Sozial-Kulturelle Gesellschaft
der deutschen Minderheit
Ortsgruppe Stargard
Mein Vater - ein Stargarder Künstler
Ein Sohn des Künstlers besucht die Heimatstadt seines Vaters
Mein Vater:
Hans Georg Lewerenz
geboren 21. Mai 1915 in Stargard in Pommern
gestorben 03. Februar 2006 in Kulmbach in Franken / Bayern
deutscher Maler, Graphiker und Bildhauer
verheiratet mit Brigitta Dorothea Lewerenz, geborene Reinhold
aus der Ehe gingen 2 Söhne hervor
Frank Johann Lewerenz und Jan Hermann Lewerenz
Jan Hermann Lewerenz besuchte am 12.und 13. Oktober 2012 Stargard.
Erst gestern habe ich mit einem Freund, er hat Vorfahren aus dem Sudetenland, über das gesprochen, was wir als Heimat empfinden. Er kommt als Flugkapitän in der ganzen Welt herum, spricht beruflich englisch, privat bayrisch, ist angestellt in London und lebt in Berlin. Die Heimat tragen wir mit uns, wie einen alten Koffer, gefüllt mit gefühlsbeladenen ersten Eindrücken, die aus unseren frühesten Kindertagen stammen. Und wenn wir dorthin zurückkehren, zum Beispiel nach Kulmbach auf die Plassenburg, wo ich aufgewachsen bin, dann ist diese Welt verschwunden: Die rauchgeschwärzten Fassaden, die düsteren, Dunst und Duft absondernden Brauereien, die Pferdefuhrwerke und Dampflokomotiven.
Unverhofft treten Veränderungen ein: Durch eigentümliche Umstände erhielten wir kürzlich eine Mappe, darin ein Stapel zunächst unklarer Dokumente, die mich veranlasst haben, in diesem Jahr in die Heimat meines Vaters Hans Georg Lewerenz, nach Stettin und Stargard zu fahren, um Anhaltspunkte für die Bedeutung der Unterlagen, aber auch für eine Klärung der Herkunft meiner Urgroßmutter Marie Elise von Wiszomirska zu erhalten.
Familie Lewerenz zu Besuch bei der deutschen Minderheit
Dieser Weg führte meine Frau Elke und mich auch zur deutschen Minderheit in Stargard, die uns auf Einladung von Danuta und Erhard Grünbauer am 12.10.12 um 17.00 Uhr an ihrer Versammlung teilhaben ließ. Familie Grünbauer und der Sekretär Piotr Nycz hatten uns im Vorfeld bereits durch Übersetzungen und Recherchen unterstützt, so dass die Fragen zur Familie, soweit sie überhaupt noch geklärt werden können, weitgehend beantwortet erscheinen. Aus Dank und mit dem Wunsch nach einer stellvertretenden Heimkehr brachten wir ein Werk meines Vaters, der Künstler war, als Geschenk mit, das jetzt mit einer Erläuterungstafel versehen, in den Räumen der deutschen Minderheit hängt. Wir hatten auch Gelegenheit mit Frau Halina Sobczak, der Schatzmeisterin und Herrn Daniel Buda, dem Vorsitzenden zu sprechen und etwas mehr über die Anliegen der deutschen Minderheit als Bindeglied zwischen den Kulturen zu erfahren. Er versprach auch, mit einem Bekannten zu sprechen, der ebenfalls Wyszomirski heißt.
