen. Nämlich zum Grillen im Freien.

Diesmal brauchten wir nicht weit zu fahren: Nach wenigen Minuten erreichten wir einen Grillplatz am nahegelegenen Mohriner See, von dem aus  Mohrin mit dem markanten Kirchturm gut zu sehen war. Außer uns waren auf dem Grillplatz noch zwei Familien aus Berlin (dem Autokennzeichen nach). Komisch dabei war, dass sie nur polnisch miteinander sprachen, während einige von uns sich doch der deutschen Sprache bedienten.

Mohrin Neumark Picknick

Picknick nahe Mohrin

Das Wetter war gut, der gnädige Wettergott schenkte uns die Sonne und zusammen mit unseren ukrainischen Gästen grillten wir leckere Würstchen (an dieser Stelle vielen Dank an unseren Grillmeister Herrn Grünbauer!). Die Sonne schien, die intakte Natur erfreute unsere Augen – was will man mehr? Wir sangen noch deutsche und ukrainische Volkslieder (ein Glas Bier löste wirksam die Zungen) und genossen die gute Zeit. Als die Abfahrt näher rückte, packten wir unsere Sachen, brachten den Grillplatz noch schnell in Ordnung und stiegen gutgelaunt in den Bus ein.

Auf der Rückfahrt, die auf einer anderen Strecke ohne Zwischenfälle verlief, sahen wir im Vorbeifahren noch einige Städte der Neumark wie beispielsweise Damm oder Soldin. Kennzeichnend für die Sakralarchitektur der gesehenen Ortschaften war dabei das verwendete Baumaterial: Die meisten Kirchen wurden aus gehauenen Granitquadern gebaut, während beim Bau unserer pommerschen entweder einfache Findlinge (vor allem auf dem Lande) oder charakteristische rote Backsteine zur Verwendung gekommen sind. Außerdem machte die Neumark einen bewirtschafteten Eindruck d.h. die Städte waren sauber und das Brachland sahen wir so gut wie nirgends. Die großen Rapsfelder schienen dabei den Anbau zu bestimmen, was auf die gerade forsch getriebene Biokraftstoffpolitik in Polen zurückzuführen wäre.

Gut erhalten und gelaunt kamen wir gegen 19 Uhr zu unserer Geschäftsstelle in Stargard zurück, wo der Vorsitzende Herr Daniel Buda alle Teilnehmer verabschiedete, und unsere Gruppe löste sich auf. Rückblickend darf man mit Freude feststellen, dass unsere Fahrt durch die Neumark ein wohlgelungenes Unternehmen war. Unser besonderer Dank gilt allen Mitgliedern, die mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit zum reibungslosen Ablauf der Veranstaltung beigetragen haben, vor allem aber bedanken wir uns aufs herzlichste bei der Schatzmeisterin Halina Sobczak, die mit größtem Engagement alles geplant, organisiert und die ganze Zeit fest im Griff hatte, sowie Herrn Grünbauer, der als vorbildhafter Grillmeister debütierte.

Die gemeinsame Fahrt unter dem Motto „Dem Deutschen Ritterorden auf der Spur“ erweiterte ohne Zweifel die Kenntnisse der Geschichte des deutschen Ostens und trug wesentlich zur besseren Integration innerhalb unserer Ortsgruppe bei.

Piotr Nycz
E-mail: pnw1965@gmail.com

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