Geschenk für die deutsche Minderheit
Und so wie es das alte Kulmbach meiner frühen Kindheit nicht mehr gibt, so existiert die stalinistische Welt in Stettin und Stargard nicht mehr, die meinem Vater seine Heimat nahm. Familie Grünbauer, die uns großzügig bei sich unterbrachte und bewirtete, zeigte uns ein neues Stargard, das voller Hoffnung ist und in das man gerne wiederkommen wird. Erhard Grünbauer hat in einer Dokumentation, die alte Postkarten und das heutige Stargard gegenüberstellt, die noch bestehenden Defizite, aber auch die wiedergewonnenen Qualitäten festgehalten. Man muss sich noch den deprimierenden Zustand von 1979 hinzudenken, als wir das erste Mal hier waren, um den Umfang der Fortschritte richtig einzuschätzen. Dabei geht heute die Entwicklung wesentlich von Privatleuten aus, die durch Wohnbauten, neue Geschäftsideen und durch die Rettung alter Substanz Europa nach Stargard tragen. Eine letzte große Brachfläche wurde jetzt mit einem Einkaufszentrum bebaut, das mit den archäologischen Voruntersuchungen, der Dokumentation der Funde und Reminiszenzen an die Vorkriegsarchitektur auf einem guten Wege ist, die Altstadt weiter zu beleben. Die Abwesenheit der deutschen Sprache in Wort und Bild, die uns damals niederdrückte, ist heute einem gastfreundlichen Umgang gewichen, deutsch und englisch bunt gemischt, der sich allerorten in Stettin und Stargard um Gäste aus Deutschland bemüht.
Kirchenfenster in der Marienkirche
Das fiel uns besonders in der Marienkirche auf: Historische Fenster mit deutschen Inschriften sind wieder am alten Platz eingesetzt, der Alte Fritz grüßt aus der Höhe. Der mehrsprachige Kirchendiener erweist sich als fachkundiger Kenner des Bauwerks und der Geschichte Pommerns. Eine Diskussion, in deutscher Sprache geführt, entfaltet sich, die aufzeigt, dass auch in Polen, Regionen, unseren deutschen Bundesländern vergleichbar, entstehen, die sich dem spezifischen kulturellen und sozialen Erbe einer langen lokalen Geschichte verpflichtet fühlen. Nun sind wir an der Reihe, wenigsten ein wenig Polnisch zu sprechen, um die Annäherung auch von unserer Seite aus zu beantworten.
Wir konnten bei der Besichtigung nicht nur die unverändert erhaltenen Lebensorte der Familie Lewerenz in Stargard, in der Moltkestraße 3, der Karowstraße 12 und am Gymnasium besichtigen, wir nahmen auch ein neues Rätsel mit, das uns ein großartiges Glasfenster der Marienkirche aufgibt. Es wurde durch die Familie Lewerentz anlässlich der silbernen Hochzeit von 1897 gestiftet: Glaube, Liebe, Hoffnung – 1. Korinther, 13. Steht es in Zusammenhang mit meinen Vorfahren? Mein Großvater Richard Carl Otto Lewerenz war als Büchsenmacher 1904 nach Stargard gezogen, im Adressbuch 1921 wird er mit Rich. Lewerentz, Waffenmeister geführt. Darüber der Hinweis auf das Inserat der Gewehr-Fabrik Carl Lewerentz, deren Gründer im Adressbuch von 1878 noch Carl Lewerenz geschrieben wird. Herr Grünbauer bestand darauf, uns alle bekannten Orte dieser Familie in Stargard in der Pyritzerstraße 22 und in der Marienkirche zu zeigen, weil er an einen Zusammenhang glaubt. Die exakte Schreibweise der Namensenden mit „z“ oder „tz“ wurde damals offensichtlich nicht so genau genommen.
Wieder in Berlin angekommen, sortierte ich alle vorhanden Unterlagen nach den vor Ort gewonnenen Erkenntnissen und fand eine Verbindung, die sich weder beweisen noch bestätigen lässt: Im Original des Taufscheins meines Großvaters, den ich dank der Übersetzungen und Hinweise der deutschen Minderheit als Mikrofilm des Archivs Greifswald entdecken konnte, ist als Pate 1871 Carl Lewerenz aufgeführt. Ist dies der Gründer der Gewehrfabrik in Stargard? Dieser hat dem Fenster zufolge 1872 die dort erwähnte Stifterin Emilie geheiratet. Wie oft ist ein Onkel der Pate und Mentor, der die berufliche Entwicklung anstößt und schließlich den Neffen zu sich ruft. Ob es zwischen 1904 und 1914 zu einer beruflichen Zusammenarbeit kam, wissen wir nicht. Und so haben wir unverhofft mit dieser Stargardreise ein neues Stück Heimat gefunden, von dem aus wir weitere Reisen nach Polen unternehmen werden.
Jan Hermann Lewerenz, Architekt, Berlin im Oktober 2012
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